STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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aus, setzte sich wieder auf den Stuhl vor dem Bett und sah die zwei zierlichen jungen Damen scharf an.

      »Den Gusti?« Sissi klang längst nicht mehr so weinerlich wie vorhin.

      »Klar!« Lissi nahm ihr die Antwort aus dem Mund. »Hat mit uns Abi gemacht und ist jetzt Pharma-Studi. Manchmal sehen wir ihn halt auf der Fahrt nach München…«

      »… und am Anfang wollt’ er, weiß nich, auch mal hier einziehen und so…«

      »…isser aber zu spät gekommen, weil der Schorschi war schneller…«

      »…und sein Dad, der andere Bulle wie du, fand’s, glaub’ ich, auch nicht so cool…«

      »…wegen dem Geld und so und weil der doch eh das Haus daheim, weiß nich, das hat er für sich ja solo meistens…«

      »…weil sein Dad ist ja meistens im Dienst irgendwie.«

      Bemerkenswert, dachte Paul, wie sie einander ablösen: Das perfekt eingespielte Pärchen! Denen ist zuzutrauen, dass, wenn alles auf sie als Mörderinnen hinausläuft und sie quasi schon überführt sind, jede behauptet, sie sei’s gewesen, um die Verurteilung unmöglich zu machen! Dann kämen sie höchstens wegen Beihilfe in den Knast, alle zwei. Aber da würden diese Zierpflänzchen ganz sicher binnen kürzester Zeit eingehen wie die Primeln.

      Er sann vor sich hin und stellte sie sich in Einzelzellen vor, wo sie herzergreifend und pausenlos nach der andern jammerten. Und großes, großes Mitleid, ja tiefes menschliches Rühren überkam ihn.

      Dass ihm der Mund offen stehen blieb, hatte einen anderen Grund: Die zwei hielten die Befragung offenbar für beendet, standen ohne Vorwarnung auf, ließen gleichzeitig die Regenbogen-Mäntelchen zu Boden gleiten und huschten, nackt, wie sie waren, in ihr Doppelbettchen, Sissi von links, Lissi von rechts, und ehe Paul begriff, was und wie ihm geschah, schauten ihm über den Saum der einteiligen roten Plüschdecke zwei traurige Gesichtchen entgegen, die er so deutete, dass er doch ratzfatz mit hineinkriechen und sie beide recht nach Männerart trösten solle.

      Das traute er sich dann doch nicht, einmal, weil er nicht zu Unrecht eine ebenso schmerzhafte wie schmachvolle Abreibung befürchtete, zweitens wegen der Schnüffler und Fingerwuzler gegenüber, die einen noch so flotten Dreier am Tatort mit zwei der Hauptverdächtigen in den Protokollen wahrscheinlich übel vermerkt hätten. Und drittens wär’s als Folge davon mit der Lena aus: Nicht recht vorstellbar, dass sie für derart außerplanmäßige Formen der Ermittlungsarbeit großes Verständnis aufbrächte, auch wenn auf diese Weise den zwei Süßen – er musste ja nur zu einer gewissen Höchstform auflaufen – sicher einiges mehr zu entlocken wäre als die paar dürren Daten, die sie ihm bislang in den Notizblock diktiert hatten.

      Dass sich sein Meister Iste, der von der Aktion mit Lena her noch in bester Stimmung war, ausgerechnet jetzt, im unpassendsten Moment, massiv bemerkbar machte, war auch nicht erbeten, aber angesichts des soeben Gebotenen unvermeidlich. Als wirksame Gegenmaßnahme fiel ihm auf die Schnelle nur ein, zum Handy zu greifen und es wieder bei Karl zu versuchen.

      Achtmal ließ er’s klingeln und schüttelte dazu doppelt so oft mit dem Kopf.

      Sissi und Lissi guckten sich ängstlich fragend an, als würden sie befürchten, er rufe einen Kollegen zum Doppelzweier.

      Gusti!, fiel Paul ein, während er den Hörer am Ohr hatte und hinter vorgehaltener Hand endlich zwei Sätze auf die Mailbox murmelte. Dieser Gusti! Ein paarmal hatte er ihn gesehen: ein Bub, der über all die Jahre einer geblieben war. Stark pickelig hatte er ihn in Erinnerung, mit tränenverhangenem Blick, als müsse er jeden Augenblick losheulen, und ständig vermittelte er den Eindruck, als wolle er tröstend in den Arm genommen werden. Der also war…

      Nein, es war überhaupt nicht auszuschließen, dass das Bübchen irgendwie mit drinsteckte, bei seiner persönlichen Nähe zu den Mitstudenten hier und somit zum Toten: Junge, Junge, das wär ’n Ding!

      Schon taten sich in seiner Vorstellung komplizierteste Verwicklungen auf: Was ergab sich aus der Befangenheit Karls, der, wenn aus Rosenheim weiterhin keiner von der Kripo kommen konnte, nach Lage der Dinge Chefermittler geworden wäre? Aber so? Dass Gusti zu den Hauptverdächtigen zählte, bedeutete nichts anderes, als dass letztlich er, Paul selbst, unmittelbar mit der Leitung der Ermittlungen betraut werden musste – ein Gedanke, der ihn kurz erschauern ließ.

      Aufstehen konnte er noch immer nicht, zu nachhaltig machte ihm die Aufmüpfigkeit seines Triebkopfs da unten zu schaffen, dessen Aufstand zu bekämpfen er momentan kein Mittel fand. Und dauernd in die zwei netten Gesichtchen zu starren, die süß-traurig nebeneinander unter der Bettdecke hervorguckten und fragend zu ihm herschauten, brachte nicht einmal Linderung, geschweige denn eine Lösung.

      Ein Themenfeld fiel ihm doch noch ein, das sich notfalls ausdehnen ließ, bis seine Natur sich zur Mäßigung entschloss:

      »Der Gusti: Wie oft, wie regemäßig war der hier?«

      »Total selten, weiß nich, und nur ganz manchmal, nicht so regelmäßig.«

      Lissi klang dumpf, den Saum der Decke hatten beide unter die Näschen gezogen.

      »Andere Besucher, gleich ob einmalig, selten oder oft: Namen?«

      Sie schoben die Köpfe heraus und drehten die Gesichtchen einander gleichzeitig zu, Sissi das ihre nach links, Lissi das ihre nach rechts, als würden sie synchron überlegen.

      »Alle paar Monate mal die Alten vom einen oder andern und so.«

      Lautes Geschepper von draußen unterbrach die Unterhaltung und ließ die Mädchen zusammenfahren: Wie sich’s anhörte, war in der Küche ein großer Geschirrstapel zusammengebrochen. Mehrere Töpfe mussten dröhnend auf den Fliesenboden gefallen und ein paar Teller zu Bruch gegangen sein. Es folgte harsches Gefluche: Die Erkennungsdienstler hatten unüberhörbar Mist gebaut.

      »Und sonst?«

      Paul tat, als hätte der Murks, den die Kollegen draußen veranstalteten, keinerlei Bewandtnis für sie hier drinnen. Ebenso überrascht wie erfreut aber stellte er fest, dass der plötzliche Schreck, der auch ihm in die Glieder gefahren war, die beschriebene Not schlagartig beseitigt hatte.

      Er nutzte die Gelegenheit sofort, um aufzustehen und im Zimmer herumzugehen, in der Hoffnung, durch diese Maßnahme einem neuerlichen Malheur vorzubeugen.

      Wieder sahen sich die zwei an, wobei in ihrem Fall der kurze Schreck nichts kleiner, aber die Augen größer gemacht hatte, und antworteten in geregelter Abwechslung:

      »Mal ’ne Freundin von uns…«

      »…mal ’n Freund von denen, weiß nich…«

      »…mal der Gusti…«

      »Hatten wir schon!« Paul wurde unwirsch. »Weiter!«

      »…manchmal der Jackie…«

      »Heißt wie?«

      »Jakob Bausemann. Den haben sie manchmal geholt, wenn…«

      »…der Fritz und der Schorschi ihren Megabeef miteinander hatten und so.«

      »Jetzt ist’s ja wohl vorbei mit dem Stress!«

      Kaum hatte Paul den Satz gesagt, fand er ihn denkbar unpassend.

      »Ja«, flüsterten beide und fingen, was er sich hätte denken können, wieder zu weinen an.

      Tatsächlich schnäuzen die sich auch noch synchron!

      Er konnte es nicht recht glauben, als jede wie auf Kommando ein Tempotaschentuch unter dem Kopfkissen hervorholte und hineinschniefte.

      Urplötzlich fühlte er heftige Müdigkeit über sich kommen. Das war ihm deutliches Zeichen, dass es für heute Nacht genug sein musste.

      Er schwenkte um: »Hört zu, ihr zwei! Sperrt euch ein, ausschlafen! Heut’ den ganzen Tag nix Uni, nix München und so: Ihr haltet euch zu unserer Verfügung. Klaro? Nix weiß nich und dergleichen! Essen in der Küche erst, wenn die Männer da draußen fertig sind.«


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