Unerhörte Nachrichten. Christian Müller Lorenz

Unerhörte Nachrichten - Christian Müller Lorenz


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Einen String-Tanga? Also ich weiß nicht. Das könnte sie als Anzüglichkeit auffassen.

      Franzi: Mensch, was du immer alles denkst! Snoopy und anzüglich, das ist echt lächerlich. Nimm den String, auf dem Snoopy auf seiner Hütte schläft. Die Frau soll merken, dass sie sich ausruhen darf.

      Prähausner: Na gut. Hier ist Snoopy auf der Hütte. Ich gebe die Sachen Frau Hirscher.

      Franzi: Ich komme morgen Abend zu dir, und wenn sich Mam auf den Kopf stellt!

      Prähausner: Franzi, bitte …

      Franzi: Keine Chance, Papsi! Bis morgen.

      Prähausner stellte das aufgeschnittene Weißbrot, das in einem Körbchen lag, auf den Esstisch im Wohnzimmer. Er faltete Servietten neben die Teller, dann legte er das Besteck darauf. Erwartungsvoll grummelte sein Magen dem Gulasch entgegen. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal unverhofft Besuch bekommen? Es musste mehrere Monate her sein. Froh, seiner weißkäsigen Diät wenigstens für diesen Abend entkommen zu sein, beschloss er, den Mozzarella im Gefrierfach seines Kühlschranks verschwinden zu lassen. Kulinarische Erneuerung tat not, allein schon seiner Tochter wegen. Am kommenden Samstagvormittag werde ich um frisches Gemüse in den Biomarkt fahren, ich werde gegen 11 Uhr den Nudeltopf aufstellen und Zwiebeln, Karotten, Brokkoli für die Sauce schneiden, ich werde mich kopfschüttelnd an all die Jahre erinnern, in denen mein Kühlschrank nicht viel mehr enthalten hat als mein Bier, meine Kaffeemilch und Franzis weißes Joghurt; ich werde an die Wochenenden zurückdenken, an denen meine Tochter stundenlang joghurtlöffelnd vor ihrem Laptop gesessen ist, reinweißes Joghurt und eine Serie aus dem tiefschwarzen Mittelalter, wie passt das eigentlich zusammen; ich werde daran denken, wie ich sie vergeblich mit Pizza, Curryreis, Glasnudeln an den Esstisch zu locken versucht habe, wie ich appetitlos alleine vor den Kartonboxen mit all den Köstlichkeiten gehockt bin und mir der Geruch nach Tomatenmark, Kokosmilch und Glutamat das Gefühl gegeben hat, in irgendeiner zugigen Imbissbude zu sitzen, und, trostlos transitorisch für den Rest meiner Tage, eine Luft zu atmen, die vom Fett der unablässig zischenden Fritteuse ranzig geworden ist.

      Ich werde meine Tochter nicht zu Tisch bitten müssen, sie wird um Punkt 12 Uhr mit gewaschenen Händen im Wohnzimmer erscheinen und sich artig für die Pasta bedanken, sie wird mit Messer und Gabel essen, statt ihren Kopf mit der linken Hand vor dem freien Fall auf den Teller zu bewahren und mit der rechten lustlos in den Nudeln herumzustochern, und nach der Mahlzeit wird sie das Geschirr in die Küche tragen, statt sofort wieder hinter ihrem Laptop zu verschwinden.

      Der Redakteur ging in die Küche und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Erst als er die Flasche bereits geöffnet hatte, kam ihm der Gedanke, dass es einer Muslima möglicherweise missfallen könnte, wenn er sich, wie so oft nach einem anstrengenden Tag, zwei oder drei Flaschen gönnte. Aber nein, dies war seine Wohnung, dies war ein Land, in dem nicht Haschisch, sondern Alkohol dazu beitrug, Spannungen abzubauen, und überhaupt war es an der Zeit, an einen Artikel zu denken, in dem es um gegenseitigen Respekt ging und nicht um eine Toleranz, die von den Neuankömmlingen vielleicht falsch verstanden wurde.

      Mit der Flasche in der Hand setzte er sich an den gedeckten Tisch, dann stand er wieder auf, holte ein Glas aus dem Geschirrkästchen über dem Herd und schenkte sich sorgfältig ein.

      Als das Schrillen der Türglocke seine Gäste ankündigte, als Frau Hirscher und die junge Fremde ein paar Sekunden später in der Wohnzimmertüre standen, hatte er es bereits geleert, hatte er sich so weit entspannt, dass das Erschrecken durch mich hindurchfährt, ohne dass es mein Gesicht verstört; dass ich ruhig sitzen bleibe, obwohl alles in mir aufspringt; dass ich einladend auf einen Sessel zeige, während ich sie hinausdrängen möchte aus meinem Wohnzimmer; dass ich wieder diesen Waldgeruch in der Nase habe, den kaltfeuchten Geruch nach moderndem Laub, nach Schimmel und sauer geschwitzten Kleidern. Für eine Sekunde verschwarzt mir ihr offenes Haar den Blick, ich schließe die Augen und öffne sie wieder, und jetzt ist alles anders, jetzt duftet sie nach Badewasser, nach Shampoo und Seife, jetzt schimmern ihre Augen groß und dunkel in einem seltsam zart wirkenden Gesicht, seltsam zart, weil ihre Nase sehr ausgeprägt ist, schmalrückig, aber ausgeprägt, und die Lippen haben etwas Mulattisches, mir fällt kein anderes Wort dafür ein, mulattisch, und nun sehe ich es: Es ist der ungewöhnlich ausgeprägte Amorbogen, der der Oberlippe etwas Geschürztes, etwas Hochgezogenes gibt, eine winzig kleine Ähnlichkeit, nichts sonst. Sie lächelt mir zu. Die Schneidezähne stehen irritierend schief in ihrem Mund.

      „Ein schönes Mädchen, nicht wahr? Was so ein Badezimmer doch aus einer Frau machen kann!“, ließ sich Frau Hirscher vernehmen, die den Gulaschtopf vor dem Bauch trug. „Die Unterhose, die ihr Franzi geliehen hat, ist seltsam. So winzig. Trägt Ihre Tochter nur solche Unterhosen?“

      Prähausner überhörte die fast schon besorgt vorgebrachte Frage. Mulatte, hatte dieser Begriff inzwischen nicht einen rassistischen Beiklang, war das nicht ein Wort, das von Mulo, von Maultier, herkam? Er atmete tief durch und deutete noch einmal einladend auf den Sessel, der ihm gegenüberstand. Es brauchte aber noch eine weitere Aufforderung von Frau Hirscher, bis die Fremde sich setzte.

      Zwei Minuten später dampfte das Gulasch in den Tellern. Obwohl Prähausner seit dem Frühstück kaum etwas gegessen hatte, vergaß er in Beobachtung der jungen Frau, zuzugreifen. Mit Hunger in den Augen schaute sie kurz auf die Speise, in der nicht nur Kartoffeln und reichlich Fleisch, sondern auch Karotten und Petersilie schwammen, dann nahm sie den Löffel.

      „Mahlzeit. Lassen Sie sich’s schmecken!“, sagte Frau Hirscher und schob der Fremden den Korb mit dem Brot zu. Sie nahm ein Stück, dann führte sie ihren vollen Löffel zum Mund, ganz ohne zu spritzen oder auch nur zu tröpfeln. Was würde Hubert sagen, wenn er diese Oberlippe sehen könnte, die Art, wie sie sich über dem Löffel aufwirft? Seit er hier ist, hat er kein einziges Mal über unsere gemeinsame Vergangenheit gesprochen, er redet immer nur über technische Neuerungen, über die Zukunft. Seine Stimme ist über die Jahre stickig geworden, stickig und dumpf, sie kommt aus seinem Mund wie aus einer drückend niedrigen Kammer. Nur wenn er über seine Innovationen spricht, lüftet er vorher das innere Gelass, und dann hört sich alles, was er sagt, frisch und unverbraucht an. Er ist einer der ersten gewesen, die damals auf das Internet gesetzt haben, er hat all die Entwicklungen richtig vorhergesagt und behauptet auch jetzt, über alles Kommende Bescheid zu wissen. Nur dass die Zukunft heute eine andere ist als in den 1990er Jahren, dass man kein Visionär mehr sein muss, um sich eine Welt ohne gedruckte Zeitungen vorstellen zu können. Aber Hubert tut so, als wüsste er Bescheid, muss so tun, um sich selbst verheimlichen zu können, dass er nicht zurück nach Österreich gegangen ist, um einem alten Freund mit einer revolutionären App aus der Bredouille zu helfen; Hubert hockt doch längst nicht mehr vor dem Computer, er hockt nur noch tief in sich selber drinnen, und die Erinnerung an bessere Zeiten schimmert bildschirmhaft vor seinem inneren Auge. Damals dieses kantige, fast immer blond verstoppelte Kinn, heute ziehen sich Backentaschen voller Fett bis hinunter zum Hals, das kann selbst der modisch-graue Vollbart nicht vertuschen – aber wer weiß, was er über mich denkt, darüber, dass ich inzwischen fast vollständig ohne Muskeln auskomme, dass ich ohne mein Bier in einer Woche verhungert wäre und dass mein Hinterkopf nicht mehr in einen Pferdeschwanz ausläuft, sondern in eine Drachenschnur. Allein Huberts wegen ist es mir aufgefallen, Huberts wegen, der vor Kurzem angekündigt hat, doch nicht weiter nach Wien zu ziehen, sondern in dieser „schnuckelig-schönen Touristenstadt“ bleiben zu wollen, um gemeinsam mit mir den Zeitungsmarkt aufzumischen, warum gerade den Zeitungsmarkt, hat er vielleicht doch eine Zukunft?

      Erst die Paprikaschärfe des Gulaschs belebte Prähausner wieder für die Gegenwart. Er blickte zu der Fremden hinüber, die ihren Löffel ausgesprochen manierlich führte. Ihr sattfeuchtes, nicht eben leises Schmatzen hingegen wirkte irritierend, besonders auf Frau Hirscher, deren Stirne sich in vorwurfsvoll-feine Falten legte. Die junge Frau aß drei gestrichen volle Teller und ließ fünf Scheiben Brot verschwinden; Prähausner spülte sich mit drei Bieren frei von Erinnerung. Es war gut, nicht allein an diesem Tisch zu sitzen, gut, jemandem beim Essen zuzusehen, und es war schön, dass Frau Hirscher nach fast zehn Jahren Nachbarschaft das erste Mal in seiner Wohnung war. Nicht zuletzt tat das Gulasch gut, viel besser jedenfalls als der Mozzarella, als dieser kühlschrankkalte, weißfleischige


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