Wie die Schwalben fliegen sie aus. Ursula Lüfter

Wie die Schwalben fliegen sie aus - Ursula Lüfter


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uns Frauen ein Interview mit dem Hinweis, dass sie darüber nicht reden wollten oder dass sie nichts mehr wüssten. Die meisten Frauen waren allerdings sehr erstaunt darüber, dass sich jemand für ihre Erfahrungen interessierte, freuten sich jedoch darüber, ihre Geschichte erzählen zu können.

      Die Offenheit, mit der uns die meisten Frauen begegnet sind, war außergewöhnlich. Wir vermuten, dass sich die Spontaneität und Flexibilität dieser Frauen nicht zuletzt durch ihre Erfahrungen in der „Fremde“ erklären lassen.

      Bei der Wiedergabe der Interviews haben wir uns einige Freiheiten genommen. Die Übertragung vom Mündlichen ins Schriftliche erfordert immer gewisse Eingriffe, den Dialekt der Frauen haben wir zugunsten der Verständlichkeit in die Umgangssprache übertragen, auch haben wir manchmal in die Reihenfolge der Erzählung eingegriffen und nachträglich eine chronologische Ordnung hergestellt. Insgesamt ist es uns darum gegangen, die Authentizität der Aussagen möglichst zu erhalten und zu vermitteln.

      Die zahlreichen Fotos in diesem Buch stammen zum Großteil von unseren Gesprächspartnerinnen. Jedes Bild hat eine ganz eigene Bedeutung. Sie drücken in ihrer Gesamtheit – manchmal viel besser als viele Worte – ein Lebensgefühl aus, das diese Frauen damals geprägt hat. Die Frauen hängen meist sehr an diesen Fotos und haben sie immer sorgfältig aufbewahrt, umso mehr danken wir ihnen für das Vertrauen, uns diese für einige Zeit zur Reproduktion zu überlassen.

      Die Gespräche mit den Frauen waren die zentrale Quellenbasis für diese Publikation. Wir haben allerdings versucht, durch die Hinzuziehung von Archivmaterialien die Erfahrungen der Frauen in einen größeren sozialen und politischen Kontext einzubetten und zu verorten.

      Im Aufbau des Buches orientieren wir uns am Konzept der „kollektiven Biografie“6, das heißt wir begleiten die Frauen auf ihrem Lebensweg von der Kindheit im meist bäuerlichen Milieu über die ersten Arbeitserfahrungen in Südtirol bis hin zu ihrer Stelle in einer italienischen Stadt und den damit verbundenen Erfahrungen. Ebenso fragen wir danach, wie sie die Rückkehr nach Südtirol erlebt haben und wie ihre Erfahrungen ihren weiteren Lebensweg geprägt haben.

      Auch wenn jede Lebensgeschichte etwas Besonderes ist, so lassen sich doch zentrale gemeinsame Themen ausmachen, die die Erfahrungen der Frauen kennzeichnen.

      Die Arbeitsmigration der Frauen war wirtschaftlich notwendig. Es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen Nachkriegs- und Weltwirtschaftskrise und der Entscheidung, einen Arbeitsplatz in einer italienischen Großstadt anzunehmen. Es war für sie aber auch eine Möglichkeit, die Enge ihrer Herkunftsverhältnisse zu verlassen, neue Erfahrungen zu sammeln, eine gewisse Selbstständigkeit zu erlangen und etwas von der Welt zu sehen. Sie interpretieren ihre Erlebnisse als wichtige und auch meist schöne Zeit ihres Lebens. Auch jene mit schlechten Erfahrungen möchten die Jahre oder Monate meist nicht missen, denn „so hat man wenigstens etwas von der Welt gesehen“.

      Die Lebensgeschichten dieser Frauen passen nicht so recht in das Bild der stabilen bäuerlichen und sesshaften bzw. heimatverbundenen Südtiroler Bevölkerung, welches die Literatur und die Geschichtsschreibung über dieses Land dominiert.

      Das Buch erzählt von der Herkunft der Frauen aus meist kleinbäuerlichen Verhältnissen über die Möglichkeiten und Formen der Kontaktaufnahme mit den zukünftigen Arbeitgebern bis hin zur aufregenden Reise an den neuen Arbeitsort.

      Der Kontakt mit der Stadt und das Leben dort waren für die meisten eine vollkommen neue Erfahrung, der sie sehr unterschiedlich begegnet sind. Da gab es jene, die wissbegierig durch Museen streiften, ins Kino gingen oder mit Freundinnen Ausflüge in die Umgebung machten, während andere kaum allein das Haus verließen und wenn, dann höchstens zu den angebotenen Treffpunkten in den örtlichen Klöstern gingen.

      Das „Freizeitverhalten“ der Frauen hing natürlich auch davon ab, wie sich das konkrete Arbeitsverhältnis und die Beziehung zu den Dienstgebern gestaltete. Die Hausarbeit war den meisten Südtirolerinnen durchaus vertraut, und doch gestaltete sie sich in den bürgerlichen Haushalten oft in einer völlig neuen und ungewohnten, oft auch unverständlichen Weise.

      Eine wichtige Fragestellung für uns war auch jene nach der Wahrnehmung des Politischen. Wie erlebten diese Frauen den unmittelbaren Kontakt zu Italienern in den Jahren des italienischen Faschismus, wie nahmen sie das Regime selber wahr? Dazu kamen von unseren Gesprächspartnerinnen nur vereinzelt direkte Hinweise, aber zwischen den Zeilen glaubten wir doch eine ganz spezifische Haltung zu dieser Dimension des Politischen ausmachen zu können. Die Politik beeinflusste den Lebensweg der Frauen auch in unmittelbarer Weise, insbesondere die Option im Jahre 19397 und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

      Eine Sprache zu finden, die den Erfahrungen und den Wahrnehmungen der Frauen gerecht wird, war nicht immer ganz einfach. Die Sprache als solche ist nicht geschlechts- und wertneutral8, das wurde uns bei dieser Arbeit in besonderer Weise bewusst. Wir mussten uns immer wieder um eine Balance zwischen Alltagssprache und historisch-politischer Korrektheit bemühen und sahen uns mit unbewussten Wahrnehmungen konfrontiert, die sich in sprachlichen Figuren niederschlagen.

      Es ging auch um eine Balance zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, um ein Verständnis der zeitgenössischen Wahrnehmung und das Bemühen um einen analytischen und theoretischen Blick aus der Distanz der Historikerin.

      Unsere Gesprächspartnerinnen, die zum Zeitpunkt ihres Dienstes zwischen 18 und 25 Jahre alt und unverheiratet waren, bezeichneten sich selber immer als „Mädchen“. In unserer Wahrnehmung hatten wir mit der Verwendung dieses Begriffes oft Schwierigkeiten und bevorzugten die Bezeichnung „Frauen“.

      Die Beschreibung eines Verhältnisses, welches zwischen Familie und Arbeitsmarkt angesiedelt ist, und die Bezeichnung seiner Protagonisten führte schon zu Beginn dieses Jahrhunderts in den entsprechenden Presseorganen zu einer Diskussion über die angemessenen Begriffe.9 Die unterschiedlichen Benennungen spiegeln unterschiedliche Grade von Abhängigkeit bzw. Unterwürfigkeit wider. Beim „Dienstmädchen“ kommt die Abhängigkeit in beiden Wortteilen zum Ausdruck, während „Hausmädchen“ im ersten Teil neutraler ist. Dienstmädchenzeitungen plädierten am Beginn des 20. Jahrhunderts für die Bezeichnung „Hausangestellte“. Auch die Bezeichnung „Herrschaften“ für die Arbeitgeber wurde als nicht angemessen abgelehnt, als Alternativen wurden „Hausfrau“ und „Hausherr“ vorgeschlagen. Auch die Bezeichnungen „Dienstgeber“ und „Dienstnehmer“ seien irreführend, „weil die Herrschaft in Wirklichkeit die Dienste des Dienstmädchens in Anspruch nehme, der Dienstbote aber seine Arbeitskraft gebe“.10

      Dienstmädchen, Hausmädchen, Hausangestelle, Hausgehilfin, Dienstbote – diese Begriffe sind außerdem sehr allgemein und sagen wenig über konkrete und oft sehr unterschiedliche Arbeitsrealitäten aus. Trotzdem haben wir sie, in Ermangelung von Alternativen, verwendet. Einige Tätigkeitsfelder lassen sich genauer definieren und auch entsprechend bezeichnen, wie eben Köchin oder Kindermädchen. Meist aber waren die Frauen für Haushalt und Kinder zuständig und im Haushalt wiederum in unterschiedlichem Ausmaß für die verschiedenen Bereiche. Wir haben uns für eine pragmatische Vorgangsweise entschieden: Wir hätten dieses Buch nicht schreiben können, hätten wir uns über jeden verwendeten Begriff genau Rechenschaft abgegeben. Ein wesentliches Kriterium, an dem wir uns orientiert haben, war der Sprachgebrauch der Frauen selber. In der Wiedergabe ihrer Erinnerungen haben wir die Bezeichnungen übernommen, die sie selbst gewählt haben, und haben diese in unseren Kommentaren zu den Erinnerungen auch nicht in Frage gestellt.

      „Wir haben in Italien gearbeitet“, sagten unsere Gesprächspartnerinnen einfach. Für uns war es nicht so einfach. Auch Südtirol gehörte seit 1920 formell zu Italien, der Ausdruck „in Italien“ ist deshalb historisch irreführend. Andererseits unterschied sich die Realität in Südtirol in sprachlich-kultureller Hinsicht in diesen Jahren zweifellos grundlegend vom restlichen Staatsgebiet. Von italienischen Städten zu sprechen, schien uns daher am ehesten angemessen, wenngleich die Formulierung damit oft etwas umständlich wurde.

      Mit dieser Arbeit wird nicht nur ein historisch wichtiger Abschnitt der Südtiroler Geschichte aus einer neuen Perspektive thematisiert, sie enthält auch einige Anregungen für die Wahrnehmung der Gegenwart. Auch in einem kleinen Land wie Südtirol ist die Einwanderung von Menschen


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