Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


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erstrecken. Wie oft haben Yana und ich uns früher hier versteckt, wenn unsere Familien am Ende des Sommers zurück nach New York fahren wollten … Es wird nicht leicht werden, mein plötzliches Auftauchen zu erklären. Oder besser mein fünfjähriges Fernbleiben.

      Skye stöhnt leise und jeder andere Gedanke verschwindet aus meinem Kopf. Bitte sei nur noch ein einziges Mal stark! Ich betrachte den sanften Schwung ihrer Lippen, die dunklen Wimpern, die ihre geschlossenen Augen umrahmen. Und dann kann ich nicht mehr an mich halten.

      »Es tut mir so leid«, stürzt es aus mir heraus, während ich den Feldweg entlanghaste. »Ich hätte dir die Wahrheit sagen sollen … über Beth … deine Mum … was sie seit vier Jahren wirklich tut. Über den Ring. Über ihren Plan für euch beide.« Und jetzt habe ich vielleicht nie wieder die Chance dazu.

      Erneute Krämpfe schütteln Skyes Körper, als die ersten Straßen des Reservats in Sicht kommen. Ich beschleunige nochmals mein Tempo, bis ich endlich das Haus der einzigen Person erreiche, die Skye vielleicht noch retten kann.

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      Heb ihren Kopf an.« Ich höre jemanden stöhnen. »Vorsicht! Pass auf die Verbrennungen auf.« Kühle Finger befestigen einen Schlauch unter meiner Nase. »Bis morgen früh komme ich nicht an ein vernünftiges Beatmungsgerät. Du hättest sie ins Krankenhaus bringen sollen, Hunter!« Jemand streicht meine Haare zurück. Ich öffne die Augen und erkenne das Gesicht einer Frau. Ihre Stirn liegt in Falten, der Blick, mit dem sie mich mustert, ist konzentriert. »Immerhin muss sie sich nicht erbrechen. Das ist ein gutes Zeichen.«

      Wo bin ich? Doch bevor ich diese Worte über die Lippen bringen kann, wird wieder alles schwarz.

      Beißender Rauch dringt unaufhaltsam in meine Lunge. Ein scharfer Schmerz. Splitter. Das Krachen wütender Flammen in den Ohren, taste ich über den Teppich. Wo ist das Diktiergerät? Ich muss es fallen gelassen haben, kurz nachdem die eisblauen Buchstaben über den Computerbildschirm liefen und die Hölle auf Erden begann.

      Man muss wissen, wann man verloren hat.

      Der Rauch wird dichter, ich kann kaum noch etwas sehen. Das Diktiergerät! Meine Hand tastet verzweifelt über den Boden. Auf dem unscheinbaren Apparat sind die Worte gespeichert, die das Kartenhaus aus Lügen, in dem ich seit fünf Jahren lebe, zum Einsturz bringen können. Es darf nicht verbrennen! Meine Hand entzieht sich meiner Kontrolle. Ich spüre wieder, wie Tonyas Finger meinen entgleiten. Sehe sie fallen, sehe den Transporter mit den getönten Scheiben, der die Mädchen fortschafft. Mädchen, die ihre eigene Stimme behalten wollten und für die es in den Gläsernen Nationen bald keinen Platz mehr geben wird. Mädchen wie mich.

      »Skye!«

      Seine Stimme treibt meinen Herzschlag in die Höhe, als würde sich mein Körper noch einmal aufbäumen, um ihn nicht in diesem Chaos zurückzulassen.

      »Hunter«, flüstere ich, aber ich bekomme keine Antwort. Ich will mich aufraffen, will zu ihm, aber ich kann mich nicht bewegen, während das erstickende Feuer immer näher kommt. Lass mich nicht allein!

      Ich spüre Hunters Lippen auf meinen, unseren ersten Kuss in der kühlen Luft des Parks am Abend unserer Flucht aus dem Zentrum. Meine Finger streichen über sein Gesicht. Ich presse ihn an mich und atme durch den rauen Stoff seines Shirts den vertrauten Duft nach Pfefferminze ein.

      »Wir müssen sie aufhalten«, flüstere ich, bevor ein tiefes schwarzes Loch die Angst und Wut und Liebe, die mich zu erdrücken drohen, endlich verschwinden lässt.

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      »Skye!«

      Meine Augenlider flattern, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Ich spüre ein feuchtes Tuch auf meinem Gesicht.

      »Wir dürfen …« Meine Stimme ist rau wie zersplittertes Glas. »Wir dürfen nicht länger warten!« Als ich versuche zu schlucken, schüttelt mich ein heftiger Hustenanfall. Meine Brust zieht sich zusammen, und ich schnappe nach Luft, ohne atmen zu können.

      »Was passiert mit ihr?« Hunters Stimme klingt fern. »Warum geht es ihr immer schlechter? Verdammt, das kann doch nicht normal sein!« Der Raum verschwimmt vor meinen Augen – aber ich muss bei Bewusstsein bleiben.

      »Das Diktiergerät!« Meine Worte sind kaum mehr als ein Keuchen, doch das Aufleuchten in Hunters grünen Augen verrät mir, dass er mich verstanden hat. Er muss meine Aufnahme aus dem geheimen Konferenzraum veröffentlichen, die Welt muss von ReNatura erfahren – jetzt! Ich versuche, meine Hand nach ihm auszustrecken, und wieder entfährt mir ein Stöhnen.

      »Bring Hunter hier raus!«, befiehlt die strenge Frau. Eine jüngere Version von ihr taucht neben Hunter auf und fasst ihn sanft am Arm.

      »Ich gehe nirgendwohin!«, protestiert er.

      Ich will nicht, dass er geht. Ich will, dass er bei mir bleibt. Eine Nadel schiebt sich in meinen Handrücken. Meine Finger erschlaffen und geben den Stoff frei, den sie umklammert haben, während die Ränder des kleinen Zimmers wieder schwarz werden.

      Ich will nicht schlafen.

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      Die Uhr über dem Herd zeigt eins, als das Geräusch von Schritten die nächtliche Stille durchbricht. Ich springe auf.

      »Reka, wie geht es –«, beginne ich, doch es ist nicht die frühere beste Freundin meiner Mutter, die die Küche betreten hat.

      »Keine Sorge. Die Verbrennungen sind versorgt. Ma ist jetzt mit der Blutprobe auf dem Weg ins Krankenhaus.«

      Ich nicke erschöpft. Das Auto habe ich nicht wegfahren hören, ich muss also doch eingeschlafen sein. »Warum bist du nicht im Hauptquartier?«, frage ich. »Hat Beth dir endlich Urlaub gegeben?«

      Yana legt den Kopf schief. »Unwichtig. Sag mal, täusche ich mich, oder liegt gerade genau das Mädchen bewusstlos in meinem Bett, für das Beth dich ins Zentrum geschickt hat?« Ihr dichtes Haar fällt seitlich über ihre Schulter, wo der Flügel eines Vogels unter ihrem Shirt hervorblitzt. Die Natives halten den Vogel für den Herrscher der Erde. Yana Faray hält ihn für ein Protestsymbol gegen diejenigen, die sich benehmen, als wären sie diese Herrscher. »Will Beth die Kleine auf einmal nicht mehr haben?«

      Bei dem Gedanken an meinen Auftrag läuft ein Schauer über meinen Rücken. Ich sollte dafür sorgen, dass Skye das Zentrum als Rationale verlässt, nicht als Untreue. Wenn die Kristallisierer eine öffentliche Fahndung nach uns herausgeben und Beth das Gesicht ihrer Tochter in den Nachrichten sieht, wird sie sofort wissen, dass etwas nicht stimmt. Und dann …

      »Erde an Hunter?« Yana schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht herum.

      »Beth darf nicht erfahren, dass wir hier sind.« Ich bemühe mich, gefasst und ruhig zu klingen.

      »Was ist passiert?«

      »Es ist … kompliziert«, stammele ich.

      Yana stellt eine dampfende Tasse vor mir ab und setzt sich neben mich auf die Küchenbank. »Wenn du verlangst, dass ich meine Chefin hintergehe, solltest du mir besser einen guten Grund dafür liefern.«

      Yana vergöttert Beth, seit diese sie vor zwei Jahren beim Ring aufgenommen hat. Ich rühre in meinem Kaffee herum, schwarz, ohne Zucker. Beth würde mich umbringen, wenn sie wüsste, dass ich es Yana erzähle. Aber Beth wird mich sowieso umbringen … Müde fahre ich mir durch die Haare.

      »Skye ist nicht irgendein Auftrag. Sie ist Beths Tochter.«

      »Beth hat eine Tochter?«

      Yana reißt erstaunt die Augen auf. Ich kann es ihr nicht verdenken. Beth ist alles andere als ein mütterlicher Typ. Oder vielleicht ist dieser Teil von ihr auch einfach nur verschwunden in den vier Jahren, die sie nun schon damit verbringt, die Leben anderer Menschen aufs Spiel zu setzen, um Skye zurückzubekommen. Wie immer meldet


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