STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


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hatte.

      »Wenn der nebendran wider Erwarten aufwachen sollte, lasst ihr ihn bittschön nicht gehen! Den brauchen wir morgen Früh.«

      »Geht klar«, versprach Alfred, »haben hier eh noch die ganze Nacht zu tun.«

      »Und dass mir keiner die Presse rebellisch macht!«

      Das machte Alfred gleich wieder ungehalten: »Wir doch nicht! Wie kommste denn da drauf, du Spinner?!«

      Paul zuckte mit der Schulter, hob die Rechte zum Gruß und machte sich mit drei fremden Handys in den Taschen davon.

      Zum sechsten Mal versuchte er’s bei Karl: Nichts!

      Lena schien tief zu schlafen und ihn nicht zu hören, als er so leise wie möglich das Schlafzimmer betrat.

      Seine Müdigkeit war auf einmal wie weggeblasen.

      Er verspürte eine geradezu perverse Lust, jetzt noch, kurz vor drei, einen ausführlichen Bericht über die Tatortbegehung in den Computer zu tippen, setzte sich hin, legte die Handys nebeneinander und den Notizblock dazu, schob die Pulloverärmel hoch und begann die Tastatur ungestüm zu bearbeiten.

      Die ganze Zeit über, in der er hemmungslos seine Schreibwut austobte, guckte aus dem linken Mundwinkel die feuchte Zungenspitze.

      VI

      Paul schrieb und schrieb. Die Müdigkeit kam nicht wieder, zu aufgeregt, zu begeistert war er von dem, was er in sein Word-Dokument zauberte. Das Notizbuch brauchte er so gut wie gar nicht, die Einzelheiten vom Tatort standen ihm in voller Klarheit vor Augen: Zu tief hatten sich ihm die Beteiligten eingeprägt, von der Hallstein über den sturzbesoffenen Fritz bis zu den Mädchen, deren hüllenloser Doppelakt allerdings die anderen Bilder immer wieder hartnäckig überdecken wollte.

      Ob er’s doch noch mit der Lena machen sollte? Nach Abschluss des Berichts, dachte er, könnte man zur Erfrischung den erotischen Weckdienst übernehmen und es ihr wie selbstverständlich im Halbschlaf besorgen.

      Den Karl anzurufen hatte jetzt, nach getaner Tatortarbeit, keinen Sinn mehr. Der hatte sich womöglich die Kante gegeben, lag in irgendeinem Münchner Rinnstein und schlief seinen Rausch aus. Oder er pennte daheim und hatte alle Telefone ausgeschaltet, er oder sein Bub, der sich womöglich mit ’ner Liebsten durch die vaterlose Nacht zu bumsen gedachte. Es fiel ihm schwer, sich das vorzustellen, wenn er sich das traurig-verschlafene Bübchen vor Augen führte, als welches er ihn, den Gusti, vor einem Vierteljahr auf der Dienststelle kennengelernt hatte.

      Sieben eng beschriebene Seiten hatte Paul gegen Viertel nach vier fertig, druckte sie aus und überlas das Ganze nochmal auf Mängel hin. Das sollte schließlich nach Rosenheim an die Kripo gehen und nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Inhaltlich war alles vom Besten, den Ablauf der Begehung, seine Maßnahmen und die Ergebnisse der Zeugenbefragung hatte er gnadenlos präzise festgemeißelt. Sprachlich machte ihm allerdings zu schaffen, dass er partout nicht wusste, wann es das und wann dass heißen musste: Sobald er nach krampfhafter Überlegung ein das in ein dass oder, umgekehrt, ein dass in ein das geändert hatte, bekam er sofort seine Zweifel. So vertat er mit der Durchsicht eine glatte Stunde, nach der rund siebzig Prozent der das bzw. dass noch immer oder wieder verkehrt waren.

      Es war kurz vor halb sechs geworden. So stolz war er inzwischen auf seinen Erstling von Mordermittlungsbericht geworden, dass er ihn nicht mehr bei sich behalten konnte: Die Lena musste ihn sich anhören, und zwar jetzt, sofort, ob sie wollte oder nicht!

      Oder sollte er ihre Hörbereitschaft vorab nachhaltig auf erotischen Umwegen stimulieren? Sich zu ihr ins Bett und zwischen ihre Beine, abschließend seine wieder aufmüpfig gewordene Verhärtung ins Gröttchen zu schieben versuchen?

      Er schlich, den Ausdruck in der Linken, ins Schlafzimmer, pirschte sich geräuschlos ans Bett und schob die Rechte unter die Decke, auf feinfühliger Suche nach was Rundem oder Halbrundem. Rasch stieß er, da die Lena wie gewohnt auf dem Bauch schlief, auf was Weiches unter Seidenspitzen. Die kannte er noch von vorhin, als sie kurz davor gewesen waren, entfernt zu werden, und womöglich verursachte das schöne Stoffröschen soeben eine unschöne Druckstelle über Lenas flaumigem Dreieck. Er erzeugte jetzt aber keinen wohligen Seufzer, sondern einen bäurischen Raunzer, den jeder als überdeutliche Zurückweisung aufgefasst hätte. Paul jedoch deutete ihn als Bitte um betriebsame Fortsetzung, die hinwieder bewirkte, dass die schlaftrunkene Lena garstig zu maulen anfing und ihm die begrapschte Pohälfte durch rasche Seitwärtsbewegung entzog.

      Er entschloss sich zum Methodenwechsel, rüttelte mit einem aufgeregten »Lena, hör mal zu!« an ihrer Schulter und fing unvermittelt an vorzulesen.

      Sie raunzte weitere zwei, drei Mal mit wachsendem Ärger und moserte abschließend, er solle mit dem saublöden Scheiß aufhören und sie in Ruhe lassen.

      Paul begriff ’s noch immer nicht, ließ die Finger erneut nach dem entglittenen Weichgewebe graben und gab erst auf, als er lauten, richtig bösen Schimpf erntete: »Hör auf, du Superhirni! Wärst vorhin nicht einfach abgehauen!«

      Wieder am Schreibtisch, überkam ihn die Sorge, in seinem Bericht könnten mancherlei Formulierungen stehen, die festhielten, was er alles verbockt und womit er womöglich gegen ein ganzes Sortiment von Dienstund Verfahrensvorschriften verstoßen hatte. Lieber Himmel! Den Tatort hatte er ohne Schutzkleidung betreten! Die Sissilissi-Geschichte, die ihm schon vor Ort schwere Bedenken verursacht hatte! Hätte er die Mädchen überhaupt befragen dürfen, ganz allein? Hätte er nicht abbrechen und davonlaufen müssen, als sie splitternackt in ihr Bettchen hüpften? Die Handys! Die hätte er, wie schon vermutet, gar nicht an sich nehmen dürfen, ohne richterlichen Beschluss! Und den Fritz! Hätte er den nicht über seine Rechte belehren müssen, bevor er ihm das Smartphone wegnahm? Andererseits: Wie hätte das denn ausgesehen? Er setzt sich vor ihm auf den Boden, fragt in Fritz’ Alkoholvergiftung hinein, ob er aus ermittlungstechnischen Gründen das Handy an sich nehmen dürfe, bekommt außer Gelalle und blödem Gekicher keine Antwort und hätte ihm also wegen fehlender Zustimmung das Smartphone lassen müssen! Es war allemal besser, dass die drei Handys jetzt hier auf seinem Schreibtisch lagen, nebeneinander, und wenn sie, wie anzunehmen, entsperrt waren: Warum nicht nachsehen, ganz ohne richterlichen Beschluss und rein informell, was sich mit und auf diesen Phones am vergangenen Abend, vielleicht auch den Tag über so alles getan hatte? An Schlaf war nicht mehr zu denken, hell war es auch schon. Bis er die Lena kurz nach sechs wecken musste, blieb noch genug Zeit für gründliche Recherche.

      Emsig machte er sich daran, die letzten SMS und Verbindungsdaten durchzusehen und zu vergleichen, und nach einer knappen halben Stunde stand auf dem Bildschirm ein chronologisches Schema:

      19.50 Anruf Georg bei Lissi (Inhalt vmtl., ob was fürs Essen fehlt)

      19.52 SMS Lissi an Georg (»Olifenöhl is ale«)

      19.57 Anruf der Eltern bei Fritz: nicht angenommen

      21.53 Anruf Georg bei Jackie: nicht angenommen

      21.54 SMS Georg an Jackie (»Brauchen dich mal wieder, komm ins fbs, sind auf dem Weg.«)

      21.55 SMS Fritz an Gusti (»saufn im fbs kom rüba zur sesion«)

      22.15 SMS Fritz an Jackie (»rür dich entlich und kom ins fbs!!«)

      22.16 SMS Georg an Gusti (»Sind jetzt im fbs – melde Dich wenigstens!«)

      22.19 SMS Gusti an Fritz und Georg (»schau grad n film keine lust streidet ja doch blos«)

      22.22 SMS Jackie an Fritz (»ternaeres – no time tonight«)

      Das alles hatte Paul in den Bericht eingefügt und druckte ihn nochmals aus. Einzig mit dem Begriff ternaeres konnte er nichts anfangen: Er verwechselte ihn mit Tertiär, was, wie er sich zu erinnern glaubte, irgendwas mit der Erdgeschichte zu tun hatte.

      Wieder regten sich Zweifel, ob das, was er da gesammelt hatte, ohne Einverständnis der Handybesitzer juristisch überhaupt verwertbar war. Andererseits hatten Sissilissi


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