Raqqa an Rhein. Jabbar Abdullah
luden wir alles ins Auto.
Mein Vater ließ sich keine Furcht anmerken, er erzählte uns unterwegs, wie wir uns mithilfe bestimmter Notmaßnahmen vor den Milizen oder den Scharfschützen der Armee in Sicherheit bringen könnten. Es waren alles halb scherzhafte Fantastereien. „Die Dauer des Lebens liegt in Gottes Hand, was Gott bestimmt hat, wird geschehen“, warf mein Onkel von Zeit zu Zeit ein.
Uns hatte Gott bestimmt, nach vier Stunden die Olivenpresse zu erreichen. Es war fast leer dort. Einer der Arbeiter brachte uns eine Kanne Tee, und wir setzten uns, um zu warten, bis das Öl fertig war. Der Mann berichtete, dass die Presse seit mehr als einer Woche keine Kunden mehr hatte. „Alle haben Angst, zu uns zu kommen, weil wir hier wie auf dem Präsentierteller sitzen.“
Die Milizen waren überall, und ein Flugzeug warf planlos seine Bomben ab. Am Tag zuvor hatte es drei mit Säcken voller Oliven beladene Autos bombardiert, die aus Manbidsch kamen.
Als die Oliven fertig gepresst waren, setzte mein Onkel den Wagen bis an die Stelle zurück, wo die dreißig Kanister aufgeladen werden sollten. Die Ernte war in jenem Jahr sehr gut ausgefallen. Mein Vater verkaufte sämtliche Kanister, bis auf fünf, die er für uns und die Familie meines Bruders behielt und einen, den er einem Geheimdienstoffizier als Bestechungsgeschenk gab. Der sollte ihm ein Führungszeugnis besorgen, das er bald benötigen würde, wenn er seine Reise ins Exil nach Beirut antrat.
2013, genau am Neujahrsmorgen, frühstückte ich zum letzten Mal mit meiner Mutter unter der Weinlaube, die den Haupteingang unseres Hauses beschattete. Meine Mutter hatte gerade frisches Brot aus dem Dorfofen geholt, die Luft war mild, und es wehte ein sanfter Wind. Wie der Himmel aussah, weiß ich nicht mehr. Die Erinnerung an diese Weinblätter und ihre gelbe Farbe bietet mir jedoch bis heute Zuflucht, hier im Exil denke ich immer wieder an sie zurück.
Meine Mutter kam mit einem großen Tablett mit Milch, Oliven, Thymian, Käse und drei Fladen heißem Brot, dazu eine Kanne Tee und zwei französische Teegläser, die sie zehn Tage zuvor einem fliegenden Händler aus Ägypten abgekauft hatte. Ich nahm damals nur Brot und Tee. Man muss einmal Brot gegessen haben, das frisch aus dem Ofen kommt, um zu wissen, wie das schmeckt. Diesen Weizengeschmack wollte ich mit ins Exil nehmen, ihn neben dem Bild der Weinblätter im Gedächtnis bewahren.
Auch die Bilder der Baumwoll- und Maisfelder trage ich in mir, das Aussehen der Spitzhacken der Bauern ebenso wie das Schwarz ihrer Gummistiefel und den Geruch nach Feigen und Erde in ihren Kleidern, wenn sie vom Bewässern der Felder heimkommen. Außerdem sind die verschiedenen Weißtöne der Schafwolle mit mir ins Exil gegangen, die Farbe der Gräser im Sommer und die der Feigen im Winter. Dazu die Zahl der Schafe, die ich vor zehn Jahren in den Sommerferien gehütet habe, nebst all ihren verschiedenen hellen oder schwarzen oder schwarz-weiß gefleckten Gesichtern. Und die Erinnerung an die Zeit der Baumwollernte, daran, wie ich zusammen mit meinem Onkel den Ertrag der einzelnen Arbeiterinnen abwog. Eine gute, schnelle Pflückerin brachte es am Tag – von fünf Uhr morgens bis sechs Uhr abends – auf einhundert Kilo und fünf Dollar Verdienst.
Am Ende des Tages waren ihre Hände pechschwarz vom Umdrehen und Festhalten der Blätter, Stiele und Kapseln der Baumwollsträucher. Abends kletterten alle Frauen auf einen Lastwagen, der sie nach Hause brachte. Sie mussten stehen, damit so viele von ihnen wie möglich auf der Ladefläche Platz fanden. Die ganze Plackerei hatte erst dann ein Ende, wenn der Aufseher zum Abschluss der Erntezeit mit einem Heft und einem Sack voller Geld seine Runde bei den Häusern der Pflückerinnen machte. Er rechnete alle Arbeitstage zusammen und bezahlte jede nach ihrer Mühe.
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