So bitter die Erkenntnis. Caroline Martin

So bitter die Erkenntnis - Caroline Martin


Скачать книгу
mit den quadratischen, großen schwarzen und weißen Fliesen, die den Boden in Form eines Schachbrettes schmückten, erkor Ines gleich – neben dem Arbeitszimmer, das absolut ruhig wie eine Oase zur Gartenseite hin gelegen war – zu ihrem Lieblingsraum, in dem sie in ihrer Freizeit der Kochleidenschaft frönen konnte.

      Sie musste diese Wohnung haben, die Heim und Inspirationsstätte zugleich zu sein schien, und genauso war es auch.

      Nach seinem Einzug hatte Felix seine Nachbarin auf ein Glas Wein zu sich eingeladen. Ines gefiel auch hier, was sie sah. Der Einrichtungsstil des Sängers entsprach fast ihrem eigenen. Auch sie fand es reizvoll, alte, restaurierte Möbel, denen man ihre Geschichte ansah, mit modernen, schlichten Einzelstücken und zeitgenössischer Kunst zu kombinieren, weil sie fand, dass die hohen Räume mit den schönen Holzböden auf diese Weise besonders gut zur Geltung kamen. Ästhetik spielte eine große Rolle in Ines’ Leben, und Felix traf auch hier genau ihren Geschmack. Die beiden stellten im Laufe dieses ersten Abends erfreut fest, dass sie sich bestens unterhalten konnten. Als sie sich nach Stunden beseelt voneinander verabschiedeten, taten sie das mit einem uneingeschränkten Gefühl gegenseitiger Sympathie.

      Während der nächsten Tage hatte Ines sich dabei ertappt, dass sie darauf lauschte, wann Felix nach Hause kam. Sie schalt sich neugierig, was ja auch stimmte, gestand sich aber gleichzeitig ein, dass sie sich deshalb für den Lebensrhythmus ihres neuen Nachbarn interessierte, um nur allzu gern Ähnlichkeiten mit dem ihren festzustellen. Beide waren Nachtmenschen und schliefen in den Vormittag hinein, das hatte sie schon herausgefunden. Als Theaterkünstler blieb Felix auch gar nichts anderes übrig, Ines als freiberuflich arbeitender Übersetzerin natürlich schon, aber sie liebte die Abendstunden, wenn die Stadt zur Ruhe kam, und fast schien es ihr, als ob Wörter und Bedeutungen dann leichter zu finden waren und sich besonders gern zu klangvollen Sätzen zusammenfügen ließen. Die Arbeit war ihr Leben und Ines’ Name hatte in Verlegerkreisen längst einen guten Ruf.

      Im Moment übersetzte sie einen kürzlich erschienenen Roman aus dem Englischen; eine tiefgründige Kindheitsgeschichte, in die sie selbst eintauchte und geradezu in ihr lebte. So erging es ihr mit fast allen Büchern, die sie bearbeitete, und inzwischen konnte sie unter vielen interessanten Stoffen wählen. Oft, wenn sie tief in der Nacht ihre Arbeit beendete, fühlte sie sich vollkommen glücklich, ja geradezu privilegiert, weil sie einen Beruf ausübte, der ihrem innersten Wesen entsprach, obwohl sie trotz allem keine Reichtümer anhäufte. Daher gab es auch eine Kehrseite, die ganz pragmatisch finanzieller Natur war. Ines brauchte für ihre Kreativität eine angemessene Atmosphäre, die natürlich etwas kostete. Sie zuckte bei diesem Gedanken immer automatisch mit den Schultern, als ob es sich dabei um ein unabänderliches Schicksal handelte. Deshalb arbeitete sie so viel wie Kopf und Herz hergaben.

      Als Felix sie eines Mittags im Hausflur zerknirscht fragte, ob sie nicht eine nette Haushälterin wisse, die ihm zur Hand gehen könne – er selbst sei nicht der geborene Hausmann und sozusagen schon damit überfordert, Kaffeewasser aufzusetzen – war ihr gleich klar, dass sie diese Person selbst sein wollte.

      Seit jenem Tag führte Ines auch Felix den Haushalt und kochte für sie beide. Was bedeutete, dass sie oft noch, spät nach der Vorstellung, zusammen aßen, was sie einander noch näher brachte. Manchmal stand er auch nach der Vorstellung, durch die absolute Konzentration auf der Bühne ganz aufgekratzt, mit einer Weinflasche und zwei Gläsern in der Hand vor ihrer Tür, weil an Schlaf sowieso noch nicht zu denken war.

      Beide liebten diese Nächte, in denen sie redeten und redeten, bis sie sich in den frühen Morgenstunden, wenn es meist schon dämmerte, voneinander trennten und jeder in sein Bett fiel.

      Das Sie hatten sie schon nach ihrem ersten Treffen aufgegeben, weil die vertraute Anrede die natürlichere zu sein schien, und außerdem war das Du in ihren Kollegenkreisen allemal üblich, sodass es eher umgekehrt eine Umstellung bedeutet hätte.

      »Hast du eigentlich in der ersten Nacht in deiner Wohnung etwas geträumt?«, hatte Ines Felix lächelnd gefragt, als sie das erste Mal abends bei einem Glas Wein zusammensaßen. »Man sagt doch immer, dass das in Erfüllung geht.«

      Felix hatte einen Moment überlegt und dann zögerlich genickt. »Na ja …, was heißt geträumt …? Ich glaube, es war durchweg wirres Zeug. Warte mal …«, er legte den rechten Zeigefinger senkrecht auf seine Lippen und schaute in eine imaginäre Ferne, »ja, da war irgendwas, ich glaube, es hatte mit einem Auftritt zu tun …«

      »Kannst du dich an das Gefühl erinnern, das du dabei hattest?«, fragte Ines nach.

      »Hm, nö, nicht richtig, auf jeden Fall fühlte es sich irgendwie chaotisch an, aber nicht wirklich negativ.«

      »Na ja, dann wollen wir mal das Beste hoffen«, Ines lachte, »aus einem Chaos kann ja auch etwas wirklich Positives entstehen.«

      »Hast du das schon mal erlebt?« Felix’ Miene verdüsterte sich für einen Moment, bevor sich seine Züge wieder entspannten.

      »Ja, durchaus. Ich will nicht sagen, dass das bei mir immer der Fall ist, aber die besten Veränderungen meines Lebens sind alle aus einem unübersehbaren Chaos entstanden.«

      »Was denn, zum Beispiel?« Felix war neugierig geworden.

      »Okay, nehmen wir die Sache mit meinem Beruf. Weißt du, ich habe lange fest für einen Verlag gearbeitet. Morgens um neun saß ich im Büro an meinem Schreibtisch. Ich liebe meine Arbeit, aber morgens fällt mir wenig ein. Ist eben nicht meine Zeit. Also quälte ich mich durch den Tag, und das ging auf Kosten der Qualität. Um es kurz zu machen: Mir wurde die Kündigung nahegelegt, und ich wusste von einem Tag zum andern nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Wochenlang konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen, und dann hatte ich die Erleuchtung. Wenn ich den Beruf nicht wechseln und irgendwo als ungelernte Kraft arbeiten wollte, musste ich mich selbstständig machen. Die Kontakte zu den Verlagen hatte ich, also begann ich mich als »Freie« zu bewerben, und siehe da – nach anfänglicher Stagnation begann es peu à peu zu laufen. Jetzt kann ich meinen Rhythmus leben und in meinem Traumberuf arbeiten.« Ines seufzte erleichtert in der Erinnerung und streckte die Hand nach ihrem Glas aus. Bedächtig nahm sie einen großen Schluck Rotwein und ließ ihn genüsslich im Mund hin und her kreisen.

      Felix lächelte. Es war schön, Ines zu beobachten, wenn sie so engagiert sprach und ihre Worte mit ausdrucksvollen Gesten unterstrich. Außerdem schien sie ein Genussmensch zu sein, was ihm sehr gefiel …

      »Also gehe ich mal davon aus, dass mein geträumtes Chaos sich klärt und in der Wirklichkeit etwas Positives daraus erwächst.« Felix hob ebenfalls sein Glas und prostete Ines verschmitzt lachend zu.

      3

      Eine Zeit lang fand Ines es ganz in Ordnung, dass sie immer nur gemeinsam aßen, tranken und redeten, schließlich lernten sie sich so nach und nach besser kennen. Aber dann begann sie darauf zu hoffen, dass Felix eines Abends einfach beschloss, bei ihr zu bleiben.

      Doch sie hoffte vergebens. Ines haderte mit sich, musterte sich kritisch im Spiegel und versuchte zu ergründen, was Felix wohl davon abhalten könnte, den ersten Schritt zu tun. Lag es an ihrem Äußeren? Nein, sie schüttelte verneinend den Kopf, eigentlich vermittelte er ihr den Eindruck, als fände er sie wirklich attraktiv. War es ihr Alter? Vielleicht, Männer in seinem Alter bevorzugten oft jüngere Frauen, aber nie brachte er eine andere Frau mit oder blieb die ganze Nacht weg. Den Gedanken, dass Felix grundsätzlich nichts mit Frauen anzufangen wusste, verwarf sie gleich, nachdem er ihr eingefallen war, wieder. Nein, seine Blicke sprachen von etwas anderem.

      Manchmal, wenn sie zusammensaßen, schien er innerlich weit weg zu sein und seine Augen verdunkelten sich. An solchen Abenden sprachen sie nicht sehr viel und Ines respektierte seine wortkargen Phasen, weil sie genauso zu Felix gehörten, wie sein Mitteilungsdrang. Eigenartig war nur, dass er jedes Mal, wenn sie sich verabschiedeten, davon überzeugt zu sein schien, dass sie die ganze Zeit über miteinander geredet hätten. Ines nahm sich immer wieder vor, ihn bei der nächsten Gelegenheit in die Stille hinein nach dem Grund zu fragen, unterließ es aber jedes Mal wieder.

      Die Zeit verging und alles blieb wie gehabt. Felix


Скачать книгу