Land oder Leben. Claudia Heuermann

Land oder Leben - Claudia Heuermann


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dass es im Haus Schlangen gab. Anders als die Luchse, Füchse, Bären und Berglöwen schienen sie die menschliche Nähe und besonders unseren Keller zu mögen, und es dauerte nicht lange, bis Tom dort eines Abends die erste Begegnung machte. Er wollte Werkzeuge hochholen und trat fast auf das eingerollte Reptil, das in einer dunklen Ecke lag. Wir waren nicht schlangenkundig genug, um auf Anhieb zu erkennen, ob es sich um eine Giftschlange oder eine harmlose Gartennatter handelte, aber nach genauerer Betrachtung und einigem Blättern in unserem Tierführer beschlossen wir, uns lieber nicht zu nähern. Im Buch stand nämlich, dass es giftige Vipern in dieser Gegend gab, copperheads, die auch oft in der Umgebung von Menschen zu finden waren, da sie deren Holzhaufen und Steinmauern gern als Unterschlupf nutzten. Wir lasen, dass der Biss dieser weit verbreiteten nordamerikanischen Giftschlange zu den schmerzhaftesten Schlangenbissen überhaupt gehört, mit Nervenstörungen, Schwellungen, Übelkeit und Erbrechen einhergeht, zum Glück aber selten tödlich ist. Das war tröstlich.

      Im trüben Licht der Kellerlampe glaubte ich, den dreieckigen Kopf erkennen zu können, ebenso wie die charakteristische ockerbraune Färbung mit den kupferroten Streifen. Was, wenn dieses Tier nach oben in die Wohnräume gelangte? Wenn es in die Spielkisten der Kinder kroch oder in die Küchenschränke? Oder gar in die Betten, da war es doch am wärmsten! Was sollten wir denn jetzt machen?

      Verscheuchen? Bloß nicht! Es einfangen! Oder? Aber wie? Jemanden anrufen! Nein, einen Sack finden! Bloß keinen Sack, einen Eimer. Nein, eine Axt! Schnell!

      Die Schlange lag friedlich zusammengerollt auf dem steinigen Boden, während wir hektisch und ohne festen Plan die Kellertreppe hinauf und hinunter liefen. Schließlich ging ich nach oben, um nach den Kindern zu sehen, während Tom draußen nach der Axt suchte, doch als wir uns kurz darauf wieder im Keller trafen, fehlte von der Schlange jede Spur.

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      Die Geburt hat begonnen. Leila schnauft laut, läuft nun herum, dreht sich, und hinten ist bereits ein Teil der Fruchtblase sichtbar. Ich sehe zwei kleine Hufe darin und bin erleichtert. So soll es sein, das Baby liegt richtig herum, die Vorderbeine kommen zuerst. Jetzt kann ich auch einen winzigen Ziegenkopf erkennen, eingezwängt zwischen den kleinen Beinchen, und dann geht alles ganz schnell. Das Junge gleitet heraus, fällt ins frische Stroh, die Fruchtblase platzt. Alles ist voll Fruchtwasser und Blut, aber Leila dreht sich um und beginnt, das Kleine abzulecken. Gut so. Ich helfe ihr mit Handtüchern, tauche das Ende der abgerissenen Nabelschnur in einen Becher mit Jod, desinfiziere den ganzen Babybauch und schaue dabei auch nach dem Geschlecht des Zickleins. Männlich. Und da eine kleine Ziege selten allein kommt, geht es gleich weiter: Die nächste Fruchtblase erscheint, wieder sehe ich kleine Hufe, wieder atme ich auf. Leila legt sich während des gesamten Geburtsvorgangs nicht einmal hin, erledigt alles im Stehen und Gehen, und bald ist auch die zweite kleine Ziege da, weiblich diesmal. Ich trockne und desinfiziere auch sie und helfe beiden kleinen Tieren, das pralle Euter der Mutter zu finden. Das Euter mit dem lebensnotwendigen Kolostrum und der nahrhaften Milch, die sie zum Start ins Leben brauchen. Blutverkrustet ist es noch, alles ist schleimig und klebrig, doch schon bald werde auch ich die weiße Flüssigkeit aus diesem beutelartigen Organ quetschen, werde sie trinken und zu Käse, Butter und Joghurt verarbeiten.

      Ich packe die inzwischen ausgeschiedene Nachgeburt – einen Klumpen bläuliches, glitschiges Fleisch – in eine Plastiktüte und entsorge sie im Müll, obwohl mir das irgendwie falsch vorkommt. Manche Tierbesitzer lassen ihre Ziegen die eigene Plazenta fressen, was diese aus Instinkt tun, da in freier Wildbahn das blutige Fleisch hungrige Raubtiere anlocken würde. Das kommt mir in dieser Situation aber noch falscher vor, also weg damit. Ich räume auf, wische mit dem Handtuch alle Tiere noch einmal ab, gebe Leila Futter und verteile einen halben Ballen Heu – dann ist die Arbeit hier für heute getan, und es dauert nur wenige Stunden, bis die flauschigen weißen Zicklein munter durch den Stall springen.

      3. KAPITEL

      EIN TIERISCHES ABENTEUER

      Drei Monate nach unserer Ankunft hatten wir die Renovierung des Hofes weitestgehend abgeschlossen und konnten auf eine schmucke kleine Farm schauen: ein Haus wie aus dem Bilderbuch, in frischem Weiß, mit dunkelgrünen Fensterläden, umringt von Ahorn und Magnolien, Buchsbaum- und Rosenhecken. Auf den umliegenden Wiesen standen unsere Obstbäume voller saftiger Äpfel und Pfirsiche, und der große Garten war mit Tigerlilien, Schafgarben und wilden Kräutern übersät. Auch Gemüse sollte dort bald wachsen.

      In der Zwischenzeit hatte Tom einen Job als art handler im dreißig Kilometer entfernten Woodstock angenommen, der uns finanziell über die Runden half und ihm trotzdem noch genug Zeit zum Schreiben ließ, während ich mich ganz der Farmarbeit und den Kindern widmen wollte.

      Für Paul und Phillip war dies hier natürlich das Paradies. Sie lebten in einem Abenteuerurlaub ohne Ende, alles war aufregend und spannend, es gab so viel zu sehen, zu erforschen und zu erobern. Alte Bäume, Bäche, Felsen und Höhlen. Pfade im gründämmrigen Dickicht, von denen man nur ahnen konnte, wer sie ausgetreten hatte. Versteckte Lichtungen, steinige Buchten am nahen Fluss. Die Kinder konnten endlich all die Dinge tun, die früher nicht einmal im Urlaub gingen: Staudämme bauen, im See schwimmen, Tiere beobachten, Hütten im Wald errichten und an Seilen von den Bäumen schwingen. Manchmal beobachtete ich die beiden und konnte unser Glück nicht fassen. Es war wie ein Traum.

      Natürlich gab es nach wie vor jede Menge zu tun, und bereits vor unserem Einzug hatten wir uns einen gebrauchten Dodge Van gekauft, mit dem wir alle Besorgungen erledigten und mit dem Tom nun auch zur Arbeit fuhr.

      Eines Morgens standen beide Türen des Autos offen, obwohl Tom sicher war, dass er sie am Vorabend geschlossen hatte.

      »Bist du wirklich ganz sicher?«

      »Natürlich, ich habe doch extra noch geguckt, ob die Fenster zu sind.«

      »Fehlt was aus dem Auto?«

      »War ja nichts drin, aber es ist irgendwie sehr dreckig vor dem Sitz. Kann aber auch von meinen Schuhen kommen. Und ich weiß nicht, ich glaube, ich hatte einen Müsliriegel auf dem Armaturenbrett, der ist jetzt weg.«

      »Oh, dann waren es bestimmt die Kinder«, sagte ich erleichtert.

      Am nächsten Tag war einer der Seitenspiegel abgebrochen. Ich glaubte weder an Geister noch an böse Nachbarn, und als sich nur wenige Tage später mehrere breite Schrammen über die gesamte Seitentür zogen und das dicke silberne Metall tief eindrückten, da wurde mir mulmig. Ich stellte fortan sicher, dass unsere Haustür nachts gut verschlossen war, die Fenster verriegelte ich extra fest.

      In der folgenden Woche richtete ich an einem schönen, warmen Herbsttag die Küche ein. Die Sonne schien, ein paar Rotflügelstärlinge sangen lauthals vor dem offenen Fenster, und eine sanfte, waldige Brise wehte herein. Gut gelaunt packte ich die letzten Küchensachen aus und schaffte einen ganzen Haufen Müll – alte Regalbretter, Pappkartons und ein paar Essensreste – vor die Haustür zur späteren Entsorgung. Die Kinder spielten im Garten, ich hatte sie durchs Fenster im Blick. Die beiden sammelten die ersten fallenden Ahornblätter, je größer und röter, desto besser. Die Blätter an den Bäumen leuchteten in den verschiedensten Farben, von Grün über Gelb bis hin zu gleißendem Orange und knalligem Rot. Indian Summer hieß dieser Teil des Jahres hier.

      Ich beobachtete die Kinder eine Zeit lang und freute mich an der Idylle. Nach einer Weile wandte ich mich wieder der Arbeit zu und brachte noch eine Runde ausrangierten Krempel vor die Tür. Dort musste ich allerdings feststellen, dass die erste Ladung verschwunden war. Alles, samt großer schwarzer Tüte, einfach weg. Wie konnte das sein?

      Ich guckte mich um. Es war niemand zu sehen. Doch plötzlich bemerkte ich, dass es zu still war. Die Vögel waren verstummt. Auch die Kinder hörte ich nicht mehr. Selbst der Wind hatte aufgehört, in den Bäumen zu rascheln.

      Ich bekam eine Gänsehaut. Irgendetwas stimmte nicht. Alarmiert lief ich zurück in die Küche zum Fenster und sah hinaus. Die Sonne stand schon tief und schien durch die Bäume im Garten, durch die Blätter, die alle bewegungslos in der windstillen Luft hingen. Da standen Phillip und


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