Leefke. Suta Wanji

Leefke - Suta Wanji


Скачать книгу
einer der Gründe ihrer Wandlung. Er blieb trotzdem bei ihr, in Ostfriesland trennt man sich nicht so leicht und als Leiter des hiesigen Ordnungsamtes stellte er ja auch etwas dar. Wenn es zu schlimm wurde, ging er laufen, so wie heute Morgen. Dann konnte sie ihre hormonellen Schwankungen erst mal mit Feudel und Glasreiniger ausbalancieren. In letzter Zeit ertappte er sich immer wieder dabei, dass sein Blick den seiner Kollegin Frieda Brettschneider – Ordnungswidrigkeiten – suchte. Ein beachtliches Frauenzimmer fand er. Hellrote Haare, Sommersprossen, Rundungen da, wo Frauen in seinen Augen rund sein sollten. Rosige Haut … er stellte sie sich vor, wie sie sich ihm entgegen reckte und ließ seiner Fantasie freien Lauf. In Glücksgefühlen schwelgend übersah er galant die weißen Stoppeln, die eifrig in alle Richtungen auf ihrem Kinn sprossen und die tiefen Falten unter ihren Mundwinkeln, Zeugnis von Einsamkeit und Bitterkeit. In seiner Fantasie war sie in der Lage ihn in andere Welten zu entführen und das war in seinen Augen alles, was zählte.

      Vertieft in Gedanken um und in Frieda Brettschneider, bemerkte er nicht den Nebel, der von hinten aufzuziehen schien, undurchsichtig, sich immer höher aufbauend zu einer Wand, verteilend nach rechts und links. Kälte holte ihn zurück in die Realität und überrascht stellte er fest, dass er plötzlich von Nebel umzingelt war. Noch ungefähr zwei Kilometer, dann könnte er schon sein Haus sehen und wahrscheinlich auch bald seine Frau meckern hören, dass der Nebel mit seiner Feuchtigkeit ihre Arbeit an den Fenstern sabotiere. Tiefes Unwohlsein beschlich ihn, dieser Nebel war anders. Er war mit Nebel aufgewachsen, hier im Moor, Nebel hatte für ihn nichts Beunruhigendes. Doch dieser Nebel hatte nichts mit dem gemeinsam, den er kannte. Er meinte eine gewisse Boshaftigkeit zu spüren und je größer seine Angst wurde, desto größer wurde die Gewissheit, dass in diesem Nebel das Böse lauerte. Frieda hatte er ad acta gelegt, sie gehörte nicht in diese Welt.

      Die Angst peitschte ihn vorwärts und Tamme meinte zu spüren, dass es dem Nebel ein sichtliches Vergnügen bereitete, ihn zu jagen. Er stolperte vorwärts, keuchend, vor Angst schneeweiß, nicht mehr wissend, wohin er rannte. Er hörte ein Schmatzen und Grunzen, die Geräusche des Moores, sicher war er sich jedoch nicht. Eine Stimme im Inneren sagte ihm, dass er nicht mehr nach Hause lief, sondern mittlerweile um sein Leben. Er begann zu weinen, um sich selbst, um seine verpatzte Ehe mit Elfriede und all die Chancen, die Frieda und er niemals haben würden. Schluchzen und tief verängstigtes Schreien setzte ein, als er von hinten heißen Dampf spürte, der ihm die Haut zu versengen schien. Krallen bearbeiteten seinen Rücken, Schmerz breitete sich aus. Warmes Blut lief ihm die Beine herunter, während er immer noch versuchte, sein Haus zu erreichen. Rot färbte seinen Verstand, roter Nebel ließ seine Sinne schwinden, als sich lange, gelbe Zähne in seinen Hals bohrten. Sein letztes Wort galt Frieda, während sich Zähne tiefer und tiefer in sein Fleisch bohrten, zermalmend, zerfetzend und einen blutigen Rest hinterließen, den niemand als Tamme wiedererkennen würde.

      ....Tage mit Trauerrand....

      Elfriede bemerkte den Nebel, der sich hinten am Waldrand bewegte. Seit einer Stunde war ihr Mann „überfällig“, hätte schon da sein müssen. Tamme war stets pünktlich zurück, sie konnte die Uhr danach stellen. Er lief immer seine Lieblingsstrecke und das schon seit Jahren. Noch nie war es vorgekommen, dass er mehr als 15 min zu spät war. Wieder blickte sie zum Waldrand, dorthin, wo er gewöhnlich den Wald verließ. Der Nebel schien wie eine Wand vor den Bäumen zu stehen. Unbehagen beschlich sie. Angst überkam sie, als sie orange Lichter im Nebel tanzen sah, zwei an der Zahl. Tanzende Irrlichter, wie glühende Kohlen. Plötzlich bewegten die Lichter sich nicht mehr, schienen still zu stehen. Ein unheimliches Gefühl beschlich sie.

      „Mein Gott, das sind ja Augen!“, schoss es über ihre Lippen. Augen wie glühende Kohlen und was viel schlimmer war, diese Augen schienen sie anzustarren, obwohl sie mehrere hundert Meter weit weg waren.

      Sie lief zum Telefon um ihre Nachbarn nach Tamme zu befragen. Als sie sich wieder umdrehte, war der Nebel verschwunden. Mit ihm tanzende Irrlichter und die Gewissheit, dass sie ihren Mann niemals lebend wiedersehen würde, blieb ihr. Noch etwas blieb zurück, die Erkenntnis, dass dort im Moor etwas gelauert und sie beobachtet hatte.

      Sie wählte die Telefonnummer ihrer rechten Nachbarn, Enno Ricklefs und Frau Rieke. Enno hatte Tamme wohl loslaufen sehen, aber danach nicht wieder. Rieke war nicht da, sondern zu ihren Enkelkindern nach Aurich gefahren. Sie versuchte es noch bei zwei weiteren Nachbarn, erfolglos. Dann fiel ihr Tabea ein, die Frau Oberkommissarin, die vor Jahren die alte Hauptschule gekauft hatte, und jetzt dort am Waldrand, am Übergang zum Moor, wohnte. Sie ließ mehrfach durchklingeln, bei Tabea schien niemand da zu sein.

      Mittlerweile war Tamme seit 2 Stunden über die Zeit und sie beschloss sich mit dem Dorfpolizisten im Nachbardorf Strackholt in Verbindung zu setzen. Dort lief nur das Band, das auf das Wochenende verwies und auf die Telefonnummer der Auricher Polizei, die am Wochenende zuständig sei. Sie rief dort an und musste sich mit Ewald Hayen auseinandersetzen. Der ließ sie ziemlich direkt wissen, dass er etwas Besseres zu tun hätte, als sich um einen Mann zu kümmern, der seit 2 Stunden vermisst wird. Sie solle sich man beruhigen, wahrscheinlich sei ihr Mann nur mit Kumpels in einem der umliegenden Dorfkrüge eingekehrt und würde sich bald melden. Die ersten 24 Stunden würde die Polizei sowieso nichts unternehmen, sie könne ja Montagmorgen noch einmal anrufen. Elfriede legte auf, weinend, nicht wissend, an wen sie sich wenden sollte.

      Sie weinte vor sich hin, Tamme war jetzt seit 5 Stunden vermisst. Sorgenvoll schaute sie zum Waldrand, wo die Abenddämmerung einsetzte und der Nebel langsam über das Moor Richtung Siedlung kroch. Tabeas Haus war schon nicht mehr zu sehen, aber Elfriede glaubte die Irrlichter in Tabeas Garten zu erkennen. Angst überkam sie und sie riss ihre Jacke vom Haken, schnappte sich den Autoschlüssel und tobte aus dem Haus.

      „Bloß weg hier", murmelte sie. Die hünenhafte Gestalt neben ihrer Buchsbaumhecke nahm sie nicht mehr wahr, als sie die Auffahrt hochpreschte.

      ......I did it my way....

      Sonntag hatte Tabea im Bett verbracht, gepeinigt von Angst und Depressionen. Die Gestalt von gestern Abend ging ihr nicht aus dem Sinn. Sie war sich überhaupt nicht mehr sicher, was noch real gewesen war an diesem Abend. Nun ja, ihr Auto zumindest hatte real gelitten, die Spuren ihrer Autofahrt waren nicht zu übersehen. Die Gestalt fiel ihr immer wieder ein, groß, glühende Augen. Wahrscheinlich hatte sich der Klare, den sie zum Grünkohl getrunken hatte, nicht mit den Medikamenten verstanden, die sie gelegentlich einnahm. Sie hatte einfach überreagiert, obwohl der Nebel ihr immer noch Angst machte. Vielleicht, vielleicht, vielleicht, ein unangenehmes Gefühl blieb.

      Seit einem halben Jahr war sie jetzt krankgeschrieben, Diagnose burn-out. Jahrelang hatte sie Missbrauchsfälle bearbeitet, hatte sich immer geschützt und doch fingen eines Tages die Kinder an durch ihr Schlafzimmer zu laufen. Da wusste sie, dass es Zeit war auszusteigen, zumindest für eine Weile. Es folgten Depressionen, gnadenlose Abstürze, während denen sie bewegungsunfähig über Tage in einem Sessel saß und nach draußen starrte, alles sah und doch nichts mitbekam. Ihre Freundin hatte den kolossalen Absturz bemerkt und sie zum Arzt geschleift. Es folgten stationäre Unterbringung und später ambulante Weiterbehandlung und bis gestern Abend hatte sie geglaubt, dass alles wieder besser wurde. Heute war sie sich nicht mehr sicher.

      Tabea stand auf und zog sich dicke Stricksocken über, schlüpfte in ihre braune Jogginghose, in ihre dunkelbraune Lieblingsstrickjacke, bändigte ihre Haare durch ein Zopfband und schlich in die Küche. Es war kurz nach 17.00 Uhr, draußen war es schummrig und auch schon wieder nebelig. Sie sah kurz aufs Telefon und bemerkte einen Anruf in Abwesenheit…die Nummer sagte ihr nichts, sie rief trotzdem zurück, um gleich darauf festzustellen, dass es der Anrufbeantworter von Elfriede und Tamme war, der sich zu erkennen gab. Beide versprachen sich bei Anwesenheit sofort zu melden und so teilte Tabea kurz mit, dass sie die Nummer auf dem Display gesehen habe und sich daraufhin jetzt melde. Nach dem Ende der Nachricht bedankte sich die Maschine artig und Tabea legte den Hörer zurück auf die Station. Sie schaute nach draußen in Richtung Tammes und Elfriedes Haus und schlagartig war sie ganz klar.

      Routiniert griff sie sich an den Hosenbund um zu bemerken, dass sie im Haus ihre Waffe nicht trug. Tanzende Irrlichter sah sie an der schönen Buchsbaumhecke ihrer Nachbarn, 2 Stück... glühend, flackernd, glitzernd. Die Hecke war nur ansatzweise


Скачать книгу