Wie die Schwalben fliegen sie aus. Ursula Lüfter

Wie die Schwalben fliegen sie aus - Ursula Lüfter


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weibliche Hausangestellte gibt es inzwischen sowohl im deutsch- wie auch im italienischsprachigen Raum eine breite Forschung und zahlreiche Publikationen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt dabei in der Zeit vor der Jahrhundertwende, als die Anzahl der weiblichen Dienstboten in bürgerlichen Haushalten einen Höhepunkt erreichte. Das Augenmerk richtet sich vor allem auf die Hausarbeit als besondere Form der weiblichen Erwerbsarbeit, die den Frauen einerseits den Schritt in die ökonomische Selbstständigkeit eröffnete, gleichzeitig aber durch die meist enge Bindung an die Arbeitgeber die persönliche Freiheit auf ein Minimum reduzierte. Die Arbeit als Dienstmädchen fügte sich als Übergangszeit nahtlos in die Biografie der Frauen vom Land ein: vom Bauernmädchen zum Dienstmädchen und dann zur Hausfrau und Mutter – so zumindest wollte es die gesellschaftliche Norm.

      Das Phänomen der Dienstmädchen in städtischen Haushalten war zudem mit Migration verbunden. Die Migrationsforschung hat in den letzten Jahren zwar sehr an Aufmerksamkeit gewonnen, wird aber nach wie vor als Themenbereich behandelt, in dem es vor allem um männliche Erfahrungen geht.

      Die Verbindung von Migrations- und Dienstmädchenforschung und der zeitliche Schwerpunkt auf die für Südtirol politisch so bedeutsamen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts machen die vorliegende Untersuchung zu einer Pionierarbeit. Obwohl die zeitweilige Emigration von jungen Frauen sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch in der Nachkriegszeit verbreitet war,1 wurde dieses Phänomen von der historischen Forschung bisher kaum wahrgenommen.2 Für Südtirol gibt es diesbezüglich keine Untersuchungen. Dieses Versäumnis erklärt sich nicht zuletzt aus dem lange Zeit dominierenden ethnisch geprägten bzw. eingeengten Geschichtsbild. Innerhalb dieses Interpretationsrahmens konnte zwar die Arbeitsmigration der 50er Jahre in das deutschsprachige Ausland wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass in Zeiten, in denen der italienische Staat das Feindbild der Südtiroler Politik schlechthin war – und dies gilt für die Zeit zwischen 1920 und 1940 natürlich noch mehr als für die 50er Jahre – Südtiroler/innen einen Arbeitsplatz in einer italienischen Stadt annahmen, musste jedoch mit einem Tabu belegt werden. Nur so ist es zu erklären, dass trotz der großen Anzahl von jungen Südtiroler Frauen, die in diesen Jahren in italienischen Städten gearbeitet haben, dieses Phänomen in der zeitgenössischen Presse kaum vorkommt und auch im Nachhinein höchstens in Nebensätzen in historische Untersuchungen Eingang gefunden hat.3 Im so genannten kollektiven Gedächtnis der Südtiroler/innen hingegen waren diese Frauen doch immer präsent. So haben in den 90er Jahren verschiedene Dorf- oder Bezirkszeitungen die Lebensgeschichten einiger Frauen veröffentlicht und damit deren Erfahrungen ansatzweise sichtbar gemacht.4

      Die Geschichtsschreibung über das Südtirol der 30er Jahre ist bis heute vorwiegend ereignis- und politikgeschichtlich orientiert. Dies wurde schon des Öfteren als Defizit benannt. Die Forderung nach einer sozialgeschichtlichen Perspektive auf diese Zeit beinhaltet gleichzeitig die Forderung nach einer differenzierten Betrachtung der Ereignisse. Bis heute wurde dieses Postulat allerdings kaum durch empirische Untersuchungen eingelöst.

      Diese Studie nimmt für sich in Anspruch, dieses sozialgeschichtliche Defizit zumindest teilweise aufzufüllen. Dies und die frauengeschichtliche Perspektive, die darüber hinaus eingenommen wird, führen tatsächlich zu einigen neuen und durchaus überraschenden Einsichten, was die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Südtiroler Bevölkerung in den 30er Jahren betrifft.

      Wie viele Frauen aus Südtirol in der Zwischenkriegszeit in italienischen Städten gearbeitet haben, lässt sich nicht quantifizieren. Da gerade die Hausarbeit rechtlich kaum geregelt war und die meisten unserer Gesprächspartnerinnen nicht gemeldet waren, sind aus statistischen Quellen keine ausreichenden Informationen zu erwarten. Aus arbeitstechnischen Gründen mussten wir unser Interviewprojekt von vornherein auf bestimmte Dörfer bzw. Gebiete konzentrieren und können deshalb keine statistische Repräsentativität beanspruchen. Allerdings lässt sich aus den Aussagen der Interviewpartnerinnen schließen, dass es sich zumindest in bestimmten strukturschwachen Gebieten des Landes wie etwa im oberen Vinschgau um ein sehr verbreitetes Phänomen handelte.

      Bedeutend war das Phänomen auf jeden Fall, und das gleich in mehrerer Hinsicht:

      •Der volkswirtschaftliche Beitrag, den diese Frauen zur Ökonomie des Landes leisteten, darf nicht unterschätzt werden. Die meisten der befragten Frauen gaben an, den ganzen oder einen Teil ihres Lohns nach Hause geschickt und damit wesentlich zum Überleben der Familie beigetragen zu haben.

      •Die weibliche Arbeitsmigration in die italienischen Großstädte sehen wir als einen besonderen Aspekt des Modernisierungsprozesses, der die europäische Zwischenkriegszeit insgesamt geprägt5 und der in Südtirol in dieser Form einen Ausdruck gefunden und zur Wandlung des hiesigen Frauenbildes entscheidend beigetragen hat.

      •In den Erfahrungen und Erinnerungen der Südtiroler Dienstmädchen spiegelt sich außerdem ein interessanter Prozess der reziproken Kultur-Mentalitätsvermittlung wider, der bei Migrationsphänomenen immer von Bedeutung ist, in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – geprägt nicht zuletzt von der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol – aber natürlich eine besondere Rolle spielte. Die Integrationsleistung, die die Südtiroler Frauen erbrachten, reduziert sich nicht auf eine einfache Anpassung an die neuen Verhältnisse, sondern erschließt sich als komplexe Verknüpfungsleistung zwischen den Vertrautheiten und Dispositionen des Herkunftsmilieus und den Möglichkeiten, die sich durch die neuen sozialen, räumlichen und kulturellen Konstellationen ergaben.

      •Die Publikation befasst sich darüber hinaus mit zentralen Fragestellungen der Frauengeschichte. Die Jahre von 1920 bis 1945, um die es hier vorrangig geht, sind in politischer Hinsicht ausgesprochen dichte und unruhige Jahre, in denen der Einfluss der politischen Brüche und Zäsuren auf das Leben der Menschen wahrscheinlich unmittelbarer war als in anderen „ruhigeren“ bzw. stabileren Zeiten. Die Art, wie die jungen Frauen diese Rahmenbedingungen wahrnahmen und auf sie reagierten, weist einige Kennzeichen und Besonderheiten auf, die wir als geschlechtsspezifische Wahrnehmungsmuster von Politik zu verstehen und zu interpretieren versuchen.

      •Schließlich geht es um das Leben der Frauen selbst und insgesamt um die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen weiblicher Lebensplanung in Südtirol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir haben zwar nur eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen befragt, nämlich jene, die für eine mehr oder weniger lange Zeit in einer italienischen (Groß-)Stadt gelebt haben, in ihren Erzählungen begegneten wir jedoch häufig einem Grad von Autonomie und auch Widerständigkeit gegen zeitgenössische gesellschaftliche Normen, die uns erstaunt hat. Es war nicht immer einfach, die Selbstwahrnehmung dieser Frauen und unsere Sicht auf ihre Erfahrungen und Erzählungen auf einen Nenner zu bringen. Es war aber auf jeden Fall ein sehr spannendes Unterfangen, aus dem wir auch persönlich viel lernten.

      Unsere Gesprächspartnerinnen waren Frauen im Alter zwischen 60 und 95 Jahren aus allen Teilen Südtirols, die eine mehr oder weniger lange Zeit in einer italienischen Stadt im Haushalt beschäftigt waren. Der Großteil unserer Gesprächspartnerinnen arbeitete dort in den 20er, 30er und 40er Jahren; wir haben aber auch einige Frauen befragt, die erst nach dem Krieg eine Stelle in einer italienischen Stadt annahmen. Wir wollten uns damit die Möglichkeit verschaffen, einen genaueren Blick für Kontinuitäten und Unterschiede zu gewinnen.

      Insgesamt haben wir mit über sechzig Frauen themenzentrierte, lebensgeschichtliche Interviews geführt. Das Auffinden dieser Frauen war einfacher, als wir es uns vorgestellt haben. Im oberen Vinschgau hatten wir auf Grund persönlicher Bekanntschaften schon einige Kontakte, von denen wir ausgehen konnten. Für die anderen Landesteile suchten wir über Anzeigen in Lokalblättern ehemalige Dienstmädchen in italienischen Städten. Die Resonanz auf diese Inserate war unerwartet groß: Viele Frauen meldeten sich selber, sehr oft waren es die Kinder, meist die Töchter, die uns den Kontakt mit der Mutter vermittelten. Falls die Mutter schon verstorben war, erzählten uns die Kinder deren Lebensgeschichte und stellten Fotos, Briefe und andere Unterlagen zur Verfügung. Namen von ehemaligen Dienstmädchen wurden uns dann auch immer wieder im Gespräch genannt. Viele Menschen, denen wir von unserem Forschungsvorhaben erzählten, wussten uns weitere Namen zu nennen. Auch das ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich dabei tatsächlich um ein sehr verbreitetes Phänomen gehandelt hatte.

      Im Allgemeinen sind wir auf sehr große Gesprächsbereitschaft


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