Leefke. Suta Wanji

Leefke - Suta Wanji


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Äste, die sich wie knochige Finger vom grauen Hintergrund abhoben und bizarr vom Stamm abstanden. Weiter hinten lagen einige Findlinge aufgetürmt am Wegesrand, vermutlich von Menschen hierher geschafft vor vielen Jahren, als das Moor noch dazu diente, Götter anzubeten und ihnen Opfer zu bringen.

      Während jeder versuchte, im grauen Tageslicht etwas zu erkennen und heimlich damit beschäftigt war, seine Angst zu bekämpfen, setzte feiner Nieselregen ein. Das Tageslicht schien noch undurchdringlicher. Als sich der Himmel dunkler färbte und ein heftiger Dauerregen einsetzte, beschloss man die Suche für heute abzubrechen, da keiner sich konzentrieren konnte. Die Angst im Einzelnen steigerte sich immer mehr, denn mit dem Regen schienen urplötzlich auch die Temperaturen zu fallen.

      Die Hunde preschten jetzt nach vorn und jeder war bemüht, diesen Ort schnell zu verlassen. Sie redeten sich ein, des Regens wegen. Die Wahrheit stand jedoch auf allen Gesichtern. Keiner konnte und wollte die Angst mehr verleugnen. Das Erkennen der Verletzlichkeit des Anderen schweißte Menschen und Hunde zusammen und so schossen sie den Weg zurück. Keiner blickte nach rechts oder links, keiner hörte mehr die Geräusche, die sich langsam - aber unaufhörlich - wie ein grunzendes Schmatzen in ihre Richtung bewegten.

      Sie stapften so schnell es ging durch den Regen, hoffend, es würde bald vorbei sein. Die Hunde zogen und zerrten ihre Besitzer vorwärts, die Polizisten rannten hinterher. Jeder versuchte so schnell wie möglich und es seine Kräfte erlaubten, um zurück zu Tabeas Parkplatz zu gelangen. Alle fühlten, dass sie verfolgt wurden von etwas Dunklem, Grauenhaften, aber sie konnten es nicht in Worte fassen.

      Am Parkplatz angekommen, wurden noch ein paar Worte gewechselt. Man einigte sich darauf, die Suche bei Besserung der Wetterlage wieder aufzunehmen. Alle suchten so schnell wie möglich das Innere ihrer Autos auf und waren bemüht, gelassen den Hof zu verlassen.

      Tabea blieb allein zurück, ihre Haustür schnell aufschließend. Sie stellte den Rucksack ab, ließ die Jalousie an der Eingangstür nach unten gleiten, wissend, das Grauen ließ sich nicht aussperren und war im Übrigen bereits mit eingetreten.

      Sie trug ihre wetterfeste Kleidung zum Trocknen in den Wäscheraum und schnappte sich ein Handtuch um ihr Gesicht zu trocknen. Bekleidet mit Hinni, Wollsocken und T-Shirt nahm sie im Flur ihren Rucksack vom Boden auf und trug ihn in die Küche.

      Während sie die Thermoskanne mit dem Kaffee auf den Küchentisch stellte und ihre Brotdose herausnahm, dachte sie darüber nach, was geschehen war. Im Geiste sah sie noch einmal vor sich, wie sieben bodenständige Menschen gepeinigt von Furcht das Moor schnellstmöglich verließen.

      Währenddessen öffnete sie die Dose und goss sich zusätzlich heißen Kaffee ein. Gedankenverloren starrte sie aus dem Küchenfenster und biss dabei in eine Leberwurststulle, hoffend, der Kaffee möge sie von Innen wärmen. Sie schluckte Kaffee und Leberwurstbissen mit Genuss herunter, versuchte, das Geschehene zu verdrängen.

      Es war jetzt 14 Uhr und der Tag so dunkel, dass sie überall im Haus die Jalousien herunterließ, zusätzlich die Vorhänge zuzog und sich dann, mit Wolldecke bewaffnet, an den Kamin zurückzog. Etwas Glut glimmte noch auf dem Rost. So legte sie erst Holzscheite und danach zusätzlich etwas Torf in den Kamin, schloss die Glastüren und öffnete unten die Lüftungsklappe. Sie zog sich in ihren heißgeliebten Ohrensessel zurück, legte die Beine auf den Hocker und kuschelte sich in die Decke, aber selbst nach einer Weile in dieser geborgenen Atmosphäre wollte sich im Inneren keine Wärme einstellen und so zog sie um ins Bett und fiel kurz darauf in einen unruhigen Schlaf.

       .....Seelenfinsternis.....

      Kurz vor 18.00 Uhr wurde sie wach, fröstelnd, trotz der Bettdecke und der Wärme im Raum. Ihre Glieder waren schwer wie Blei und so rollte sie sich noch mehr zusammen.

      Die gute Stimmung des frühen Morgens war verschwunden und Traurigkeit ergriff sie, legte sich düster auf ihre Seele, saugte jeden noch verbleibenden Tropfen Fröhlichkeit auf wie ein Schwamm.

      „Nicht schon wieder ein Absturz!“, stieß sie hervor, bevor unruhiger Schlaf sie wieder heimsuchte, nur für einen kurzen Moment und somit keine Erlösung darstellte. Sie fühlte sich wie in 1000 Teile zersprungen. Wellen der Traurigkeit und Dunkelheit schwappten über sie hinweg, stülpten sich wie eine zweite Haut über sie. Kein Entrinnen, wie ein verzweifeltes Tier in der Falle, verloren und ängstlich.

      Während die Dunkelheit ihre Seele umarmte, suchte ein kleiner Teil von ihr nach heiteren Erinnerungen, die sie aus dem Tal der großen Stille heraustragen würden, vorbei an Ängsten und Geräuschen ohne Gesichter.

      „Es gibt keine Begrenzung der Möglichkeiten in dir!“, flüsterte eine Stimme ihr zu, „lass die Flamme in Dir lodern!“

      Zärtlich berührte die Stimme ihr Herz, öffnete es und legte sich wie eine schützende Hülle um ihre innere Flamme, weckte die innere Wärme und ließ sie die Pforte aus der Tiefe durchschreiten, bereit, die Schönheit des Lebens wiederzufinden.

      Langsam rappelte sie sich hoch, blieb noch eine Zeitlang auf der Bettkante sitzen und dachte über das gerade Geschehene nach. Zum ersten Mal war es ihr gelungen, sich selbst aus dem Morast der seelischen Abgründe zu befreien. Dem depressiven Abstürzen ein Ende zu setzen, bevor sie sich manifestieren konnten. Sie starrte in den gegenüber im Schrank eingelassenen Spiegel und versuchte, was sie sah zu akzeptieren, sich in ihrer ganzen eigenen Art anzunehmen. Theoretisch klappt so etwas und hört sich simpel an, die Praxis spricht ihre eigene Sprache. Sofort war sie auf der Suche nach Falten und Fettpolstern.

      „Egal“, entfuhr es ihr. Es war mittlerweile 23.00 Uhr und sie war hellwach.

      Während sie den Flur durchquerte, bemerkte sie das Lämpchen des Anrufbeantworters. Das Klingeln vorher war gar nicht zu ihr durchgedrungen. Drei Nachrichten, eine von Okka, die ihr mitteilte, dass Elfriede jetzt ansprechbar sei. Reent Saathoff, der ihr steckte, der Alte flippe aus, weil sie die Ermittlungen unterstützt habe, usw….und drittens der Alte selbst, blaffend, motzend wie immer, weit entfernt von irgendwelchen Führungsqualitäten. Sie sei krankgeschrieben und habe sich aus laufenden Ermittlungen rauszuhalten.

      „Blablabla“, dachte Tabea und schlenderte in die Küche, während Polizeioberrat Helmuth Hillerns weiterhin seinem Unmut auf ihrem Anrufbeantworter freien Lauf ließ.

      Tabea lief zum Fenster, öffnete Vorhänge und Jalousien. Sie stellte fest, dass eine wunderschöne Nacht über dem Moor und dem zu ihrem Grundstück gehörenden Wald lag. Es war nahezu windstill, der Mond stand hell am dunklen Himmel, die Sterne funkelten.

      Sie beschloss sich einen Tee zu kochen, mummelte sich in dicke Jacke, Hose und Schuhe und verließ mit Teepott in der Hand die Küche durch die Terrassentür. Sie setzte sich in einen der großen Korbstühle und starrte hinaus in die Nacht, während sie ihren wärmenden Tee schlürfte.

      Sie hatte den schönsten Platz zum Leben, den man sich nur vorstellen konnte, ein uraltes Bauernhaus, das jahrelang als Hauptschule genutzt worden war und später dann zum Verkauf stand, Pferdeweiden rundherum, einen Offenstall hinten auf dem Grundstück für ihre Stute, dahinter eine 6 ha große Wiese. Diesen Weg entlang der Wiese waren sie heute Morgen auch gegangen, entlang an ihrem Wäldchen, mit dem von Menschenhand geschaffenen See, vorbei an Wiesen, die irgendwann direkt ins Zwischenmoor führten.

      .....Feen oder Geister....

      Die Nacht war klar, die Luft so herrlich frisch. Irgendetwas irritierte sie plötzlich, es wurde merklich kälter, richtig kalt und zudem stieg ihr plötzlich der Geruch von brennendem Fleisch in die Nase.

      „Welcher Idiot grillt denn nachts um zwölf Uhr?“, entfuhr es ihr spontan.

      Immer intensiver wurde der Geruch, aber auch von alten Kohlen, die nicht richtig durchglühen wollten und mehr dampfend und qualmend vor sich hin vegetierten.

      „Keine Ahnung vom Grillen!“, murmelte sie vor sich hin und doch beschlich sie gleichzeitig ein ungutes Gefühl. Ihre direkten Nachbarn waren durch die Bank Spießer, keiner von denen würde nachts um zwölf Uhr an einem Wochentag grillen.

      Vor ihrer


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