Buntspecht und Anton. Susanne Bonn

Buntspecht und Anton - Susanne Bonn


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zur Erforschung und Anwendung der Magie zum allgemeinen Nutzen” betreibt. In die Schwärze brach man nicht einfach von einem öffentlichen Platz aus. Ein solches Unterfangen musste an einem geheimen Ort stattfinden. Hier, in den Bergen, wo noch wilde Hexer umgingen und sowohl das ungebildete Volk als auch die Botinnen hinters Licht führten, lag der ideale Ausgangspunkt. Hier konnte Galent, der angesehene Forscher, seine bahnbrechende Erfindung in Ruhe praktisch ausprobieren. Er umarmte Fjalka und küsste sie. Dann leitete er seine Reise ein.

      Zuerst schuf er sich eine Blase, wie sie die abtrünnigen Hexer verwenden, um sich ein schönes Leben zu machen, aber auch, um schnell von einem Ort zum anderen zu kommen. Eben diesem Zweck diente das golden schillernde Gebilde nun bei Galent. Mit genau berechneten Handbewegungen verstärkte er die Hülle, in der nichts außer ihm Platz fand. Nach und nach wich ihr Goldglanz einem Tintenschwarz, hinter dem ein eventueller Beobachter Galents hohe, schlanke Gestalt nur noch erahnen konnte.

      Fjalka streichelte das Wandertier noch einmal ausgiebig. Dann setzte sie es vor sich auf den Boden und sah zu, wie es eine Art unsichtbare Rampe hinaufstieg. Schon nach wenigen Schritten war es in der Schwärze der mondlosen Nacht verschwunden. Die tintenschwarze Blase folgte ihm.

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      Maria Lichtmess fiel in diesem Jahr auf einen Freitag, und laut Mondkalender war sogar noch Vollmond. Für den Zauber, den Steffi vorhatte, sollte das reichen. Sie hatte ein paar Tage frei und beschloss, dass es höchste Zeit war, die Outdoor-Ritualsaison zu beginnen.

      Sie zog sich warm an, packte die Trommel und die anderen Utensilien ein und machte sich auf den Weg in den Wald, zum Standing Stone. So nannte ihn zwar niemand in der Gegend, weil die Leute das gar nicht aussprechen konnten, aber Hinkelstein klang in Steffis Ohren zu sehr nach gallischem Dorf. Der über zwei Meter hohe, etwa anderthalb Meter breite Granitbrocken stand ein wenig abseits vom Weg. Hinter Bäumen und Gestrüpp sah man ihn kaum, Spaziergänger ließen ihn deshalb links liegen. Also konnte Steffi an seinem Fuß, zwischen Hasel und Eberesche und Eibe, in aller Ruhe ihre Rituale feiern. Eine Eiche in der Nähe bot die meiste Zeit des Jahres einen kräftigen Ast als Dach an. Der ideale Rahmen.

      Heute wollte sie den Mann für dieses Jahr zu sich rufen, bei Gefallen auch für länger. Unterwegs überlegte sie, wer oder was ihr dabei helfen könnte. Vielleicht eine ihrer Ahninnen, die der Inquisition ein Schnippchen hatten schlagen können - weil sie eben wussten, was sie taten. Von denen gab es in ihrer Familie mehrere, und eine von ihnen hatte Steffi schon bei einer Spirit-Reise getroffen.

      Sie räumte den kleinen Ritualplatz vor dem Hinkelstein auf. Der Wind in den letzten Tagen war wohl doch stärker gewesen, als es jenseits des Wohnzimmerfensters ausgesehen hatte. Schon auf dem Weg hatten teilweise recht kräftige Äste gelegen, hier war sogar eine dünne Birke umgeknickt. Anschließend baute Steffi Schneeglöckchen, Kerzen, Wasserschale und Räucherung auf. Sie rief die Himmelsrichtungen und die Elemente an, setzte sich mit dem Rücken zum Stein und begann ihre Meditation. Den Weg in jene Welt, in der die Ahnin und ihre Spirit Guides auf sie warteten, war sie schon einige Male gegangen. Sie konzentrierte sich und wollte diesem Pfad folgen, aber etwas hielt sie in ihrem Kreis fest.

      Sonderbar. Steffi erwartete, dass die Ahnin sich zeigen und sie hinausführen würde. Aber vergeblich. Stattdessen saß ihr plötzlich eine schwarze Katze gegenüber und sah sie lauernd an.

      Sollte dieses Tier sie heute abholen und in die Spirit-Welt führen?

      Die Katze streckte sich und ging davon. Steffi folgte ihr. Es sah fast so aus, als ob das Tier einen kleinen Höcker hätte und mit Fell überzogene Hörner auf dem Kopf. War das überhaupt eine Katze? Wenn nicht, was war es denn?

      Egal, nachdenken konnte sie später. Jetzt hieß es sehen und erleben.

      Die Katze mit Höcker führte sie weder nach unten noch nach oben. Oder gab es in der Spirit-Welt auch so einen Buchenwald wie im realen Leben, mit breitem Schotterweg? Da stand sogar die sechseckige Schutzhütte mit rundum geschlossenen Läden und dem Schild „Grüner Baum-Ableger“ über der Tür.

      Auf einem der Granitbrocken vor der Hütte saß ein Mann mit langen schwarzen Haaren und Bart. Auch sein Gesicht war dunkel verschmiert, als ob er sich ein Blackface geschminkt und es nicht ordentlich wieder abgewaschen hätte. Sein Mantel war wohl ebenfalls früher rein schwarz gewesen, hatte aber in letzter Zeit sehr gelitten. Aus vielen Löchern quoll helle Wolle. Nicht einmal Flicken saßen darauf. Eine Waffe konnte Steffi nicht entdecken. Er schien ihre Anwesenheit gar nicht zu bemerken, denn er konzentrierte sich auf das Jo-Jo, das vor ihm trudelte. Oder was immer das genau war.

      Steffi lächelte betont, breitete die Hände aus und ging langsam auf die Erscheinung zu, wie auf ein Tier, das sie nicht erschrecken wollte. Als sie den Fuß auf die erste Stufe setzte, die zur Hütte hinaufführte, hob der Mann den Kopf. Er hielt sein Spielzeug an und gönnte seinerseits Steffi ein sparsames Lächeln.

      Er hatte unglaublich grüne Augen.

      Sie sah ihn wie gebannt an und prägte sich sein Aussehen genau ein. Hoffte sie jedenfalls. Wie sollte sie ihn sonst im Alltag wiederfinden?

      Da legte sich die schmutziggraue Katze mit den sonderbaren Auswüchsen quer ins Bild und schaute Steffi herausfordernd an. Steffi hob beschwichtigend die Hände und gab sich Mühe, an nichts zu denken, denn mit Denken hatte sie bei früheren Spirit-Reisen schlechte Erfahrungen gemacht. Sie betrachtete weiterhin unverwandt den Fremden, der inzwischen wieder sein Jo-Jo kreisen ließ.

      Nein, das war kein Jo-Jo, das war eine Spindel. Der Mann mit den grünen Augen produzierte ein kleines Knäuel Wolle. Je länger der Faden wurde, desto blasser und durchscheinender sah der Mann aus. Nur die Hütte im Hintergrund blieb solide wie bisher. Steffi fühlte sich rücklings über den Weg geschoben, bis zurück auf ihren Platz am Fuß des Hinkelsteins.

      Steffis Kopf schwamm. Bilder flossen an ihr vorüber, alles schien sich zu drehen, immer langsamer, wie ein Kreisel, der gleich umkippen wird. Aber er kippte nicht, er legte sich sanft auf die Seite.

      Sie war der Kreisel.

      Der Boden unter ihr war hart und kalt und roch nach Wald. Aber war da nicht ein Mann gewesen? Widerwillig hob sie den Kopf.

      Nein, kein Mann.

      Leiser Wind strich durch das Geäst. Steffi merkte, wie steif sie geworden war. Es wurde Zeit, aufzustehen und zu gehen. Mühsam rappelte sie sich auf und sammelte ihre Gedanken wenigstens so weit, dass sie das Ritual ordentlich abschließen konnte. Es fiel ihr schwer, und sie spürte keine Energie im Kreis, die sie mit dem Rauch hätte wegwedeln können.

      Über ihr, in der Krone der Eiche, krächzte ein Vogel. Viel zu tief für einen Eichelhäher, wohl eher eine Krähe. Sie schaute hinauf. Auch nicht. Mit dem großen weißen Fleck an der Seite konnte es nur eine Elster sein.

      Barsu das Wandertier war unzufrieden. Ein Gefühl nagte an ihm, als ob er ständig Hunger hätte. Dabei war Hungern in dieser Welt kaum möglich. Zwar war noch Winter, er lebte mit seinem Hexer im Wald und sie hatten keine Zeit gehabt, Vorräte anzulegen. Trotzdem fand er ausreichend Futter, sei es, dass er ein Tier erlegte, sei es, dass er sich an den Abfällen der Menschen bediente, die hier lebten. Galent machte es ähnlich, und damit kamen sie beide gut aus. Barsu hatte sogar schon Freunde gefunden, Raubtiere in seiner Größe und mit verschiedenen Fellfarben, die sich die Menschen hier als Haustier hielten. Katzen nannten sie sich.

      Barsu brauchte Galent nicht lange zu überreden, einen Teil seiner Magie dafür zu verwenden, ihn für den Rest der Welt wie eine schwarze Katze aussehen zu lassen. Die Prozedur dauerte drei Tage und juckte fürchterlich. Und Barsu musste sein neues Aussehen mit der Magie aus seinem Höcker erhalten. Zu Hause in Sirsim hätte er über so etwas gar nicht nachgedacht. Hier war es ein schwieriges Problem.

      Futter bekam er in dieser Gestalt genug von den Menschen. Er folgte den anderen Katzen dorthin, wo sie gefüttert


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