Unerhörte Nachrichten. Christian Müller Lorenz

Unerhörte Nachrichten - Christian Müller Lorenz


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noch nach höflichem Klopfen zu betreten, und die Forderung nach einem Badezimmerschlüssel. Was ihn am meisten schmerzte, war das sehr kurze, schwarz gefärbte Haar. Endgültig vorbei die Zeiten, in denen ihr blonder Zopf seine Wochenenden erleuchtet hatte.

      „Na, was sagst du? Passt ihr genau, oder nicht?“ Glücklicherweise hatte Franzi immer noch diesen hellen Kindersopran. Prähausner winkte der Fremden zur Begrüßung zu. Die Antwort war ein Lächeln, das etwas leicht Geziertes hatte. Einen Moment lang legte sie ihre Rechte auf die Herzgegend.

      „Sie ist nett. Wir verstehen uns gut, obwohl sie nichts redet. Sie schmatzt bloß“, rief Franzi, die nun energisch im Kleiderhaufen zu wühlen begann.

      „Ja, ich weiß. Sie schmatzt beim Essen.“

      „Nein, nicht bloß beim Essen. Zuerst hab ich gemeint, dass sie heimlich Zuckerl lutscht. Aber das tut sie nicht. Sie schmatzt halt manchmal, zum Beispiel, wenn sie aufgeregt ist.“

      Die Fremde künstelte sich noch immer ein Lächeln ins Gesicht, ein Lächeln, das der Personalchef von Herthas Aufzugsfirma sicherlich hinreißend gefunden hätte, das Prähausner aber, zusammen mit ihrem fettigen Lippenstiftrot, eher unangenehm war. Immerhin sorgte die Schminke dafür, dass ihm der Amorbogen mehr oder minder verborgen blieb.

      „Habt ihr schon was gegessen?“ Er ging an der Couch vorbei und öffnete die Türe zur Küche.

      „Ja. Frau Hirscher hat kalte Schnitzerl gebracht. Und Kartoffelsalat. Es ist noch genügend da.“

      Prähausner lief das Wasser im Mund zusammen. Annabel hatte ihm um die Mittagszeit ein Weckerl geholt. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob es mit Käse oder Wurst belegt gewesen war.

      Mit gefülltem Teller setzte er sich an den Esstisch im Wohnzimmer. Schon mit den ersten Bissen entfuhr ihm ein Seufzer des Behagens. Am liebsten hätte er sich zurückgelehnt und seine schwer gewordenen Füße auf die Tischkante gelegt. „Franzilein, bringst du mir bitte ein Bier aus dem Kühlschrank?“, bat er seine Tochter.

      „Nein! Franzilein bringt dir kein Bier! Das weißt du ganz genau!“, rotzte sie aufgebracht in seine Richtung.

      Prähausner entschuldigte sich sofort. Auch die Zeit der lautlichen Liebkosungen war schon längst vergangen. Verwunderlicherweise stand kaum eine halbe Minute später eine Bierflasche vor ihm, inklusive Kronkorken allerdings. Den Öffner musste er sich selber aus der Küche holen.

      „Schmeckt gut, gell? Viel besser als das Fertigzeugs, das ich sonst immer essen muss.“ Franzi saß jetzt wieder auf der Couch, ihr Gesicht war leicht gerötet. Immer, wenn sie im Kleiderberg etwas gefunden hatte, schwenkte sie es fahnenhaft in Richtung Esstisch. „Ich hab eine Idee!“ Eine Bluse in der Hand, schnellte sie in die Senkrechte. „Wir machen eine Modenschau. Wir gehen in mein Zimmer, und dann kommt Mara mit immer neuen Kleidern ins Wohnzimmer. Am Schluss sagst du dann, was dir am besten gefallen hat.“

      „Mara?“ Prähausner hörte auf zu kauen. „Wieso Mara? Hat sie dir gesagt, wie sie heißt?“

      „Nein. Sie redet ja nichts. Da hab ich eben einen Namen für sie gesucht. Mara passt ziemlich gut, oder? Musik!“ Franzi lief zu dem Regal, das die altertümlich große Stereoanlage samt der Plattensammlung trug, und legte eine CD ein. Der Chor der Journalisten Westösterreichs hub zu singen an. Er selbst, Ingo Prähausner, war es gewesen, der vor über zehn Jahren die Liedertexte verfasst hatte. Es gab eben Menschen, die für das Schreiben geboren worden waren und nicht für das Kochen. Irgendwann würde seine Tochter das bestimmt verstehen.

      „Los komm, Mara!“ Franzi nahm die Fremde an der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Gleich kam sie wieder zurück, beugte sich über die Couch und raffte sich die Kleider vor die Brust. „Puh, ist das viel! Mam kann froh sein, dass sie die Sachen los ist.“

      Noch während Prähausner das erste Schnitzerl zu Ende brachte, wurde vor der Wohnzimmertüre gekichert. Franzi murmelte etwas, aber die Fremde kam nicht herein. Schließlich öffnete sich die Türe, und seine Tochter zog die junge Frau am Esstisch vorbei, in Jogginghose und Kapuzen-Pulli. Ein leichter Luftzug saugte das Zellophan um einige Zentimeter vom Parkett, dann senkte es sich zurück auf den Boden.

      Unterstützt von einem halben Blasorchester, sang der Journalistenchor Das Lied von der Meinungsfreiheit. Im stark rhythmisierten Refrain hieß es: „Dann ist es bald so weit / dann sind wir frei, ganz frei, ganz meinungsfrei.“ Noch vor ein, zwei Jahren hatte Franzi das tagelang vor sich hingesummt.

      „So, bitteschön. Casual fits.“ Prähausners Tochter verneigte sich, und die Fremde tat es ihr nach einigem Zögern gleich. Ihr Haar duftet dunkel zu Boden, glänzt Schwärze in meine Augen. Wenn ich nach Hause komme, knipse ich das Licht an, ich öffne den Kühlschrank, in dem weißlich beleuchtet mein Bier steht; ich setze mich auf die Couch und strecke die Füße von mir und nicke bei brennendem Deckenlicht ein. Immer noch hängt die Pappmachéhalbkugel, die Franzi als kleines Kind gebastelt hat, als Lampe über dem Esstisch und taucht das Wohnzimmer in grünliches Wasserfarbenlicht. Immer noch sind an den nackten Wänden die Umrisse der Bilder zu sehen, die Hertha mitgenommen hat, immer noch lehnt sich im Schlafzimmer das Billigregal mit meiner Kleidung an die Wand, leuchten meine beiden weißen Hemden, auf Bügel gezogen, neben meinem Bett. Ich könnte die Nägel, an denen sie hängen, herausziehen, könnte mir einen Kasten kaufen und mein Gewand in seiner kubischen Schwärze verschwinden lassen. Ich könnte Ordnung in der Wohnung machen, ich könnte das Licht ausschalten, wenn ich zu Bett gehe, könnte still im Dunkeln liegen. Gäbe es die gemeinsamen Wochenenden mit Franzi nicht, würde ich wohl im Büro übernachten, würde ein Feldbett zwischen Annabels Urwaldpflanzen zwängen. Franzis wegen lasse ich den leeren Kühlschrank brummen, die Stereoanlage verstauben, den Wasserkocher verkalken. Ihretwegen setze ich mich jeden Abend auf die viel zu weiche Couch. Ein Bier in der Hand, versinke ich in einem Abgrund von Nachgiebigkeit, aus dem ich mich manchmal erst am nächsten Morgen wieder herausarbeiten kann.

      Nein, hier in der Wohnung ist es nicht dunkel, hier ist alles voll heller Verzweiflung, selbst in der Nacht.

      Es dauerte nicht lange, bis Mara begriffen hatte, was Franzi von ihr wollte. Nach dem zweiten gemeinsamen Auftritt in Jeans und Rollkragenpullover kam sie bereits alleine ins Wohnzimmer, diesmal in einem Hosenanzug mit Knöpfen, die den Durchmesser einer Espresso-Tasse hatten. Prähausner erinnerte sich noch gut daran, dass Hertha ihn getragen hatte, als sie das erste Mal zu dieser unseligen Aufzugsfirma gegangen war. Keine Öffentlichkeits- und Organisationsarbeit für die Neuesten Grätzelnachrichten mehr, sondern Marketing für einen Weltkonzern. Seither ist es vorbei mit dem mühsamen Stufensteigen; es geht jedes Jahr ein paar Etagen nach oben, bequem per Aufzug natürlich. Hat sich Hertha jemals auch nur zum Spaß vor mir verneigt?

      Mara kippt nicht ihren Oberkörper nach vorne, sie lässt nicht Kopf und Hände kurz nach unten hängen, wie Franzi das getan hat, sondern beugt sich, ein Bein leicht vor das andere gestellt, in einem weichen Bogen in meine Richtung, die Arme einladend offen, offen noch, als sie sich wieder aufrichtet, als ihr Haar zurück auf ihren Rücken flattert. Krähen sind aufgeflogen, als wir damals in der Krajina gehalten haben, alarmiert von etwas Dunklem, das ein paar dutzend Meter von der Straße entfernt gelegen ist. Marina und Max sind rechts rangefahren, sie haben den ganzen Konvoi zum Anhalten gezwungen und sind ausgestiegen, sind zusammen auf das Stoppelfeld hinausgezaudert. Auch ich bin aus dem Transporter gesprungen, ich bin den beiden hinterhergelaufen und erleichtert gewesen, als ich den schwarzen Pelz des Schafs erkannt habe. Allein in der verlassenen Landschaft, war es wohl erfroren oder verhungert, aber als wir über dem Kadaver gestanden sind, haben wir die rot durchklaffte Bauchdecke gesehen und das kleine Beil, das tief darin gesteckt ist. Es ist eigentlich nur noch der Stiel sichtbar gewesen zwischen den herausdrängenden Innereien. Unwillkürlich haben wir uns suchend umgeschaut, dann sind wir wortlos zu den Lastwägen zurückgelaufen.

      „Ein Schaf, nur ein Schaf“, haben wir den anderen zugerufen, die in den laufenden Fahrzeugen gesessen sind, eine Thermoskanne oder ein Wurstbrot in der Hand, und wir sind schnell wieder in unser warmes Führerhaus gestiegen.

      Prähausner merkte, dass er aufgehört hatte zu kauen. Ein Bissen Kartoffelsalat säuerte auf seiner Zunge, bevor er ihn mit einem


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