Die Katze und der General. Nino Haratischwili

Die Katze und der General - Nino Haratischwili


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Aber jetzt verspürte sie keinerlei Lust nachzufragen, was den Vogelmann dazu bewogen hatte, sich an sie zu wenden.

      – Danke, murmelte sie halbherzig und warf ihm ein leicht erzwungenes Lächeln zu. Er starrte sie an, als könnte er sich von ihrem Lächeln nicht lösen, und so war sie gezwungen, seinem Blick länger als beabsichtigt standzuhalten, mit geringfügig nach oben gebogenen Mundwinkeln harrte sie aus, bis er seinen durchdringenden Blick von ihr abwendete. Er kniff die Augen fest zusammen, für einen Augenblick drang ihr sein fremder Geruch in die Nase. Eine Mischung aus herbem Rasierwasser und etwas Dinglichem, als wäre er ein Gegenstand und kein Mensch.

      – Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich habe mich gar nicht vorgestellt und überfalle Sie stattdessen mit meinen Meinungen. Ich will Sie nicht weiter stören, es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit, die sich hoffentlich in wenigen Augenblicken lösen lässt.

      Jetzt lächelte er zurück und entblößte zwei unnatürlich perfekte Zahnreihen.

      – Schapiro, Anatoli Schapiro, aber meine Eltern hätten sich wohl in meinem Fall den Vornamen sparen können, alle reden mich bloß mit meinem Nachnamen an, das ist seit meiner Kindheit unverändert. Da kann ich machen, was ich will.

      – Klingt wie ein Spitzname, und ich mag Spitznamen.

      – So habe ich das bisher noch nicht betrachtet, richtig.

      Sein Deutsch hatte einen kaum merklichen Akzent, aber sie konnte ihn nicht zuordnen, mochte ihn aber, es war das Einzige bisher, was ihr an diesem Vogelmann einladend erschien.

      – Sie sollten mehr spielen, sagte er auf einmal, als folge er einer nur ihm erkennbaren Logik. Der Satz ließ sie aufhorchen. Er bedeutete, dass dieser Mensch über sie informiert war, also keineswegs ein bloßer Zuschauer, und sie mochte es nicht, wenn man sie überrumpelte.

      – Sie scheinen ja auf dem Laufenden zu sein …, ihr Ton wurde etwas bissiger.

      – Nun ja, ich mache meine Arbeit stets gründlich.

      Der Vogelmann wirkte plötzlich gar nicht mehr so harmlos, so wie er den Satz sagte, in seinem heimatlosen Akzent, als wäre er nie in einer Sprache zu Hause gewesen.

      – Mein Vorgesetzter duldet keine Fehler, fügte er konspirativ hinzu. Diese Wendung der Unterhaltung gefiel ihr gar nicht.

      – Und worum geht’s denn eigentlich?, fiel sie ihm hart ins Wort. – Werbung mache ich keine, damit Sie das gleich wissen, fügte sie noch etwas milder hinzu. – Das werden Sie aber schon herausgefunden haben, wenn Sie Ihre Arbeit gründlich machen.

      – Aber nicht doch, lachte er auf, ein etwas unnatürliches, übertriebenes Lachen. – Natürlich nicht. So etwas Profanes würde ich einer guten Schauspielerin wie Ihnen niemals anbieten, und glauben Sie mir, mein Vorgesetzter, ich versuche, das Wort Chef zu vermeiden, das hört er nämlich nicht gern, verurteilt jede Form der Anbiederung zutiefst.

      – Eine Rolle dann also?

      – Nun ja. So kann man das auch formulieren, wobei … Das ist schwer in knappen Sätzen zusammenzufassen, dabei hatte ich mich auf das Gespräch vorbereitet, aber nach der Vorstellung bin ich ein wenig, nun ja, aufgewühlt, was in erster Linie Ihrer großartigen Schauspielkunst zu verdanken ist. Es geht um einen etwas eigenwilligen Auftrag, den er Ihnen äußerst gern erteilen würde und der sicherlich Ihre finanziellen Erwartungen übertreffen wird.

      – Oh Gott, ich hätte gleich darauf kommen sollen, dabei sehen Sie nicht unbedingt wie einer aus der Erotikbranche aus, sagte sie und trat die Zigarette mit der Spitze des Turnschuhs aus.

      – Wie bitte? Oh nein, nein, bitte, solch etwas Abwegiges dürfen Sie nicht annehmen! Verzeihen Sie, wenn ich so ein Missverständnis habe aufkommen lassen.

      Sie amüsierte sich über seine Ausdrucksweise und ließ ihn noch eine Weile mit den Worten ringen.

      – Es geht um eine kurze Aufzeichnung. Ein Video, maximal zehn Minuten. Sie müssen ein paar Informationen übermitteln. Wir können alles vertraglich festhalten, das versteht sich von selbst.

      – Ich verstehe nicht ganz … Was für ein Video soll es denn sein?

      – Mein Vorgesetzter hat ein Plakat Ihres aktuellen Stücks gesehen, er hat einen erschreckend wachen Blick, wissen Sie. Sogar wenn er hinter den verdunkelten Fenstern seines Wagens sitzt, entgeht ihm nichts von dem, was draußen vor sich geht. Nun, er sah dieses Plakat, auf dem zum Glück nicht nur die Hauptdarstellerin abgebildet ist, und ließ den Wagen anhalten. Sie weisen eine einmalige Ähnlichkeit mit einem Menschen auf, der in seinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt hat. Leider lebt dieser Mensch nicht mehr. Und mit dem Video möchte er eine kleine Wiedergutmachung leisten, das kann er Ihnen persönlich aber viel besser erklären.

      Er wollte fortfahren, doch sie unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung, bemühte sich aber um einen möglichst höflichen Ton:

      – Ich will Ihre Zeit nicht weiter beanspruchen, außerdem ist es nicht besonders gemütlich hier, und daher lehne ich das Angebot gleich dankend ab. Das klingt nach einer ziemlich verrückten und für meinen Geschmack zu persönlichen Geschichte, und ich bin zwar eine Schauspielerin, deren Job es ist, fremde Geschichten so zu erzählen, als wären sie meine, aber diese Geschichten kann ich nur erzählen, wenn ich eine Rolle habe. Die zufällige Ähnlichkeit mit einer Verstorbenen, so leid es mir auch tut, bietet mir diese Möglichkeit nicht.

      – Ich verstehe durchaus Ihre ablehnende und skeptische Haltung meinem Angebot gegenüber, aber ich kann leider nicht nach Hause fahren, ehe ich Sie nicht überzeugt habe. Mein Vorgesetzter duldet kein Nein.

      – Dann tut es mir leid, aber Ihr Vorgesetzter klingt nicht sonderlich sympathisch nach all dem, was Sie über ihn berichten. Lassen Sie uns reingehen, mir wird langsam kalt …

      – Sehr gerne. Erlauben Sie mir, Sie zu einem Restaurant Ihrer Wahl mitzunehmen und Ihnen weitere Details zu berichten, die Ihnen dabei behilflich sein werden, Ihre Meinung zu ändern. Zum Beispiel haben wir ja über das Finanzielle, das mein Vorgesetzter … Vorgesetzter klingt sicherlich etwas unschön, sehr unpersönlich, Pardon, er hat natürlich einen Namen: Alexander Orlow. Vielleicht haben Sie den Namen bereits gehört.

      – Sollte ich?

      – Nein, nicht zwingend.

      – Also, vielen Dank für das Angebot, aber …

      Sie machte einen Schritt in Richtung der schweren Tür.

      – Lassen Sie Sie mich wenigstens nach Hause fahren, wenigstens die fünfundvierzig Minuten Fahrtzeit können Sie mir opfern, oder?

      Fünfundvierzig Minuten? Das wurde ihr langsam unheimlich. Woher konnte er wissen, wo sie wohnte und wie lange sie von hier bis zu ihrer Wohnung brauchte? War er ihr gefolgt? Hatte er Leute über sie ausgefragt?

      – Da, wo ich herkomme, lernen die Enkelinnen früh von ihren Großmüttern, niemals zu einem Fremden in den Wagen zu steigen. Und meiner Großmutter habe ich schon immer geglaubt, sagte sie lachend und riss die Tür mit voller Wucht auf. Er grinste spöttisch, als glaube er ihr kein Wort, und folgte ihr wortlos ins Gebäude.

      Sie sah Sesilias Gesicht vor sich, ihre schönen, mit Altersflecken überzogenen Hände, ihre krumme Armhaltung, ihren schiefen Körper, den zu bezwingen sie täglich so viel Mühe kostete. Etwas zog sich in ihr zusammen. Ja, sie sollte noch einmal mit ihrer Agentin reden, sie musste irgendwas tun, irgendwas ändern. Sie musste ihre Ansprüche herunterschrauben, musste sie bitten, ihr neue Aufträge zu verschaffen, musste sich lieb und pflegeleicht geben. Sie sollte ihre Familie besser unterstützen, ihrer Großmutter helfen, wieder auf die Beine zu kommen, und die Sache mit Natalia wieder ins Lot bringen. Ihrer Mutter unter die Arme greifen, damit sie anfangen konnte, den Schuldenberg abzuzahlen. Sie sollte sich überlegen, was sie in drei Monaten machen, wohin sie gehen würde, welche Kompromisslosigkeit sie sich noch leisten könnte, wenn sie kein Dach mehr über dem Kopf hätte. Sie sollte die Trennung nicht mehr in kleinen Häppchen runterschlucken, sie sollte sie erbrechen oder sich nötigen, alles auf einmal hinunterzuwürgen.

      Sie


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