So bitter die Erkenntnis. Caroline Martin

So bitter die Erkenntnis - Caroline Martin


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regelrecht aufdrängte, passierte nichts. Ines beschloss daher, Felix beim nächsten Mal die Pistole auf die Brust zu setzen. Irgendetwas musste geschehen, um die Situation zwischen ihnen zu klären, denn so ertrug sie es nicht länger. Der Premierenabend erschien ihr für ihr Vorhaben perfekt, und da sie wusste, dass Felix sich bald von der anschließenden Feier zurückziehen würde, weil er feucht-fröhliche Feste hasste, konnte sie darauf bauen, dass er nach einem »Anstandssekt« gehen würde.

      Enttäuscht war sie schon gewesen, als er es, sogar ziemlich rigoros, abgelehnt hatte, dass sie selbst zur Premiere kam. Den Grund, er könne sich dann vielleicht nicht richtig auf seine Rolle konzentrieren, wenn er sie im Zuschauerraum wisse, konnte sie weder verstehen noch hinnehmen. So wie er sich aufführte, beschlich sie fast das Gefühl, als brächte ihre Anwesenheit Unglück, was sie regelrecht traurig machte. Aber schließlich respektierte sie seinen Wunsch.

      Und nun saß sie in ihrem neuen, schwarzen Kleid auf dem gemütlichen, roten Sofa mit den vielen Kissen und wartete. Sein überraschtes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf, wenn er ihre Inszenierung begriff …

      Ines spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, und goss sich mit einer fahrigen Geste noch einen Schluck Wein ein. Halt, sie stellte die Flasche entschlossen zurück, zu viel durfte sie auch nicht trinken, schließlich hatte sie noch nichts gegessen, und Felix sollte nicht den Eindruck gewinnen, sie habe sich Mut angetrunken.

      Wie lange sie tief in Gedanken versunken einfach so dagesessen hatte, wusste sie später nicht mehr genau, vielleicht war sie sogar kurz eingenickt. Der beißende Bratengeruch war es schließlich, der Ines wieder auf den Plan rief. Sie stürzte in die Küche, wo ihr die Nebelschwaden bereits die Sicht nahmen. Zum Fenster zu laufen, es aufzureißen und tief Luft zu holen, waren eins.

      Oh Gott – alles war verbrannt! Spontan stiegen Ines Tränen in die Augen, die ganze Mühe war umsonst; sogar der Salat hatte es aufgegeben knackig auszusehen und gab sich stattdessen als sprichwörtliches Häuflein Elend aus. Der nächste Schlag traf sie im Esszimmer, als sie sah, dass die Rosenblätter bereits vertrockneten, und sich rote Wachspfützen um den Fuß der silbernen Kerzenleuchter herum wie Krakenarme auf dem weißen Tischtuch ausbreiteten.

      Im Grunde konnte sie von Glück sagen, dass noch nichts in Flammen stand.

      Ines’ pragmatische Ader verhinderte, dass sie sich jetzt völlig in Verzweiflungstränen auflöste. Stattdessen begann sie ganz rigoros damit, das Chaos zu beseitigen. Wut stieg in ihr auf, eine Wut, die sich unmittelbar gegen Felix richtete, der es offensichtlich vorgezogen hatte, sich nicht zurückzumelden, oder doch auf der Premierenfeier zu bleiben. Dabei wusste er doch, dass Ines für ihn kochte und sich auf den Abend mit ihm freute. Unverzeihlich! Mit einer ausholenden Geste fegte sie die Vase mit den roten Rosen vom Tisch, die klirrend auf dem Boden zersprang. Der Anblick der Scherben, des auslaufenden Wassers und der jetzt verstreut herumliegenden Blumen entsetzte und beschwichtigte sie zugleich. Sie bückte sich zögernd, um das Malheur zu beseitigen. Ob Felix ihre Absicht vielleicht erraten und sich deshalb erst gar nicht gemeldet hatte?

      Nein, das passte nicht zu ihm. Er hätte sie auf jeden Fall angerufen, wenn er sich verspätete.

      Einen Moment lang überlegte sie angespannt, was sie tun sollte, dann wählte sie seine Handynummer. Niemand antwortete und sie zwang sich dazu, ein paar knappe, neutral klingende Sätze auf die Mailbox zu sprechen. Weder wollte sie den Eindruck erwecken, er müsse sich vor ihr rechtfertigen, noch sollte er den wahren Anlass für ihre Nachfrage erahnen.

      Nachdem sie einige Zeit abgewartet hatte, in der kein Rückruf erfolgte, entschloss Ines sich spontan, in Felix’ Wohnung nachzusehen. Vielleicht war er ja doch da. Als sich auf ihr Klingeln nichts regte, benutzte sie den Schlüssel, um sich gleich nach dem Öffnen der Tür lautstark bemerkbar zu machen.

      »Felix, bist du da? Geht es dir gut?«

      Ines rief dreimal, aber er antwortete nicht. Zögernden Schrittes betrat sie sein Schlafzimmer – das Bett war unbenutzt – im Wohnzimmer war er nicht, auch nicht in der Küche, weder im Arbeitszimmer noch im Bad. Die Wohnung war leer.

      Ines ließ sich ratlos auf einen Stuhl sinken. Also musste er doch die Nacht im sprichwörtlichen Sinne zum Tage gemacht haben, ohne ihr ein Wort zu gönnen. Draußen dämmerte es bereits.

      Enttäuscht verließ sie die Wohnung und fand sich eine Minute später vor ihrem großen Spiegel wieder, der ihr überdeutlich die Müdigkeit in den Augen und das verwischte Make-up zeigte. Mit einer resignierten Geste zog sie die Nadeln aus ihrem Haar, wusch sich die Schminke aus dem Gesicht, öffnete den Reißverschluss ihres Kleides und ließ es achtlos auf den Boden gleiten. Dann ging sie ins Schlafzimmer, kroch ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Alles war schiefgelaufen. Ines drehte sich auf die Seite, zog die Beine dicht an den Körper, umschlang sie mit ihren Armen und begann schließlich zu weinen.

      Nachdem sie endlich eingeschlafen war, träumte sie wirr und albtraumgleich von Felix, erblickte lodernde Flammen, hinter denen er unerreichbar schien. Sie schrie und versuchte sich bemerkbar zu machen, vergebens, die Feuersbrunst übertönte ihr Rufen. Dann hörte sie ihn lachen, verzweifelt und glücklich zugleich. Er lachte, lachte und lachte, sodass Ines sich die Ohren zuhalten musste, weil sie es nicht ertragen konnte.

      Als sie erwachte, setzte sie sich schweißgebadet mit einem Ruck im Bett auf. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Noch ganz unter dem Eindruck des Traumes stehend, schwang sie gerade die Beine aus dem Bett, um ins Bad zu gehen und sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen, als es Sturm läutete.

      Ines blieb erschrocken auf der Bettkante sitzen. Felix, schoss es ihr dann durch den Kopf, das konnte nur Felix sein. Endlich! Mit einem Satz sprang sie auf, warf sich eilig eine Strickjacke über, rannte zur Tür und öffnete.

      »Felix, Gott sei Dank, ich habe mir schon …« Während die Worte auf ihren Lippen erstarben, blickte sie verwirrt in zwei blaue Augen, die sie aufmerksam musterten. Ines stand einen Moment lang wie angewurzelt auf der Schwelle und zog sich abwehrend die Jacke vor der Brust zusammen.

      »Frau Wagner?« Die Stimme ihres Gegenübers klang angenehmer, als sie gedacht hatte. »Hauptkommissarin Seibold.« Die entschlossen wirkende Mittvierzigerin hielt Ines ihren Polizeiausweis unter die Nase. »Darf ich reinkommen?«

      »Natürlich.« Verdattert trat Ines einen Schritt zurück und machte eine einladende Handbewegung.

      »Ziehen Sie sich ruhig erst etwas über.« Die blauen Augen blickten mitfühlend. »Ich warte solange.«

      Ines nickte und verschwand für einige Minuten im Schlafzimmer. Zitternd sprang sie in ihre Jeans und versuchte die aufkommende Panik in den Griff zu bekommen. Nur nicht darüber nachdenken, was es bedeutete, wenn die Polizei morgens vor der Tür stand. Als sie schließlich der Kommissarin gegenübersaß, ertappte Ines sich dabei, dass sie diese, während sie ihr Anliegen vortrug, aufmerksam ansah, dabei aber nicht verstand, was sie sagte. Hübsch war sie, ja, und auch sympathisch, mittelgroß, schlank und modisch gekleidet. Die blonden Haare trug sie zu einem Bob geschnitten, was ihr feines Gesicht vorteilhaft zur Geltung brachte. Ines nickte in sich hinein. Ein abwesendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, was die andere in ihren Ausführungen abrupt innehalten ließ.

      »Frau Wagner, haben Sie verstanden, was ich Ihnen sagte?« Der eindringliche Tonfall riss Ines aus ihren Gedanken.

      »Wie bitte, ja … nein.« Ines hörte das Blut in ihren Ohren rauschen und zuckte hilflos die Schultern. »Ich befürchte, ich habe nicht richtig zugehört, entschuldigen Sie bitte.«

      Katharina Seibold seufzte. Dies war wieder so ein Moment, an den sie sich niemals gewöhnen würde. Nie würde sie gefühllos damit umgehen können, wenn sie Menschen die schlimmste Nachricht überbringen musste, die man sich vorstellen konnte. Das Leid hatte so viele Gesichter, mehr als man verkraften konnte. In diesem Fall schien Frau Wagner sich innerlich völlig zurückgezogen zu haben, um dem fürchterlichen Schlag auszuweichen, den sie ihr jetzt doch versetzen musste. Katharina Seibold spürte, dass ihre Hände zu zittern begannen, und schloss sie mit kräftigem Druck zu zwei Fäusten zusammen.

      »Frau Wagner, Sie haben versucht, Herrn Meister auf dem Handy anzurufen.«


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