Land oder Leben. Claudia Heuermann

Land oder Leben - Claudia Heuermann


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Glas Ziegenmilch, das übrigens ganz hervorragend süß und frisch und kein bisschen ziegig schmeckte. Sie entschied schließlich nach einem langen Gespräch, dass ich würdig war, zwei ihrer geliebten Ziegen zu besitzen. Für je zweihundert Dollar – und das war ein guter Preis, denn die reinrassigen Tiere kosteten eigentlich doppelt so viel. Leila und Nelly hatten einige Lücken im Stammbaum, weswegen ich sie zum halben Preis bekam.

      »Jetzt gucken wir uns mal die Jungs an«, sagte Sister Pamela, als wir wieder im Stall waren, »die sind nämlich gerade heiß.« Sie erzählte mir, dass sich die beiden Böcke in der Brunst befanden und jetzt die Zeit zum Decken am besten sei. »So kommen die Jungen im Frühjahr zur Welt, das ist natürlich, so funktioniert es in der Natur.«

      Also statteten wir D’Arcy und Doodle einen Besuch ab, und oh, ihr Gestank und Benehmen passten wirklich überhaupt nicht in ein Kloster. Die beiden sahen zwar prächtig aus mit ihrem langen weißen Fell und den geschwungenen Hörnern, doch die Ausdünstungen, die sie verströmten, waren so intensiv, dass ich es kaum aushalten konnte. Ich musste an die frische Luft!

      »Wir müssen die beiden getrennt halten, denn sie sind verrückt nach den Mädels. Und du riechst es ja, sie stinken gen Himmel. Das wäre nicht gut für die Milch, wenn sie da in die Nähe kämen.«

      Doodle und D’Arcey rumorten in ihren Ställen herum, gaben interessante Grunzlaute von sich und schienen wie elektrisiert zu sein.

      »Ja, sie lieben die Paarungszeit«, klärte mich Sister Pamela auf. »Meist müssen sie auch mehrmals am Tag ran. Gleich ist es wieder soweit, das ahnen sie schon. Zwei der Mädchen sind bereit.« Sie grinste verschmitzt. »Sex ohne Ende, und dann noch all die Kunden, die ihre Mädels zum Bedecken bringen – da geht’s oft richtig rund, in unserem Liebesnest der ewigen Lust«, tönte es aus dem Mund der enthaltsamen Ordensfrau.

      Ich verabschiedete mich etwas überstürzt und verließ den Stall in einer Wolke aus Ziegenbockaroma, das mir garantiert noch Tage anhängen würde. Es wurde ja schon dunkel, und ich hatte noch einen weiten Weg vor mir. Außerdem hatte Leila ihr Abenteuer mit Doodle bereits hinter sich, als ich sie ins Auto springen ließ – ohne Nachwuchs würde sie schließlich keine Milch produzieren, hierin sind sich alle Säugetiere gleich. Nelly, die Jüngere, hatte noch ein Jahr Zeit bis zu ihrem Liebesurlaub und kam vorerst lediglich zur Gesellschaft mit.

      5. KAPITEL

      DAS WESEN HINTER DER WAND

      Die Ziegenschwangerschaft dauerte fünf Monate, während der wir die kalte Seite des Landlebens kennenlernten. Der farbenfrohe Indian Summer ging zu Ende, es wurde kühl und grau, und die Pflanzen um uns herum verdorrten. Die Landschaft sah mit jedem Tag brauner und farbloser aus, und die Wildgänse begannen, gen Süden zu ziehen. Ihre keilförmigen Formationen am Himmel, die sich schon vor ihrem Auftauchen durch die lauten, klagenden Rufe ankündigten, erfüllten mich mit Wehmut.

      Als die Tage kürzer wurden, schrumpfte auch die Begeisterung für unser neues Leben merklich. Aber natürlich mussten Farmarbeit und Tierpflege bei Dunkelheit und Minusgraden trotzdem erledigt werden. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich Frostbeulen an den Füßen, weil der Boden so kalt und das Haus so schlecht isoliert war.

      Etwa um diese Zeit hörten wir die Geräusche zum ersten Mal. Die Schritte hinter der Wand. Immer nachts zur selben Zeit, wie ein huschendes Laufen, aber lauter. Die Wand hinauf, dann über uns in der Zimmerdecke. Popp, popp, popp – fast wie ein Hopsen, als würde jemand über unseren Köpfen Seilspringen. Irgendetwas war mit uns im Haus. Ein Tier, glaubten wir. Aber welches? Ein Waschbär oder ein Wiesel vielleicht? Ein Opossum oder Ratten? Gab es eigentlich Ratten hier in der Wildnis? Ich wusste es nicht, und unsere Upstate N.Y. Wildlife Encyclopedia sagte nichts dazu. Ich musste es selbst herausfinden.

      Hinten im Kinderzimmer gab es eine kleine Kammer, von der aus eine hölzerne Luke in den Dachboden des alten Hauses führte. Es war wie der Eingang in eine unheimliche, verbotene Welt. Wir hatten einmal mit Schaudern hineingeguckt und die Luke schnell wieder verschlossen. Stockdunkel war es da oben, es roch nach jahrhundertealtem Staub, Schimmel und Mäusedreck, und man konnte sich nur kriechend auf dünnen Holzplanken ins Innere des niedrigen Raumes begeben.

      Dennoch beschloss ich nun, den Dachboden zu untersuchen. Ich musste wissen, was dort vor sich ging, wer oder was dort oben herumhüpfte und das Haus mit uns teilte. So zog ich mir eines Abends einen alten Overall an, band mir ein Tuch um den Kopf, steckte zwei Taschenlampen ein und erreichte über eine wackelige Leiter den Eingang in die Zwischenwelt. Ich schloss die kleine Luke hinter mir, damit nichts und niemand ins Kinderzimmer gelangen konnte, und war allein.

      Es herrschte stickige, muffige Stille. Die Dunkelheit war undurchdringlich, kompakt und fühlte sich fast an wie ein Wesen, ein Untier, das mich zu bedrängen schien. Selbst für jemanden, der nicht klaustrophobisch ist, war dies ein extremer Ort. Ich klemmte mir eine der Lampen zwischen die Zähne, schaltete sie ein und begann langsam und auf allen vieren vorwärts zu kriechen. Dabei musste ich mich unter Balken und durch Zwischenräume zwängen, die kaum größer waren als ich selbst. Dennoch schaffte der Lichtkegel es selten, die hintersten Ecken auszuleuchten, die mit Schleiern von Spinnenweben und Staub verhangen waren.

      Ich kroch weiter. Immer tiefer hinein in die dichte Dunkelheit. Unter meiner Hand spürte ich einen Widerstand, etwas zersplitterte. Ich richtete die Taschenlampe nach unten. Knochen, ein kleiner Schädel, wahrscheinlich von einer Maus. Weiter ging es, ganz langsam, und mit der Zeit verlor ich die Orientierung.

      Dann hörte ich von irgendwoher ein Geräusch. Ich konnte nicht sagen, woher es kam. War es nah oder weit weg? War es überhaupt im selben Raum? Oder kam es von draußen? Ich wusste es nicht. Ich wusste aber, dass ich mich weit vom Eingang entfernt hatte, von der Luke und damit der Sicherheit.

      Da war das Geräusch wieder, und jetzt erkannte ich es: Popp. Popp. Popp. Die Schritte, die Sprünge. Ich konnte immer noch nicht sagen, aus welcher Richtung sie kamen, aber sie klangen näher, als mir lieb war. Ich verharrte unbeweglich, und mir wurde auf einmal klar, was für eine schlechte Idee diese Unternehmung doch war. Ich hatte nichts mitgenommen, um mich zu schützen oder zu verteidigen, nicht einmal feste Handschuhe oder Ähnliches angezogen. Was, wenn das Wesen, das hier herumsprang, mich angreifen würde? Wenn es Junge hatte, die es zu beschützen galt, oder wenn es krank war?

      Jetzt stand mir der kalte Schweiß auf der Stirn, und ich bemerkte, dass ich keinen schnellen Rückzug antreten konnte. Ich begann, mich auf den Knien rutschend umzudrehen, doch es war schon zu spät. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Gestalt vorbeihuschen, am Deckenbalken krabbelnd, ein wendiges Wesen, wie ein Schatten, seltsam und flink. Kopfüber verschwand es aus meinem Blickfeld, dem Lichtkegel – wohin, ich wusste es nicht.

      Panik überkam mich. Kleine schwarze Gestalten, kopfüber an der Decke, so was kannte ich nur aus Horrorfilmen – wie der Babadook sah das Ding aus! Alle rationalen Inhalte verschwanden aus meinem Kopf, es gab nur noch einen Gedanken: Flucht! Bloß schnell raus hier, nur weg! Ich kroch, so schnell ich konnte, zurück Richtung Luke. Da versperrte es mir plötzlich den Weg. Klein, dunkel, teuflisch, mit riesigen Augen, die das Licht der Taschenlampe reflektierten.

      Ich schrie auf, die Lampe fiel mir aus dem Mund, und das Wesen verschwand in der Dunkelheit. Ich weiß nicht mehr, wie ich die letzten Meter zurücklegte, aber ich schaffte es bis zur Luke, öffnete sie, fiel, mehr als dass ich kletterte, in die darunterliegende Kammer und wischte mir Schweiß und Spinnweben aus dem Gesicht.

      Ich schloss die Luke über mir, und bei Licht betrachtet, konnte ich nicht glauben, dass ich mich so erschrocken hatte. Ich hatte die Gestalt erkannt. Wusste nun, wer im Dunkeln auf dem Dachboden hauste. Ich war da oben einem flying squirrel begegnet, einem Flughörnchen!

      Es war eindeutig wieder einer dieser Fälle, die einen Fachmann erforderten. Sofort rief ich bei Pestmaster Services in Woodstock an, und schon am nächsten Tag kam Bradley vorbei, der seltsamste Mensch, der mir je begegnet war. Creepy war das Wort, das ihn am besten beschrieb. Er sah ein bisschen aus wie Tom Selleck von der Serie Magnum, benahm sich jedoch weit weniger charmant. Er bewegte sich wie eine Schlange, verrenkte seinen Kopf, schlich hin und her


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