Die Katze und der General. Nino Haratischwili

Die Katze und der General - Nino Haratischwili


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sie solch warme Gefühle für diesen merkwürdigen und undurchschaubaren Mann hatte hegen können. Aber von der gesamten »Armada« ihres Vaters, wie sie seine Gefolgschaft zu nennen pflegte, hatte sie, neben ihrer Ziehmutter Asja, ausgerechnet ihn auserkoren, hatte es ausschließlich ihm gestattet, ihr nahezukommen. Sie hatte mit ihm keine Spiele gespielt, hatte ihn nicht an der Nase herumgeführt, sonst ihre Lieblingsbeschäftigung, wenn sie in die Welt ihres Vaters eintauchte. Ich hatte immer danach gesucht, nach diesem gewissen Etwas, das sie an ihm hätte interessieren, berühren können, aber nichts gefunden, ganz im Gegenteil: Aus seiner ganzen Entourage schien gerade dieser Mann mir am zwielichtigsten, derjenige, bei dem es einem am schwersten fiel, ihm Sympathie entgegenzubringen. Denn er bedurfte keiner Sympathie, dachte überhaupt nicht in solchen Kategorien.

      Ich ging auf ihn zu. Seinen kalten Augen ausgesetzt, spürte ich erneut meinen Widerwillen, den ich schon früher empfunden hatte, immer wenn er in meine Nähe gekommen war.

      – Hallo Onno, sagte er in seinem leicht süßlichen Deutsch. – Ich habe auf dich gewartet.

      Ich versuchte, den Schauer, den mir seine Stimme über den Rücken jagte, zu überspielen, grinste unpassend und zuckte mit den Achseln, ohne zu wissen, warum. Seine eisblockkalte Höflichkeit war seit unserem letzten Aufeinandertreffen kein bisschen getaut.

      – Hallo Schapiro, sagte ich und begann, mit der freien Hand nach meinem Schlüsselbund in der Jackentasche zu suchen. – Lange nicht gesehen, fügte ich ziemlich ungelenk hinzu.

      Ich wusste nicht, mit welchen Worten ich mich an ihn zu wenden hatte. Nach all dem, was passiert war, tauchte er plötzlich aus der Versenkung auf, wie ein Relikt, ein Untoter aus einer anderen Ära, und seine Existenz in dieser neuen Zeitrechnung verstörte mich zutiefst.

      – Ich würde dich, wenn du nichts dagegen hast, in die Wohnung begleiten und dir dort mein Anliegen unterbreiten.

      Ich dachte an die ungewaschenen Teller in meiner Küche, an die Mausefalle im Flur, an die dreckige Wäsche im Bad, an die staubigen Bücherstapel im Schlafzimmer, an die Armeen leerer Flaschen in allen Räumen. Aber bevor ich verneinen konnte, wurde mir die Lächerlichkeit meines Widerstands klar: Ich hatte längst keine Geheimnisse mehr, schon gar nicht vor diesem Fährmann und seinem mächtigen Befehlshaber. Es war lächerlich, etwas von mir nicht preisgeben zu wollen, was sie längst in Erfahrung gebracht hatten. Da er bereits hier war, konnte ich davon ausgehen, dass er alles hatte, was er wissen musste, und ich nickte ihm zu. Er machte daraufhin ein kaum merkliches Handzeichen in Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite, wo zwei Sicherheitsmänner in dunklen Anzügen vor einem schwarzen gepanzerten Audi auf ihren Chef warteten, die mir erst auffielen, als ich seiner Handbewegung mit dem Blick folgte.

      Über den Hinterhof gelangten wir ins vollgesprayte Treppenhaus und dann in den vierten Stock, in dem meine Wohnung lag, die ich seit einem knappen Jahr gemietet hatte, nachdem mir die letzte unerträglich geworden war. Aber wahrscheinlich war ihm dieses Detail ebenfalls bekannt.

      Der leicht modrige Geruch stieg einem in die Nase, sobald ich die Tür aufsperrte, aber er beherrschte die Regeln zu gut, um sich etwas anmerken zu lassen.

      In der Küche fand ich noch eine saubere Tasse und bot ihm das einzige Getränk an, das ich zu Hause hatte und das er zufälligerweise auch als einziges literweise zu sich nahm: schwarzen Tee. Er bedankte sich höflich und bemühte sich, seinen starren, dennoch immer neugierigen Blick nicht umherschweifen zu lassen.

      – Ich werde nicht viel von deiner Zeit beanspruchen. Ich komme gleich zur Sache und erläutere dir den Grund für meinen unerwarteten Besuch.

      Manchmal, erinnerte ich mich plötzlich, hatte er mich durch seine merkwürdig umständliche Art zu reden und seine unerwartete Wortwahl überrascht, ja gar amüsiert, auch jetzt entlockte er mir ein unmerkliches Lächeln, ich merkte, wie sich die Anspannung in meinem Körper langsam löste.

      – Alexander schickt mich, aber ich nehme an, das wirst du dir denken, begann er und beobachtete meine Hand ziemlich genau, wie sie den Teebeutel in die Tasse sinken ließ.

      – Ja, das habe ich vermutet, sagte ich und unternahm einen Versuch zu lächeln. Auch dass er seinen Kommandeur als Einziger »Alexander« nannte und nicht, wie alle anderen um ihn herum, »General«, hatte mich schon damals vergnügt.

      – Er möchte, dass ich dir ausrichte, er sei nun bereit, fuhr er fort und verharrte in einer abwartenden Stellung, wie ein Raubtier, das seine Beute fixiert.

      – Bereit zu was?

      Ich kippte ziemlich hastig das heiße Wasser in die Tasse.

      – Er ist bereit, deinem Wunsch nachzukommen.

      Ich war wirklich verwirrt, ich war keine Sekunde versucht anzunehmen, dass er sich bereit erklären würde, die Zeit zurückzudrehen, denn wenn er meinem Buch zustimmen würde, als dessen Hauptfigur er einst vorgesehen war, in dem die Wahrheit enthalten sein sollte, würde dies nichts weniger bedeuten, als: ein Zurückdrehen der unsichtbaren Uhrzeiger. Und das war nicht einmal dem allmächtigen General vergönnt. Ich sah Schapiro verwundert an, während er mit gespitzten Lippen auf die heiße Flüssigkeit blies.

      – Ja, ja, setzte er erneut an, als hätte er meine Zweifel erraten. – Es geht um das Buch, um dein Buch.

      – Aber …

      – Lass mich ausreden!, schnitt er mir abrupt das Wort ab. – Du musst zuerst eine Person dazu bringen, Alexanders Wunsch zu erfüllen. Deine Überzeugungsgabe wirst du hoffentlich nicht verloren haben, fuhr er in sachlichem Ton fort und ließ dabei seinen starren Blick auf meinem Gesicht ruhen, und ich konnte das unausgesprochene »noch« durch seine Gedanken huschen sehen.

      – Was für eine Person und bei welchem Wunsch?, versuchte ich ebenso sachlich zu antworten.

      Und in ein paar nüchternen Sätzen, dabei fast geräuschlos seinen Tee trinkend, erläuterte er mir, dass der mächtige, unerschütterliche Alexander Orlow, von allen nur der General genannt oder in der westlichen Presse auch »der schwarze Papst« – dass der Mann, der mein Leben in Trümmer gelegt hatte, die »Wiederherstellung der Gerechtigkeit« in einer persönlichen Geschichte aus seiner sagenumwobenen Vergangenheit anstrebe, nein, nicht anstrebe, ersehne, ja, sogar unbeirrbar verfolge und diesbezüglich einen Plan habe, in dem für mich ebenfalls eine Rolle vorgesehen sei. Die des Beobachters, des Berichterstatters, diese Rolle habe ich doch stets gewollt, und, nun ja, damals habe mein Plan ja nicht funktioniert, aber diesmal gebe es einen Weg zur Erfüllung all meiner damaligen und hoffentlich auch jetzt noch bestehenden Träume, aber dafür müsse ich eben etwas tun, ich müsse für die Geschichte eine wichtige Figur aktivieren, deren Rolle für das ganze Vorhaben leider, oder zum Glück, äußerst wichtig sei, ohne die der Plan nicht aufgehen könne, und ohne den Plan würde es keine Geschichte geben, und ohne diese Geschichte wiederum sei mein Buch nicht denkbar. Das, wovon ich die Person überzeugen sollte, sei nichts Großes, überzeugen sei sogar falsch in diesem Zusammenhang, es sei vielmehr eine Motivation, eine Schauspielerin, ein junges Ding, talentiert zwar, aber eine mit »Osthintergrund«, ich wisse schon. Sie sei nun mal einer Frau aus Alexanders Vergangenheit, die in dieser sehr persönlichen Geschichte eine zentrale Rolle spiele, zum Verwechseln ähnlich und deswegen von solcher Wichtigkeit. Sie müsse nur zustimmen, in einem Video mitzuwirken, das dann an alle Beteiligten verschickt werde, um sie ebenfalls zu aktivieren, wenn ich die Metapher richtig verstünde.

      Ich verstand ehrlich gesagt kaum etwas. Ich begriff nur, dass Begriffe wie »Plan« und »aktivieren« und »Figur« und »persönliche Geschichte« und »dein Buch« in Kombination mit Orlow nichts Gutes verhießen und schon gar nichts Einfaches. Ich begriff ebenfalls, dass dies nur die erste Bedingung war, die er mir stellen würde, um mir nur eine Halbwahrheit oder eine mehrdeutige Antwort vor die Füße zu werfen, auf die weitere folgen würden, aber ich konnte nicht anders, als eine gewisse Erregung zu verspüren, die meinen Körper in Beschlag nahm, mir ein paar Schweißtropfen auf die Stirn jagte und mir zum ersten Mal seit Jahrzehnten, so kam es mir vor, das Gefühl gab, wieder Teil von etwas Sinnvollem zu sein. Und dieses Gefühl wiederum erzeugte ein fernes Echo eines anderen Gefühls: das Gefühl, noch am Leben zu sein.

      Er


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