Buntspecht und Anton. Susanne Bonn

Buntspecht und Anton - Susanne Bonn


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der Rabe aufhören.

      Der flatterte immerhin zurück auf den Baum und krächzte nur noch empört.

      Galent band den Sack mit dem Wandertier los und nahm das widerstrebende Tier auf den Schoß. Er hatte schon eine Art Geschirr aus langen Wollfäden vorbereitet, das streifte er dem Wandertier jetzt über. Dann steckte er es wieder in den Sack und schnürte ihn zu. Mit diesem Gepäck auf dem Rücken ging Galent voran zu dem Stein, der bei ihrer Ankunft das Tor abgegeben hatte. Vielleicht war Barsus Gang auf der anderen Seite noch intakt.

      Galent hatte die Trommel dabei. Die nahm er meistens dann, wenn er bei einem schwierigen Zauber nicht sicher war. Hatte er etwa Angst, dass Barsus Kraft nicht ausreichte? Dass er sich unterwegs verirren würde? Das wäre fast ein Grund, beleidigt zu sein.

      Aber das Trommeln half. Vor Barsu verschwamm der Felsblock, er konnte hineintauchen und mit seiner zuverlässigen Nase den Gang wiederfinden, durch den er gekommen war. Dieser hatte sich seitdem natürlich zusammengezogen. Trotzdem war es leichter, durch einen schon vorhandenen Gang zu kriechen, als einen neuen zu eröffnen.

      Während Barsu sich voran arbeitete, merkte er, dass er verfolgt wurde. Doch nicht von Galent, oder? Der Gang hinter ihm blieb schmal, ein Mensch drängte sich also nicht hindurch. Wer denn?

      Das zweite Wandertier natürlich. Wenn Barsu einen Augenblick innehielt, konnte er es riechen. Ob das wohl gutging? Wenn sie beide diese seltsamen Schnüre hinter sich her zogen, lieferten sie dem Kollektiv mehr Zauberkraft. Das könnte heißen, dass vielleicht ein drittes Wandertier ausgebildet wurde, das anschließend mit Barsu und dem anderen zurückreisen sollte. Dass das Kollektiv nach und nach eine ganze Staffel von Wandertieren aufbaute, die nichts anderes taten, als Magieleitungen von der Erde heranzuschleppen.

      Keine Zeit für solche Überlegungen, er musste sich auf seinen Weg konzentrieren. Sie kamen Sirsim näher, die Gänge wurden häufiger, kreuzten sich oder liefen so dicht nebeneinander her, dass Barsu Wandertiere in benachbarten Gängen spüren konnte. Das lag nicht daran, dass hier zu viel Verkehr war, sondern daran, dass die Schwärze große Unterschiede aufwies. Manche Stellen waren schwärzer und dichter als andere. Dort drang kaum ein Wandertier durch. Sie suchten sich bessere Pfade, wo die Umgebung lockerer, manchmal fast hellgrau war. Deshalb trafen sich in diesen Bereichen viele Gänge.

      Am Ende der Reise stand keine Felswand, sondern ein Rahmen, der mit dünnem Papier bespannt war. Dort durchzubrechen war ein Kinderspiel.

      Barsu ließ sich trotzdem Zeit, ein wenig auszuruhen und zu schnuppern. Wer wartete auf der anderen Seite auf ihn? Was wollten sie von ihm?

      Hinter ihm rückte das zweite Wandertier näher. Es tat noch immer so, als wollte es Barsu nicht kennen. Vor allem wollte es wohl nicht verraten, ob es zu einem Menschen gehörte und wer dieser Mensch war.

      Barsu duckte sich und sprang durch das Papier.

      Er landete weich in Stroh und rollte sich darin. Bis er sich in seinem Kragen aus langen Wollfäden verhedderte. Auf der Erde hätte ein klägliches Miauen sofort einen Menschen zu Hilfe gerufen. Hier drang ein scharfer Triller aus seiner Kehle, der die grau uniformierten Gestalten um ihn herum aber nur zum Lachen reizte.

      Mühsam befreite Barsu seine Pfoten und den Schwanz aus dem Gewirr. Als er es endlich geschafft hatte, war auch seine Botin zur Stelle. Fjalka. Erst, als er auf ihrem Schoß lag und sie langsam über sein Fell strich, wurde ihm klar, wie sehr er sie vermisst hatte.

      Hans-Peter ritt durch den Wald. Es wurde Zeit, den Rück-weg zum Stall anzutreten, denn er fror. Seine Beine waren steif, er spürte sie kaum noch. Die Hände hingen an den Zügeln fest wie angefroren. Das Pferd dagegen schwitzte und schnaubte, als es den nächsten Hügel hinauftrabte.

      „Schon gut, Dicker“, sagte der, „das ist der letzte Buckel für heute. Ab dem Hinkelstein geht’s nur noch geradeaus.“

      Der Dicke gab keine Antwort, lief aber schneller. Hans-Peter wurde ordentlich durchgeschaukelt. Er pfiff im Takt vor sich hin. Wie hieß das Stück noch gleich? Irgendein An dro musste das sein. Die konnte er nie auseinanderhalten. Jeanette war aber schwer begeistert von diesem bretonischen Zeug, deshalb spielte die Band ziemlich viel davon, und alles in a-Moll.

      Der Dicke spitzte die Ohren. Vor ihnen auf dem Weg tauchte eine leuchtend rosa Jacke auf, dann eine neongrüne, eine hellblaue und eine orangegelbe. Da hatten sich offenbar noch mehr Leute Hoffnungen auf Vorfrühling gemacht. Hans-Peter parierte durch zum Schritt und lenkte den Dicken in einem Bogen an den Wanderern vorbei. Die drängten sich am Wegrand zusammen, als ob sie mindestens den Schinderhannes erwarteten. Hans-Peter grüßte freundlich, zählte ein paar Takte Sicherheitsabstand aus, dann ließ er den Dicken wieder laufen.

      Die Steigung hatten sie hinter sich, irgendwo rechts von ihnen unter den Bäumen stand der Hinkelstein.

      Ohne Vorwarnung bäumte der Dicke sich wiehernd auf und raste bergab durchs Gestrüpp. Hans-Peter fiel nach vorn, klammerte sich am Hals seines Pferdes fest, aber das lief schnurstracks auf eine dicke Buche zu. Hans-Peter blieb mit dem Bein am Stamm, mit der Brust an einem niedrigen Ast hängen. Der Boden kam viel zu schnell näher.

      Die Wanderer hörten die donnernden Hufe und das Krachen im Unterholz. Der Mann in Neongrün wagte es, nachzuschauen, und fand den Reiter bewusstlos unter der Buche.

      „Ach Gott, was mach ich denn jetzt?“ Panisch sah er sich um, aber das Pferd schien weit genug weg zu sein. Wie war das damals im Erste-Hilfe-Kurs gewesen? Beatmen musste er den Cowboy wohl nicht, zu verbinden gab es auch nichts. Gut. Also das Rote Kreuz rufen.

      Vor Aufregung brauchte er mehrere Versuche, bis er den Notruf gewählt hatte. Dann sprudelte er heraus, was ihm einfiel.

      „Wo sind Sie?“, fragte die Stimme am anderen Ende.

      „Äh... - Kaiderbach.“ So hieß doch der nächste Ort, oder? Die anderen könnten langsam mal kommen.

      „Welche Straße?“

      „Keine Straße, hier ist nicht mal ein Weg. Ich steh im Wald.“

      „Im Grobenwald?“

      „Kann schon sein.“ Wenn er jetzt nach dem Routenplaner suchte, würde er das Gespräch verlieren.

      „Unterwegs zum Grünen Baum!“, rief der Mann in Orangegelb dazwischen.

      „Äh, ja, genau“, bestätigte der in Grün.

      „Am Hinkelstein?“, fragte die Stimme noch einmal.

      Endlich waren die anderen zur Stelle, und die Frau in Rosa las die Koordinaten ab.

      „Verstanden“, sagte die Stimme endlich. „Es kommt jemand.“

      „Zehn Minuten“, sagte der Mann in Orange, „länger darf das nicht dauern.“

      Es wurden lange zehn Minuten.

      Steffi hörte sich die Geschichte der geschockten Wanderer an und gab einen Schnaps aus. „Ein Reiter, sagen Sie?“

      Der Mann in Neongrün nickte. „Mit so nem Cowboyhut.“

      „Und das Pferd?“, fragte sie weiter. „Läuft das dann noch im Wald herum?“

      „Oh, ja, das Pferd. Schöner Schecke“, sagte die Frau in Rosa. „Hat sich da jemand drum gekümmert?“

      „Wer denn?“, murmelte der Mann in Neongrün missmutig. „Die Sanitäter ja wohl nicht.“

      Niemand antwortete.

      „Ich schau mal nach“, sagte Steffi. „Ich hab hier eh gleich Schluss.“ Außerdem kannte sie den Reiter und wusste, wo sie anrufen musste.

      „Wie, der Dicke ist schon wieder da? Und alles heil? - Schlauer Kerl. Ja, Hans-Peter ist versorgt. Wanderer haben ihn gefunden. Muss ganz schön übel gewesen sein.“

      Mit


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