Buntspecht und Anton. Susanne Bonn
„Lass gehn, Anton!“, wiederholte der Mann streng. „Du kriegst nur wieder keine Luft mehr.“ Jetzt holte der Mann selbst die Harfe und lud sie in das große, eckige Auto.
„Tschüss, Katze“, sagte Anton und stieg ein. „Nächste Woche bist du bestimmt auch noch da, oder?“
Barsu verneigte sich. Diesen Jungen musste er sich merken. Und den Raben auch.
Der Wagen fuhr unter Barsus nachdenklichem Blick los. Er wartete, bis er nichts mehr sah, hörte oder roch. Damm trabte er mit aufgestelltem Schwanz zurück in den Wald, zu Galent. Der Hexer musste das alles erfahren und sich das Musikschloss ansehen. Jetzt, wo es auch noch einen Anton gab, mussten sie erst recht dort einziehen. Oder sich wenigstens in der Nähe niederlassen.
Der Hexer reagierte nach Einbruch der Dunkelheit genauso träge wie am Tag, als ob er den Vollmond gar nicht spürte. Dabei waren die letzten Menschen, die mit zwei Stöcken oder mit Hunden durch den Wald liefen, schon mit dem verglühenden Tageslicht abgezogen. Ohnehin fragte sich Barsu, warum Galent sich vor den anderen Menschen so gründlich verborgen hielt. Er war doch ein Mensch wie sie, er brauchte keine andere Gestalt anzunehmen wie Barsu, der sich in die Gemeinschaft der Katzen einschlich.
Endlich setzte Galent sich mit ihm in Bewegung. Als er merkte, dass Barsu den Weg zur Stadt einschlug, protestierte er: „Auf Abfalljagd kann ich jetzt noch nicht gehen. Da sind zu viele Leute unterwegs.“
Wieder diese Heimlichtuerei. Ja, die Häuser und die Straßen waren hell erleuchtet und es gingen Menschen hin und her oder fuhren mit ihren Autos. Trotzdem. Ihresgleichen sah im Dunklen sehr schlecht. Außerdem trugen die meisten Leute bei dem kalten Wetter dicke Jacken, Schals und Mützen, unter denen kaum etwas von ihrer Figur oder ihrem Gesicht zu erkennen war.
Nach einigen Umwegen und Abwarten in Verstecken kamen sie endlich zu dem Musikschloss. Barsu gab sich Mühe, Galent einmal um das Gebäude herumzuführen, aber der Hexer schien nichts Besonderes zu bemerken und sträubte sich dagegen, mit seinem Wandertier zu gehen. Barsu lief miauend hin und her, bis er im Eifer des Gefechts mitten in einen hellen Lichtkegel geriet.
Direkt vor ihm hielt ein Auto.
„Du bist vielleicht ein Hübscher!“, sagte eine kleine Frau mit rotem Gesicht und schwarzen Haaren, die gerade ausgestiegen war. „Du musst jetzt aber trotzdem mal da weggehen, damit Ruth auf ihren Parkplatz fahren kann.“
Ehe Barsu sich wieder orientieren konnte, hatte ihn die Frau schon aufgehoben. „Wem gehörst du denn? Ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht.“
Ausgerechnet an dieser Stelle zeigte sich Galent. „Er gehört mir“, sagte er und streckte die Hand nach Barsu aus. Diplomatie war noch nie seine Stärke gewesen.
Barsu schnurrte so herzerwärmend, wie er es fertigbrachte.
Die Frau drückte ihn fester an ihre Brust und drehte sich halb von Galent weg. „Und wer bitte sind Sie? Wohnen Sie hier in der Nähe?“
„In der Nähe, ja.“
Inzwischen war das Auto abgestellt, das grelle Licht ging aus, und eine zweite Frau gesellte sich zu der ersten, größer und mit einem dicken, hellen Zopf. Das war dann wohl Ruth. „Was ist? New cat on the block?“
Die erste Frau nickte.
„Und Sie sind der Eigentümer?“, wandte sich Ruth an Galent.
„Ja.“
„Und wer sind Sie?“
„Galent. Hexer.“
„Wie? Hechler? Aus der Burgstraße?“ In dem Fall war die erste Frau offenbar bereit, Barsu wieder laufen zu lassen.
Aber Galent antwortete: „Aus Sibirien.“
Woher hatte er das Wort? Es schien jedenfalls zu stimmen. Barsu fing von der Frau flüchtige Bilder von Bergen, endlosen Wäldern, Schnee und Eis auf.
Galent hatte offenbar einen Weg gefunden, sich mit den Frauen zu verständigen, ohne Barsu einzuschalten. Die Frau, die ihn im Arm hielt, hatte überhaupt keine Magie, bei Ruth konnte Barsu selbst auf die kurze Entfernung ebenfalls keine wahrnehmen. Und das, obwohl die beiden anscheinend im Schloss lebten.
„Ich reise zwischen den Welten“, fuhr Galent fort.
„Ein Schamane“, sagte Ruth, als ob sie ihm erklären müsste, was sein Beruf war.
„Dann können Sie bestimmt auch trommeln“, vermutete die Frau noch ohne Namen.
Galent nickte knapp. Was sollte das?
„Kommen Sie doch mit rein“, fuhr die Frau fort. „Und Ihr Kater auch. Für den haben wir auch was Leckeres da.“
„Aber Christine“, sagte Ruth, „jetzt setz den Herrn doch nicht gleich so unter Druck.“
Dazu nickte Galent. „Ich komme morgen wieder. Am Tag.“
„Guter Vorschlag“, meinte Ruth.
„Wo wohnen Sie denn?“, fragte Christine.
„Ganz in der Nähe“, antwortete Galent.
Ruth murmelte etwas.
Auf ihre Bemerkung reagierte Galent nicht. „Bis morgen“, sagte er und griff nach Barsu.
Christine gab ihn her, und sie konnten gehen. Bei all dem Durcheinander hatte Barsu gar nicht mitbekommen, wie es um diese Tageszeit mit der Magie am Schloss aussah. Wahrscheinlich war es wirklich besser, morgen am Tag zu kommen, wenn wieder Musik gemacht wurde. Er ließ sich von Galent ein gutes Stück tragen, bis dieser mitten im Wald die Geduld verlor. „Weißt du was, Dicker, du kannst selber laufen!“
Erde / 03
Steffi machte sich nichts aus Fastnacht. Meistens musste sie an dem betreffenden Wochenende ohnehin arbeiten, diesmal auch. Nur ging ihr der Mann nicht aus dem Kopf, den sie in der Spirit-Welt am Ableger getroffen hatte. Könnte der nicht die Gelegenheit nutzen, im allgemeinen Trubel wieder aufzutauchen? In seinem schwarzen Mantel, wie er war, damit sah er verkleidet genug aus ...
Sie musste aufhören, an ihn zu denken, und sich auf die Bestellung konzentrieren, die sie zusammenstellte. Daniel, Jeanette und Hans-Peter spielten an diesem Freitagabend ohne sie bei der Konkurrenz in Fremersheim. Sie hatte sich aus der Veranstaltung rechtzeitig ausgeklinkt, weil sie wusste, dass sie nicht freinehmen konnte. Trotzdem zog es sie dort hin. Das Tanzfest würde vermutlich länger gehen. Wenn sie ihr Buffet geliefert hatte, konnte sie vielleicht einmal vorbeischauen. Und sei es nur, um festzustellen, dass im Goldenen Lamm kein geheimnisvoller Fremder auf sie wartete.
Egal. Wenn sie sich endlich auf ihre Arbeit konzentrierte, konnte sie rechtzeitig fertig werden und nach Fremersheim fahren.
Als sie auf den Parkplatz gegenüber der Wirtschaft einbog, saß dort ein kleiner blonder Wikinger und spielte mit einer Katze.
Die hatte sie schon einmal gesehen. Den Jungen sowieso, das war Daniels Anton, der mit dem Plastikhelm mit Stummelhörnchen noch seltsamer aussah als sonst. Aber auch die Katze. Es war eindeutig dieselbe, die sie vor ein paar Tagen zu dem Traummann mit Spindel geführt hatte. War er am Ende doch in der Nähe?
„Hallo, Anton“, sagte sie, als sie ausgestiegen war.
„Hallo, Steffi“, murmelte der Junge. Ohne aufzublicken hielt er der Katze einen Grashalm hin, nach dem sie angelte.
„Wem gehört denn die Katze?“, fragte Steffi weiter.
„Keine Ahnung, aber sie ist nett.“ Anton griff nach dem Tier, und es ließ sich brav hochheben.
„Kommst du mit rein?“ Ihr war es nicht geheuer, dass Anton allein so nah an der Straße spielte.
Er schüttelte den Kopf, ganz auf die schwarze Katze konzentriert.
„Na gut. Ich sag Daniel, dass du hier bist.“
Daniel stand