Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


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geht doch nicht –«

      »Immerhin bin ich schuld daran, dass du damals das Abendessen im Zug verpasst hast. Jetzt sind wir quitt.« Grinsend sieht er zu, wie ich auch seine Doughnut-Hälfte verschlinge.

      »Was soll ich sagen.« Ich lecke mir die Finger ab. »Der Verzicht auf regelmäßige Mahlzeiten ist der Teil des Rebellinnen-Daseins, der mich am meisten stört!«

      »Gut, dass es nicht der Teil ist, in dem du mit dem unfassbar heißen Kerl durchbrennst.« Hunters grüne Augen funkeln. Er hebt mich hoch und wirbelt mich herum, bevor er meinen Hals küsst. Für einen winzigen Moment sind wir die zwei harmlosen Teenager, die von zu Hause abgehauen sind – doch dann nehme ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Hunter lässt mich herunter.

      »Dein Wechselgeld!« Der Bäcker läuft mit wedelnden Armen auf uns zu und ich atme erleichtert auf.

      Hunter nimmt die Dollarscheine entgegen, die der rotgesichtige Mann ihm reicht, und bedankt sich. Der Bäcker will sich schon umdrehen und zurück zu seinem Laden gehen, als sein Blick auf etwas zu unseren Füßen fällt. Er bückt sich und hebt die schmale Broschüre vom morgenfeuchten Asphalt auf. Doch bevor er eine Chance hat, die Schrift auf dem Deckblatt zu entziffern, reiße ich ihm die zusammengehefteten Papiere aus der Hand.

      »Wichtige Hausarbeit«, murmele ich und presse McCartys Bericht fest gegen meine Brust. Er muss aus der Innentasche meiner Jacke gerutscht sein, als Hunter mich herumgewirbelt hat. Der Bäcker sieht verwirrt von Hunter zu mir und fragt sich wahrscheinlich, warum ich eine Hausarbeit mit zu einem Date nehme, noch dazu an einem Wochenende. Doch zu meinem Glück beschließt er, dass ihn diese Dinge nichts angehen.

      »Na dann.« Der Bäcker verabschiedet sich mit erhobener Hand.

      Als er wieder in seinem Laden verschwunden ist, lehne ich meinen Kopf gegen Hunters Brust.

      »Tut mir leid«, sagt er geknickt. »Manchmal fühlt sich alles an wie ein Spiel. Und dann vergesse ich, wo wir sind. Wer wir sind.«

      »Bald sind wir nur noch wir

      Ich drücke seine Hand und versuche, McCartys Bericht wieder in meiner Jackentasche zu verstauen, doch die Blätter des Forschungspapiers flattern widerspenstig im Wind. Voller Abscheu betrachte ich die Hormonkurven, die in der kranken Welt von ReNatura beweisen sollen, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter eine Fehlentwicklung ist.

      Über uns steigt die Sonne langsam höher. Sie verdrängt die Sturmwolken und erinnert mich daran, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Denn Zeit ist unser einziges Ass im Ärmel.

      »Lass uns gehen«, sage ich grimmig.

      Nach ein paar Minuten biegen wir von der verlassenen Strandpromenade in eine Nebenstraße ein und passieren ein Schild mit der Aufschrift Seaview Hills.

      »Wer ist diese Angela eigentlich?«, frage ich. »Du musst sie doch ziemlich gut kennen, wenn sie uns einfach so aufnimmt.«

      »Nicht wirklich«, antwortet Hunter knapp. »Wir sind derselben Arbeit nachgegangen.«

      Hunters Gesichtsausdruck ist mit einem Mal abweisend, und ich bohre nicht tiefer, obwohl die Fragen, die ich schon gestern Nacht heruntergeschluckt habe, mir keine Ruhe lassen. Was ist das für eine Arbeit, bei der er sich diese Narben zugezogen hat, eine über seiner Wange und eine, die seine helle Augenbraue streift? Was für eine Arbeit macht Codenamen nötig? Doch ich wische die Gedanken beiseite. Stattdessen erinnere ich mich daran, wie salzig Hunters Lippen geschmeckt haben – nach Meer, Tränen, nach Verzweiflung und so etwas wie Liebe. Uns bleibt noch ein ganzes Leben für den Rest unserer Geheimnisse. Hoffentlich.

      »Warte mal.«

      Ich folge Hunters Blick zu einem Appartementkomplex, dessen Tor im Gegensatz zu den Eingangstoren der anderen gesicherten Anwesen um uns herum weit offen steht.

      »Ist das Angelas Adresse?«, frage ich.

      Hunter nickt. »Ich versuche besser mal, sie zu erreichen, bevor wir reingehen.«

      Er zieht sein altes Klapphandy aus der Hosentasche und tippt eine Nummer ein. Nervös spähe ich durch das Tor.

      »Wir sollten –«, beginne ich, doch Hunter steht nicht mehr neben mir. Ich schaue mich um und sehe, wie er mit dem Handy am Ohr den Bürgersteig auf und ab geht. Was verheimlichst du mir noch immer?

      Über mir werden Rollläden heraufgezogen und enthüllen Fenster, die auf mich herabstarren wie große, leere Augen. Mein Herz pocht. Die Seaview Hills erwachen zum Leben – und damit wird es höchste Zeit für uns, von der Straße zu verschwinden. Einen Moment lang bin ich hin- und hergerissen, mache einen Schritt in Hunters, einen in die entgegengesetzte Richtung. Dann schiebe ich mich vorsichtig durch das geöffnete Tor, gehe an einem parkenden Prius vorbei und bleibe vor der Eingangstür stehen. An der trostlosen Betonwand des Appartementblocks sind drei Klingelschilder befestigt, zwei davon ohne Namen. Neben der untersten Klingel stehtAngela Kent in handgeschriebenen Buchstaben.

      Plötzlich höre ich das Geräusch eines Motors herannahen. Mein Herz schlägt schneller, doch ich traue mich nicht, zur Straße zu sehen. Was, wenn gleich ein schwarzer Transporter um die Ecke biegt? Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, habe ich schon die Klinke der Haustür hinuntergedrückt. Sie ist nicht verschlossen. Atemlos stolpere ich hinein und presse mich gegen die kalte Wand. Das Motorengeräusch kommt näher und ich sprinte zu dem Fenster im Treppenhaus. Ich erreiche es gerade rechtzeitig, um einen Ford mit ganz normalem Kennzeichen um die nächste Ecke biegen zu sehen. Wer auch immer da gerade vorbeigefahren ist, sucht nicht nach der Verräterin und dem falschen Testleiter. Mein rasendes Herz beruhigt sich. Die Kristallisierer werden vermuten, dass wir nach unserer Flucht aus dem Zentrum den Zugschienen nach Norden gefolgt sind, zurück in Richtung New York. Sie haben keine Ahnung, wo wir sind.

      Ich laufe die wenigen Treppenstufen zurück ins Erdgeschoss und bleibe vor einer Wohnungstür mit Angelas Namen stehen. Überrascht sehe ich, dass sie nur angelehnt ist.

      »Hallo?« Ich hebe die Hand und klopfe, doch drinnen rührt sich nichts. Es ist ihr doch nichts passiert?

      Auf den Türrahmen ist eine Fünf mit einem Kreis drum herum gezeichnet. Als ich mit den Fingern darüberfahre, bleibt die staubige Farbe an meiner Hand zurück. Kohle. Was bedeutet das?

      Und wo bleibt Hunter?

      Irgendwo in der Ferne läuten Kirchenglocken. Sieben Mal. Sieben Uhr morgens. Also wird Luce mittlerweile seit neun Stunden vom Konsilium verhört. Ich denke an die Entschlossenheit, mit der sie Elias und dem Konsiliar entgegengetreten ist, und weiß, dass sie versuchen wird, stark zu bleiben. Für mich und für uns alle. Aber wie lange wird ihr das noch gelingen?

      Ich klopfe erneut an Angelas Wohnungstür, doch wieder bekomme ich keine Antwort. Zögernd drücke ich die Tür auf. Strecke den Kopf in die Wohnung, sehe mich um. Keine umgeworfenen Möbel, keine Kampfspuren. Meine Anspannung sinkt. Wahrscheinlich leiden Hunter und ich einfach unter Verfolgungswahn.

      »Angela?«, probiere ich es noch einmal. »Ich bin eine Freundin von Hunter.«

      Zaghaft trete ich in ein Wohnzimmer, das mit hellgrauem Teppich ausgelegt ist. Ein scharfer Geruch steigt mir in die Nase. An irgendetwas erinnert er mich. Vielleicht ist es Desinfektionsmittel? Ich gehe ein paar Schritte weiter. Und dann fällt mein Blick auf den Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand. Ein Laptop!

      Im Gehen nehme ich das Diktiergerät aus der Tasche. Alles, was wir brauchen, ist Zugang zum Internet, um den Menschen die Augen über unsere Regierung zu öffnen. Chloe Cremonte wird den Parteivorsitz verlieren, genau wie der Präsident seinen Platz im Weißen Haus. Denn noch werden die Leute sich dem verzerrten Weltbild von ReNatura nicht kampflos fügen!

      Ich klappe den Laptop auf. Wenn ich es schaffe, unsere Aufnahmen in jeden wichtigen Social-Media-Kanal zu laden, haben wir es geschafft! Ich überlege, wie ich Angelas Passwort umgehen kann, als sich anstelle einer Anmeldeseite eine eisblaue Schrift über den schwarzen Bildschirm zu ziehen beginnt.

      Man


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