Land oder Leben. Claudia Heuermann

Land oder Leben - Claudia Heuermann


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Natürlich war das Haus renovierungsbedürftig, schlecht isoliert, ein paar Leitungen waren undicht, und das Dach musste erneuert werden. Aber all das sollte ja Teil des Abenteuers werden.

      Wir besiegelten den Kauf mit der eifrigen Unterstützung eines jungen Anwalts aus Woodstock, ohne den wir die unkonventionelle Prozedur nie durchschaut hätten. Doch Jeff, immer gut gelaunt und in seiner Freizeit Imker, wusste auf jede Frage eine Antwort und fand für jedes Problem eine Lösung. Mit seiner Hilfe waren alle nötigen Formalitäten letztendlich leichter und schneller erledigt als gedacht.

      Mit Urkunden und Papieren in der Tasche kehrten wir als stolze Hausbesitzer nun erst einmal zurück in die alte Heimat, um unsere Zelte abzubrechen. Wir kündigten unsere Wohnung, beauftragten eine Spedition mit dem Transport unserer bescheidenen Habseligkeiten und verabschiedeten uns von all unseren Freunden. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

      2. KAPITEL

      ANKUNFT UND NIEDERKUNFT

      Ich glaube, heute ist der Tag gekommen. Leila wollte schon am Morgen nicht raus. Jetzt steht sie mit gekrümmtem Rücken in der Ecke und gibt eigenartige Geräusche von sich. Es klingt wie ein Wimmern, und ich frage mich, ob sie Schmerzen hat. Sie dreht den Kopf, verdreht ihre schönen bernsteinfarbenen Augen und schaut mich flehend an. ›Tu was‹, scheint sie zu sagen. Ich bin nervös und weiß nicht, ob ich zu ihr gehen soll, ob sie meine Unterstützung oder lieber ihre Ruhe haben will. Ich bin mindestens so unruhig wie sie, es ist für uns beide das erste Mal. Hektisch beginne ich, die nötigen Sachen zusammenzusuchen. Plastikhandschuhe. Antibakterielle Flüssigseife. Saubere Handtücher. Jod. Auch einen Eimer mit warmem Wasser stelle ich bereit. Ich gebe Leila einen dicken braunen Vitamincocktail zur Stärkung – so steht es im Buch. Dann heißt es: warten.

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      Es ist nun fast ein Jahr her, dass wir unser Bauernhaus bezogen haben und mit Leidenschaft in das neue Leben eingetaucht sind. Dabei waren die ersten Wochen und Monate angefüllt mit Renovierungsarbeiten. Das undichte Dach des alten Hauses musste gedeckt, Kabel und Leitungen repariert werden. Auch die teils verrottete Außenfassade benötigte sofortige Aufmerksamkeit, in den Wänden schimmelte es bereits. Wir reparierten so viel wie möglich selbst, nur für einige wenige Spezialarbeiten ließen wir Experten kommen. Es gab nämlich nicht allzu viele Fachkräfte in der Gegend, und die wenigen, die es gab, kamen entweder immer zu spät, oder sie tauchten gar nicht erst auf. Wie Chuck, der langhaarige Dachdecker, der schon morgens nach Alkohol roch und eine Seite unseres Giebels mit Schindeln versah, doch dann nicht mehr gesehen ward. Sein Geld holte er auch nie ab (Rechnungen und Banküberweisungen stellten sich generell als unpopulär heraus), und wir konnten nur mutmaßen, was ihm wohl widerfahren war.

      »Vielleicht hat er einen besseren Job gefunden«, spekulierte der vierjährige Paul.

      »Oder er ist vom Dach gefallen«, argwöhnte Phillip.

      »Unsinn, sicher hat er so viel Arbeit, dass er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht«, stellte Tom klar.

      Ich enthielt mich eines Kommentars. Wir nahmen die Dinge selbst in die Hand, und obwohl es anstrengend war, sich um alles zu kümmern und dabei auch noch die Kinder zu versorgen, erfüllte uns die Arbeit mit Freude und Glück. Hier angekommen zu sein, den eigenen Hof aufzubauen und die Zukunft zu gestalten fühlte sich großartig an. Wir hatten es gewagt, fühlten uns frei und stark – und konnten alles schaffen!

      Tom erneuerte neben dem Dach die hölzerne Fassade samt blätternder Außenfarbe, während ich Innenwände und Decken reparierte und sämtlichen Räumen einen neuen Anstrich verpasste. Die zerbrochenen Glasscheiben wurden ersetzt, und danach brachten wir Kamin, Terrasse und schließlich auch die Scheune auf Vordermann. Da in der Wildnis keine Wasserleitungen verlegt waren, hatten wir eine eigene Quelle und Sickergrube. Zum Glück stellte sich hier alles als einigermaßen intakt heraus, und die sanitären Anlagen waren benutzbar. Die Stromversorgung funktionierte zu Beginn zwar nicht, eine Überlandleitung musste repariert, die Verbindung zum Haus hergestellt werden, doch da wir im Sommer einzogen, ließ sich damit leben – der Elektriker war bestellt.

      Bis dahin kochten wir über dem Feuer im Garten, gingen bei Sonnenuntergang schlafen und lebten im Rhythmus der Natur. Ich freute mich auf jeden neuen Morgen, freute mich darauf, die von der aufgehenden Sonne rot angeleuchteten Berge zu bestaunen und den Tag mit Tom und einem Bad im Fluss zu beginnen. Das Wasser des Esopus war kalt und glasklar, man konnte die bemoosten Steine auf dem Grund genau erkennen, ebenso wie die kleinen Forellen, die pfeilschnell hin und her flitzten. Zu dieser frühen Stunde hingen noch Nebelfetzen über dem Wasser und zwischen den Bäumen, und die kleine Bucht, die wir gleich zu Anfang für uns entdeckt hatten, bekam etwas absolut Magisches. Nach der morgendlichen Erfrischung tranken wir bitteren Cowboykaffee und frühstückten Äpfel direkt vom Baum. Und dann hämmerten, pinselten, spachtelten und schliffen wir wieder, bis es dunkel wurde.

      Es waren aufregende, intensive und schöne Wochen, und an manch einem Abend sanken Tom und ich uns nach getaner Arbeit glücklich und erfüllt in die Arme, spürten die warme Erde unter unseren Körpern und waren uns und der Natur so nah wie nie zuvor.

      »Hörst du das?«, wollte ich an einem dieser Abende wissen.

      »Hmm. Klingt wie eine Banshee.«

      »Das war irgendein Tier.«

      Wir lagen eng umschlungen im Dunkeln auf der Wiese neben unserem Haus, die warme Luft roch nach Lagerfeuer und geschnittenem Gras. Es war spät, fast Mitternacht, aber wir wollten den Tag noch nicht beenden. Wir schauten in den Himmel, sahen die Abermillionen Sterne an, selbst die Milchstraße war gut zu erkennen. Wir konnten das Universum fühlen.

      »Huh-hu-hu-huuarrr«, klang es wieder, viel näher als vorher.

      Ich versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, schaute in die Richtung, aus der das Heulen gekommen war. Nichts. Nur die Schatten der Bäume konnte ich ausmachen, wie eine schwarze Wand ragte der Wald in einiger Entfernung auf. Ich hatte plötzlich genug vom Draußensein.

      »Lass uns reingehen, okay?« Ich stand auf und sammelte unruhig meine Sachen ein.

      Da war es wieder. Eindringlich und laut. Diesmal kam es von oben.

      »Ich hab’s doch gesagt, es ist ein Geist«, rief Tom halb erschreckt und halb amüsiert, als ein großer schwarzer Schatten über uns hinwegsegelte.

      Wir vernahmen hier viele nie gehörte Geräusche, furchterregend zuerst, dann aber immer vertrauter. Wie diesen gruseligen Schrei des Streifenkauzes. Und das noch unheimlichere Heulen der Kojoten, die manchmal bis zum Haus kamen. Wenn sie mit ihrem Rudel, mit ihren Familien kommunizierten, dann schallte es wie ein hohes Jammern, manchmal wie ein gespenstisches Lachen oder auch wie menschliches Schreien durch die Nacht. Und dann war da dieses lang gezogene, laute und klägliche Pfeifen, von dem wir erst später lernten, dass es von winzigen Baumfröschen, den spring peepers, herrührte, die so ihre Weibchen anlockten.

      Manche der nächtlichen Rufe und klagenden Schreie haben wir nie identifizieren können, aber wir wussten, dass es hier Luchse, Füchse, Bären und angeblich sogar Berglöwen gab.

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      Ich warte noch immer, eine Ewigkeit scheint vergangen. Leila steht unverändert, nun schon seit über einer Stunde, nur ihr Stöhnen und Wimmern ist zu hören. Ab und an stampft sie auf den Boden. Dann geht ein Ruck durch ihren Körper. Ich bemerke, dass ein schleimiger Faden aus ihrem Hinterteil heraushängt, auch Blut ist zu sehen. Es geht los.

      Im Kopf gehe ich alles durch, was ich zuvor in meinem Ratgeber gelesen habe. Ich kann mir plötzlich überhaupt nicht vorstellen, im Fall einer Komplikation in die Vagina zu greifen, um das Baby umzudrehen oder dessen Beine zu ordnen. Was, wenn irgendetwas schiefgeht? Bitte, lass alles gut gehen, schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel, während ich nervös und voller Spannung erwarte, was als Nächstes passieren wird.

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