Lost Places fotografieren. Peter Untermaierhofer
jedoch verliere ich durch den nötigen Beschnitt Teile der Bildränder sowie etwas Qualität.
Nikon D700, 24 mm, 0,6 s, f/8, ISO 1000
Nikon D700, 24 mm, 0,6 s, f/8, ISO 1000
6 Gibt es in der Architektur vor Ort besondere Formen, setze ich sie abstrakt in Szene. Zum Beispiel ergibt der Blick nach oben oft völlig neue Blickwinkel und Eindrücke.
Nikon D800, 14 mm, (1/1250, 1/400, 1/125, 1/40, 1/13 s), f/8, ISO 100
Nikon D800, 14 mm, (1/6, 0,6, 2,5, 10, 40 s), f/8, ISO 100
7 Ich vermeide ungewollte Flares. Flares – auch Lensflares oder Blendenflecken genannt – entstehen, wenn starkes Licht durch gering vergütete oder oft auch nur dreckige Linsen fällt. Sie sollten sie nach Möglichkeit schon bei der Aufnahme vermeiden. Wollen Sie Lensflares bewusst als Stilmittel einsetzen, ist dagegen natürlich nichts einzuwenden.
Nikon D700, 24 mm, 1/320 s, f/13, ISO 200
NIKON D800, 14 mm, 1/4 s, f/8, ISO 100
8 Ich nutze in der Nachbearbeitung nicht zu viel und nicht zu wenig HDR. Was dies genau heißt, erkläre ich Ihnen im nächsten Abschnitt.
Sony A300, 20 mm, 1/320 s, f/8, ISO 100
Nikon D800, 17 mm, 8 s, f/8, ISO 250
Fotografisch anspruchsvolle Bilder statt effektgetränkter Mainstream
HDR ist die Abkürzung für High Dynamic Range. »Dynamik« bedeutet in diesem Zusammenhang die Spanne zwischen dem dunkelsten und dem hellsten Punkt eines Bildes. Unser Auge ist in der Lage, einen hohen Dynamikumfang zu erfassen – viel höher, als dies aktuelle Kamerasensoren können.
HDR bezeichnet also ein Verfahren (bei Aufnahme und Bearbeitung des Fotos), mit dessen Hilfe Fotos erstellt werden können, die einen sehr breiten Dynamikumfang haben, der dem menschlichen Auge nachempfunden ist.
Das folgende Bild zeigt ein Beispiel: Die Lichtsituation vor Ort hatte eine hohe Dynamik – für ein Nicht-HDR-Foto hätte ich mich bei der Belichtung zwischen den Details im Halbdunkel des Esssaals oder den Details der weißen Fenstergardinen entscheiden müssen. Das HDR-Verfahren erlaubt mir, beides zu zeigen, und kommt damit meiner Wahrnehmung der Szenerie vor Ort viel näher. (Künstliches Licht war hier übrigens keine Option – Sie erinnern sich, wie wichtig mir die natürliche Wiedergabe der Lichtstimmung vor Ort ist?)
Nikon D800, 15 mm, (1/125, 1/40, 1/13, 1/4, 0,8 s), f/8, ISO 100 (siehe auch Seite 23)
Mit »HDR« wird aber auch ein bestimmter, meist über Filter oder Vorgaben in Bildbearbeitungsprogrammen zugewiesener Look bezeichnet, der sich so oft in der Lost Places-Fotografie findet, dass er das Genre tief geprägt hat. Dabei ist die Bedeutung von HDR immer noch dieselbe wie oben beschrieben, der Unterschied ist aber: HDR wird hier nur simuliert und verkommt so zum bloßen Effekt.
Das führt sehr oft zu sehr merkwürdigen Ergebnissen, sodass HDR inzwischen ein Synonym für schlecht bearbeitete, bunte Fotos mit unrealistischen Kontrasten geworden ist. Auch wenn dieser falsch verstandene und effekthascherische Einsatz von HDR inzwischen etwas aus der Mode gekommen ist, so ist er doch nach wie vor sehr verbreitet. Sie haben diese Bilder sicher schon oft gesehen, und sie mögen bei Ihnen im ersten Moment sogar einen Wow-Effekt ausgelöst haben.
Sony A300, 10 mm, 1/30 s, f/11, ISO 100
Meine Fotos von Lost Places definieren sich nicht über den HDR-Look, aber ich wende HDR als Technik an – wie oben gesagt, nicht zu viel und nicht zu wenig. Ich fotografiere ja auch, was ebenfalls typisch für das Genre ist, sehr gern weitwinklig, um den Raum als Ganzes einzufangen. Trotzdem haben für mich auch Detailaufnahmen ihren ganz besonderen Reiz. Und aufgrund der geringeren Dynamik im Bild brauche ich hierfür nicht mal HDR.
In diesem Buch geht es also darum, wie Sie besonders gute, stimmungsvolle Bilder von Lost Places machen. Dazu sind teilweise Techniken wie HDR notwendig, aber nicht zwingend. Ihr Ziel sollte nicht sein, HDR als Effekt einzusetzen (also einen Look zu kopieren), sondern Ihr Motiv bestmöglich wiederzugeben. Um dieses Ergebnis zu erreichen, werden Sie immer wieder das HDR-Verfahren nutzen.
Doch bevor ich hierzu weiter ins Detail gehe, erkläre ich Ihnen, was es mit dieser High-Dynamic-Range-Technologie auf sich hat, da Sie vielleicht noch nie damit in Berührung gekommen sind.
Nikon D800, 70 mm, 0,6 s, f/2.8, ISO 100
Warum sich HDR für Lost Places-Fotos so gut eignet
Die heutigen Bildsensoren digitaler Kameras können nicht mit dem Dynamikumfang des menschlichen Auges mithalten. Das macht es unmöglich, ein Motiv mit sehr großem Helligkeitsumfang als natürlich wirkendes Foto wiederzugeben. (Der Einfachheit halber klammere ich den Dynamikumfang Ihres Monitors, Druckers oder des verwendeten Papiers hier aus.)
Der maximal messbare Dynamikumfang in unserer Umwelt beträgt 23 Blendenstufen. In Zahlen: Der hellste Wert ist 223-mal, also über 8 Millionen Mal heller als der dunkelste Wert. Unser Auge kann einen Dynamikumfang von etwa 20 Blendenstufen abbilden – nur noch ein 1/8 davon (und das auch nur, weil es sich dynamisch an verschiedene Helligkeiten anpassen kann).
Eine hochwertige Spiegelreflexkamera schafft im RAW-Format je nach Qualität des Sensors maximal 15 Blendenstufen; das entspricht nur noch einem 1/32 dessen, was unser Auge vermag. Bei JPG-Bildern sinkt die Dynamik weiter auf 1/64 davon – 8,6 Blendenstufen, die in einer Aufnahme eingefangen werden können. Das bedeutet, der hellste Punkt ist gerade noch 512-mal heller als der dunkelste Punkt.
Hier setzt die High-Dynamic-Range-Fotografie an. HDR-Bilder bestehen im Grunde aus mehreren unterschiedlichen Belichtungen desselben Motivs, einer sogenannten Belichtungsreihe, die in ihrer Gesamtheit die Dynamik des Motivs abbildet (theoretisch bis zu 32 Blendenstufen, d. h., der hellste Punkt wäre bis zu über vier Milliarden Mal heller als der dunkelste). Nehmen wir das Foto des Esssaals auf Seite 20 als Beispiel: In jedem Foto der zugrundeliegenden Belichtungsreihe habe ich anhand einer entsprechenden Belichtung ein Detail herausgearbeitet (siehe Seite 23) – von der Struktur der weißen Gardinen in der dunkelsten bis zu Details im Halbdunkel in der hellsten Belichtung. Die einzelnen Bilder habe ich anschließend miteinander verrechnet, wodurch ein HDR-Bild entstand. Dieses HDR-Bild weist durch die angewandte Technik eine höhere Dynamik auf und entspricht dadurch mehr der realen Wahrnehmung.