Rising Skye (Bd. 2). Lina Frisch

Rising Skye (Bd. 2) - Lina Frisch


Скачать книгу
ihr Vater nicht mit ihr abgehauen. Dann hätte sie nicht vier Jahre lang geglaubt, von ihrer Mutter verlassen worden zu sein – und Beth hätte nicht vier Jahre lang Zeit gehabt, einen stummen Hass auf mich zu entwickeln, weil ich ihr geblieben bin statt Skye.

      In der Küche herrscht vollkommene Stille, die nur durch das Ticken der Uhr unterbrochen wird.

      »Beth hat den Ring nicht aus Großherzigkeit gegründet«, sage ich schließlich. »Was sie tut, dient nur einem Ziel, und zwar sich selbst und Skye die Flucht zu ermöglichen.«

      »Deshalb musstest du dafür sorgen, dass sie eine Rationale wird?«, fragt Yana. »Damit Beth mit ihr problemlos die Grenze überqueren kann, ohne –«

      »Ohne eins ihrer eigenen falschen Traitmarks nutzen zu müssen«, beende ich ihren Satz. Die Bitterkeit in meiner Stimme lässt sich nicht verbergen. Yana legt ihre Hand auf meinen Arm.

      »Die Lösungen des Rings sind nicht ideal, aber immerhin tut Beth etwas, anstatt wie die Leute im Reservat bloß stillzuhalten und zu hoffen, dass die Kristallisierer von allein wieder verschwinden! Die Traits nehmen uns unsere Freiheit. Wir geben sie den Menschen zurück.«

      Ich zucke zusammen. »Die Traits nehmen uns unsere Freiheit.« Das ist es, was Abigail zu mir gesagt hat, als ich ihr das falsche R stach. Ich hatte keine Ahnung, ob es sie in Sicherheit bringen würde. Mit aller Macht versuche ich, Abigails Gesicht aus meinen Gedanken zu verbannen, aber wie üblich funktioniert es nicht. Wann werde ich dich endlich vergessen können?

      »Was auch immer Beth den anderen einredet«, sage ich und befreie meinen Arm aus Yanas Hand. »Was auch immer sie dir eingeredet hat, damit du glaubst, deine Arbeit für den Ring sei ein Dienst an der Menschheit: Vergiss es. Beth ist kein wohltätiger Engel. Sie weiß nur zu gut, dass unsere Traitmarks nichts als Tinte sind, die ohne Datentransmitter keinem Scan standhalten.« Hasserfüllt betrachte ich das R auf meinem eigenen Handgelenk. Eine nur fast perfekte Täuschung …

      »Aber das sagt sie den Kunden doch auch offen und ehrlich! Es ist die freie Entscheidung jedes einzelnen, das Risiko einzugehen.«

      »Du meinst die freie Entscheidung der Leute, die keine andere Chance mehr haben als uns?« Ich schiebe meinen Stuhl zurück und stehe auf. »Beth kann den Ring als Fluchthilfeorganisation bezeichnen, so viel sie will – aber wir sind Schlepper, nichts anderes. Wir lassen uns ein bisschen Tinte und eine Fahrt zur Grenze mit einem Vermögen bezahlen, das wir nicht nehmen müssten, wenn Beth –«

      Wenn Beth es nicht für Skyes und ihren Neuanfang brauchen würde … Mein Mund wird trocken. Noch drei Wochen. Wir haben noch drei Wochen, bevor die Testung offiziell endet und Beth uns in der alten Bibliothek erwartet. Ich muss so schnell wie möglich an neues Beweismaterial für ReNatura kommen. Wenn wir die Pläne der Regierung enthüllt haben, braucht Beth nicht mehr zu fliehen. Dann wird sie mir Skye nicht wegnehmen …

      »Und warum machst du dann mit?« Yanas dunkle Augen glänzen. »Wenn alles, was wir machen, so aussichtslos ist, warum hast du dich Beth dann überhaupt angeschlossen? Und warum hast du mich zu euch geholt?«

      Ich habe mich Beth nicht angeschlossen, ich hatte keine andere Wahl! Aber das kann ich nicht sagen, nicht einmal Yana. Ich kann nicht aussprechen, was mit Mum passiert ist. Nicht hier, bei den letzten Freunden meiner Eltern, die glauben, Sol Riviera sei noch am Leben. Ich kann sie kein zweites Mal sterben sehen.

      »Du wolltest zum Ring, vergiss das nicht«, sage ich kühl. »Ich habe versucht, dich nach Las Almas zurückzuschicken. Aber du wolltest die Gefahr, du wolltest nicht gehen, weil –« Ich stoppe mich gerade noch rechtzeitig. Es wäre unfair, Yana vorzuwerfen, dass sie raus aus dem Reservat wollte. Dass sie nicht zusehen konnte, wie ihre Mutter sich immer mehr abschottete, während ihr Vater gegen den Krebs verlor. Und ausgerechnet ich darf mir wohl kein Urteil über ungesunde Bewältigungsstrategien erlauben.

      »Ich wollte nicht gehen, weil du mich ebenso sehr gebraucht hast wie ich dich!«, ruft Yana.

      Ich senke den Blick. Vielleicht habe ich das.

      »Also ist dann alles vorbei?«, fragt sie schließlich. »Wenn du sie zu Beth bringst, hauen die beiden ab und der Ring ist Geschichte?«

      »Keine Ahnung. Vielleicht bestimmt sie einen Nachfolger.«

      Yana sieht mich forschend an. »Aber du wirst Skye nicht zu Beth bringen, richtig?«

      »Nicht, solange Skye das nicht will.«

      »Du bist in sie verliebt.« Yana lacht trocken. »Mein Gott, Hunter! Als ich die Tür aufmachte und dich sah, habe ich gedacht, dass deine Tarnung als Testleiter aufgeflogen ist. Nicht, dass du mit deinem Schützling getürmt bist und jetzt vorhast, dich gegen Beth Anderson zu stellen.« Yana mustert mich mit verschränkten Armen. Einen Moment lang bin ich unsicher, auf wessen Seite sie sich stellen wird. »Von mir erfährt Beth nichts«, sagt sie schließlich und ich atme erleichtert aus. »Aber wenn es stimmt, was du sagst, wird sie alles tun, um an Skye heranzukommen, ob mit oder ohne R. Und ihre Chancen stehen nicht schlecht.«

      »Ich weiß«, erwidere ich und denke an die Karte der Gläsernen Nationen im Hauptquartier, auf der blinkende Punkte die Kontakte des Rings markieren. Sie leuchtet so hell wie der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center. »Ich weiß …«

image

      Die Stimmen hinter der Wand verstummen. Ich lasse meinen Kopf zurück ins Kissen sinken. Was für ein Medikament auch immer die strenge Frau mir gespritzt hat, es muss im Laufe der Nacht seine Wirkung verloren haben. Leider. Ich schließe die Augen in der Hoffnung, so den pochenden Schmerz hinter meinen Schläfen zu beruhigen.

      Es war also nicht die ganze Wahrheit, was Hunter mir über Mum erzählt hat. Dass sie mit mir fliehen will. Dass sie meine Testung abgewartet hat, damit ich als Rationale ohne Antrag das Land verlassen kann. Wir sind Schlepper, nichts anderes. Auf einmal ergibt Hunters Verschlossenheit, wenn es um seine Arbeit geht, einen Sinn.

      Ich schließe die Augen und denke an die Abende, an denen Mum mir beigebracht hat, Fotografien zu entwickeln. An ihr Lächeln und ihre Wärme, in der ich mich zu Hause gefühlt habe. Beth ist kein wohltätiger Engel. Ich schüttle den Kopf und stöhne, als unter dem Verband eine Feuerzunge über meine Schulter leckt. Aber der brennende Schmerz ist nichts gegen das seltsame Ziehen in meiner Brust, das mir weismachen will, keine Luft zu bekommen, obwohl ich atme. Ist das normal bei einer Rauchvergiftung? Meine Hände fahren zu dem Schlauch unter meiner Nase und ich konzentriere mich auf den Rhythmus meines Herzschlags. Ich kann atmen. Keine Panik. Alles wird gut. Tränen laufen über meine Wangen, während ich dieses Mantra wiederhole und versuche, damit zu übertönen, was ich durch die Wand gehört habe.

      Meine Mutter hat sich nach ihrer gescheiterten Flucht nicht bloß versteckt und darauf gewartet, dass Hunter mich zu ihr bringt. Sie hat unsere Flucht vorbereitet, indem sie sich von verzweifelten Kristallisierungsgegnern für falsche Traitmarks bezahlen ließ, von denen sie wusste, dass sie einem Scan nicht standhalten würden. Sie hat Hunter gezwungen, als Schlepper zu arbeiten. Einen damals fünfzehnjährigen Jungen! Und mein Vater … mein Vater hat Sol Riviera erschossen. Ich beginne wieder, nach Luft zu schnappen. Das sind nicht die Eltern, die mich aufgezogen haben. Die nur das Beste für mich wollten und die mich geliebt haben. Das sind nicht die Menschen, die ich kenne.

      Als sich die Matratze unter mir zur Seite neigt, zucke ich zusammen. »Jetzt habe ich ihr auch noch wehgetan.«

      Ich öffne die Augen und sehe, wie Hunter aufspringt und sich durch die aschblonden Locken fährt. Ich habe ihn nicht hereinkommen hören.

      »Solange du keine Bombe unter meinem Bett zündest, kann ich so gut wie alles ertragen«, erwidere ich krächzend.

      Hunter lächelt erleichtert, als ihm klar wird, dass ich aus eigener Kraft aufgewacht bin. Doch dann mustert er mich besorgt. »Wie geht es dir? Sind die Schmerzen stark? Reka hat ein Medikament dagelassen, für den Fall –«

      »Hunter«, unterbreche ich ihn sanft.

      Die


Скачать книгу