Land oder Leben. Claudia Heuermann

Land oder Leben - Claudia Heuermann


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fragte mich, was ihm wohl schon alles in seiner Berufslaufbahn widerfahren war. Wenn Bradley sprach, krochen näselnd-singende, fragende Sätze aus seinem Mund.

      »Das wird nicht einfach, hmm?«

      »Okay, erklären Sie mir mehr.«

      »Das sind viele da oben, zu viele, nehme ich an?«

      »Deswegen habe ich Sie ja angerufen.«

      »Die kommen da nicht einfach raus, nicht alle, verstehst du?«

      »Ich weiß nicht, Sie sind der Experte, Sie sollen das Problem lösen.«

      »Sie haben da ihre Nester, für ihre Familien?«

      »Keine Ahnung.«

      »Mütter mit Jungen?«

      »Ach so.«

      »Kot und Urin, siehst du die Flecken an der Decke?«

      »Verstehe.«

      »Die Löcher müssen wir finden, willst du sehen, was ich im Auto habe?«

      Das wurde mir jetzt irgendwie unheimlich. Tom war in Woodstock, sonst hätte er das regeln können, aber so ging ich eben mit Bradley zum Auto, wo er ein ausgestopftes Flughörnchen aus seiner Werkzeugtasche holte. Er begann, es leidenschaftlich zu streicheln.

      »Ich habe sie zu Hause, meine Schmusetiere, siehst du?«

      Genug davon. Ich wollte gar nicht mehr wissen. Ich ließ mir einen Kostenvoranschlag geben, verabschiedete mich und beschloss, dass Tom bei Bradleys nächstem Termin zu Hause sein würde.

      Bradley kam noch zweimal, schlängelte herum, stopfte das eine oder andere Loch in der Außenfassade und unterm Dach, doch an den nächtlichen Geräuschen änderte das nichts. So nahmen wir letztendlich auch dieses Problem selbst in die Hand, und von nun an waren unsere Abende und Nächte gefüllt mit dem Einfangen der kleinen, nachtaktiven Nager, die übrigens mit den Eichhörnchen verwandt sind. Mit Käfigfallen und Erdnussbutter fingen wir jede Nacht mindestens zwei der niedlichen squirrels, um sie dann viele Kilometer entfernt, auf der anderen Seite des Ashokan Reservoirs, wieder freizulassen. Dabei war es jedes Mal spektakulär, zu sehen, wie die Tiere den nächstbesten Baum erklommen, in Sekundenschnelle zur Spitze kletterten und von dort aus losglitten. Die Beine gespreizt, die Flughäute gespannt, segelten sie graziös durch die Luft und schnell außer Sichtweite. Ich glaubte fest, dass sie um diese Jahreszeit keine Babys auf unserem Dachboden zurückließen.

      Neben Bradley mussten wir in diesen Tagen noch einen weiteren Fachmann konsultieren, und zwar Hank, den Schornsteinfeger. Obwohl wir Holzofen und Kamin auf Vordermann gebracht hatten, stimmte etwas mit dem Abzug nicht, und wir wollten keinen Kaminbrand und schon gar keine Kohlenmonoxidvergiftung riskieren. Ich vermutete, dass die Flughörnchen irgendwo dort ihre Nester gebaut hatten, aber nur Hank konnte das klären. Hank war riesig, passte kaum durch die Tür und konnte Leitern und Werkzeuge mit einem Finger tragen. Er inspizierte den Ofen und den Kamin, konnte jedoch das Problem nicht gleich finden und bat um Zugang zum Dachboden, damit er den Schornstein auf Beschädigungen untersuchen konnte. Ich warnte ihn, aber er stieg hinauf.

      Es dauerte keine zehn Minuten, bis ich ein ohrenbetäubendes Getöse und Gepolter vernahm. Es hörte sich an, als würde ein Teil des Hauses einstürzen, und so ähnlich war es auch, wie ich kurz darauf mit eigenen Augen sah. Das ganze Schlafzimmer lag voller Schutt und Staub, Holzteile und Mörtelbrocken bedeckten Boden und Möbel, und in der Decke klaffte ein großes Loch.

      Hank, der Riese, stand auf dem Bett, mitten im Chaos. »Sie haben mich angegriffen«, stieß er fassungslos hervor. Er zeigte mir blutige Wunden an den Händen und im Gesicht sowie eine aufgerissene Hose, obwohl das alles durchaus auch beim Sturz durch die Decke hätte passieren können. »Die verdammten Flughörnchen haben mich angegriffen!«

      Plötzlich hatte ich unglaubliche Angst davor, dass er uns verklagen würde. Vorsichtig drückte ich meine Zweifel aus und vermutete, dass er vielleicht eher vor Schreck hingefallen oder gestolpert war und mit seinem Gewicht die Decke des darunterliegenden Raumes durchschlagen hatte. »Das ganze Zimmer ist jetzt kaputt«, fügte ich eingeschüchtert hinzu, doch das schien den empörten Hank nicht zu interessieren.

      Am Ende verklagte niemand jemanden, und Hank reparierte den Abzug, ohne ein weiteres Wort über die Flughörnchen zu verlieren. Tom und ich schliefen vorerst im Wohnzimmer, und das Loch in der Decke wurde eine Woche später von Chuck (dem langhaarigen Dachdecker) repariert, der plötzlich und ohne Erklärung wieder aufgetaucht war und, um seine Ehre zu retten, auf ein Honorar verzichtete.

      6. KAPITEL

      WILDER WINTER

      Als der erste Schnee fiel, verwandelte sich unsere graubraune Welt in eine blendend weiße. Nichts darin war mehr düster oder trübe, alles strahlte jetzt gleißend und hell. Die gefallenen Blätter und verwelkten Pflanzen waren verschwunden, verborgen unter eisigen Decken, und lediglich einige Spitzen ragten aus der weißen Pracht hervor. Noch nie hatte ich die Verwandlung so bewusst erlebt. Plötzlich sah nichts mehr aus wie vorher. Die weiten Hügel, die Wälder, die unberührte Landschaft – alles war in Weiß gehüllt, ein Weiß, das niemals grau oder matschig wurde.

      Wir tobten mit den Kindern durch diese verwunschene Welt, lieferten uns wilde Schneeballschlachten, bauten Schneemänner und fühlten uns, als würden wir unseren ersten echten Winter erleben. Fröhlich, aufgekratzt und voller Bewunderung. Wir wurden es nicht müde, immer wieder auf tellerartigen Schneeschuhen die tiefen verzauberten Wälder und Berge zu durchstreifen oder Schlittschuh auf unberührten Waldseen zu laufen. Oft zogen wir die Kinder auf hölzernen Schlitten hinter uns her, während sie, in Decken gehüllt, mit großen Augen um sich guckten. Wir begegneten dabei niemandem, nur einige Hirsche kreuzten manchmal unseren Pfad, schauten uns neugierig an und zogen dann ihres Weges. Ab und zu hörten wir in der Ferne den Ruf eines Kojoten. Die Wildnis rief, gar keine Frage.

      Wenn wir von unseren Streifzügen zurückkehrten, setzten wir uns gemeinsam vor den warmen Ofen, tranken heiße Schokolade und wärmten uns wohlig die Füße, während ich den Kindern von Buck, dem Hund, und seinen Abenteuern erzählte.

      Schon bevor der Schnee kam, hatten wir Unmengen von Holz gehackt. Doch die riesigen Stapel aufgeschichteter Scheite, die wir ums Haus herum aufgetürmt hatten, verbrauchten sich in diesen eisig-verschneiten Tagen schnell. Es war noch nicht mal Weihnachten, da mussten wir für Nachschub sorgen, wenn wir es weiterhin warm haben wollten. Das erste Holz stammte von drei umgestürzten Bäumen, die wir in der Nähe des Hauses gefunden, zersägt und zerhackt hatten. Nun mussten wir tiefer in den Wald gehen, um weitere Stämme zu finden, und zwar solche, die schon länger tot waren, denn das feuchte Grünholz eines frisch gefällten Baumes verbrennt nicht sauber, hatte Hank uns gelehrt. Zu viele Schadstoffe werden im Feuer freigesetzt, und es besteht die unterschätzte Gefahr eines Kaminbrands, wenn sich der entstehende Ruß im Schornstein festsetzt. Immer wieder werde er zu verheerenden, dabei völlig unnötigen Brandschäden gerufen, die er dann mühevoll reparieren müsse, hatte Hank mit erhobenem Riesenfinger gewarnt. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass uns so etwas je passierte! Sicherheitshalber besorgten wir uns ein elektronisches Feuchtigkeitsmessgerät, mit dem wir jedes Scheit kontrollierten, bevor es in den Ofen durfte. War es nicht knochentrocken und enthielt auch nur einige Prozent Wasser, wurde das Holz noch einmal für eine Weile in der Nähe des Ofens nachgetrocknet. Better safe than sorry, wie der Amerikaner sagen würde (übrigens eignete sich das Gerät auch hervorragend, um Flughörnchenurin in den Wänden aufzuspüren).

      So hackten, schleppten, stapelten und trockneten wir und sorgten dafür, dass das Feuer niemals ausging. Doch obwohl wir es uns so kuschelig warm und gemütlich gemacht hatten, kam uns der Winter irgendwann zu lang vor. Alles schien zu stagnieren, nichts bewegte sich (außer den schnell verbrennenden Holzscheiten), die Welt schien buchstäblich eingefroren zu sein, bis in alle Ewigkeit, so fühlte es sich an. Man konnte sich immer weniger vorstellen, dass dieser Zustand jemals enden würde. Vielleicht lag es daran, dass hier die Jahreszeit den Tagesablauf so sehr bestimmte, dass man am Ende nur noch seine Monotonie wahrnahm. Das ewige Holzhacken. Das Schneeschaufeln und Eisbrechen,


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