Buntspecht und Anton. Susanne Bonn

Buntspecht und Anton - Susanne Bonn


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      Das hohle Gefühl in seinen Knochen war der Mangel an Magie. Es bewegte sich so wenig davon in diesem Wald. Die echten Katzen schien das nicht zu stören, nicht einmal die kleine Weiße mit dunklen Flecken und ohne Schwanz, die sich gleich als Coda, die Hexenkatze, vorgestellt hatte. Daraufhin fragte Barsu sie natürlich, wie es um die Magie in dieser Welt bestellt wäre.

      „Wenn du meinst, nur weil du schwarz bist, findest du eine echte Hexe, die dich aufnimmt, bist du ein paar hundert Jahre zu spät“, erklärte Coda missmutig. „Du kannst genau wie andere Streuner auch bei den alten Tanten reihum essen gehen.“

      Streuner! Wenn die wüsste. Barsu klärte sie nicht auf. Wandertiere, die durch die Schwärze reisen konnten, wussten, dass ihnen das meist ohnehin niemand glaubte. Es gab nur Ärger deshalb. Und das Kollektiv mochte es auch nicht, wenn solche „Staatsgeheimnisse“ erwähnt wurden. Aber das hieß wohl, dass in dieser Welt wirklich nicht mehr Magie floss.

      Und von dieser winzigen Menge sollten Galent und Barsu auch noch welche abzweigen. Schaden würde das niemanden, denn die Menschen auf der Erde könnten mit Magie sowieso nichts anfangen, sagte Galent. Wie sollten sie denn auch, wenn es davon so wenig gab? Trotzdem sammelte Galent eifrig das struppige Haar von allem möglichen Getier und drehte daraus seine Fäden, mit denen er Magie leiten konnte.

      Barsu streifte indessen Tag für Tag durch den Wald, um mit seinen nicht mehr sichtbaren Hörnern die Stellen zu erspüren, wo die Magie tatsächlich etwas kräftiger sprudelte. Dort fing er auf, was er bekommen konnte, aber es kam nur stoßweise, immer lagen längere Pausen dazwischen. Vielleicht wurde es ja mit dem Vollmond besser. So war es jedenfalls zu Hause immer gewesen.

      Jeden Tag dehnte Barsu seinen Radius aus, auch weiter in das Städtchen hinein, wo seine Katzenfreunde lebten. Dort standen fast nur Steinhäuser, und darin wohnten bestimmt mehrere hundert Leute, wenn nicht sogar tausend. Niemand von ihnen schien Rinder zu halten, nicht einmal Ziegen oder Schafe.

      Besonders eifrig hielt Barsu Ausschau nach anderen Wandertieren. In so einer großen Ortschaft musste es doch mindestens eine Botin geben, oder? Und die musste wissen, wie man an Magie kam. Wie sollten sich die Menschen denn sonst verständigen?

      Wie machten das die Leute zu Hause, in den Dörfern, wo keine Botin lebte? Manche richteten Vögel ab, die ihre Botschaften überbrachten. Bei Gefahr zündeten sie auf den Bergen Feuer an. Wenn es nicht so eilig war, trugen Leute die Nachrichten zu Fuß oder auf ihren Rindern von Dorf zu Dorf.

      Hier gab es allerdings keine Rinder, sondern Wagen, die mit viel Lärm und Gestank, dafür ohne Zugtier fuhren. Vielleicht brachten die Botschaften von einem Ort zum anderen. Das musste aber irgendwie ohne Magie funktionieren, denn Barsu merkte nichts davon, dass diese Gefährte Magie aufnahmen.

      Coda warnte ihn ständig vor diesen „Autos“, und auch andere Katzen erzählten grausige Geschichten von Freunden, die unter die Räder gekommen waren. Hatte vielleicht Coda selbst ihren Schwanz bei einem solchen Unfall verloren? Dazu sagte sie nichts.

      Eines Tages, als es schon stark auf den nächsten Vollmond zuging, folgte Barsu Coda zu dem Haus, in dem sie wohnte. Wenn sie wirklich bei einem Hexer lebte, würde dort doch bestimmt Magie zu finden sein, oder?

      Das Haus sah fast aus wie ein kleines Schloss. Weiß ragte es an einer besonders breiten, viel befahrenen Straße in die Höhe und leuchtete in der frühen Dunkelheit. Leise Musik erklang, durch die riesigen Fenster, eher Wände aus Glas, konnte Barsu junge Menschen tanzen sehen.

      Hier wirbelte die Magie, fast, als würden sich alle Kräfte, die diese Gegend überhaupt zu bieten hatte, in diesem Schloss versammeln und dann durch die Mauern nach außen sickern. Barsu schlich neugierig um das ganze Gebäude herum. Auf der von der Straße abgewandten Seite lag ein abschüssiger Garten, eher eine Wiese, die von einem Zaun und einer Hecke eingeschlossen wurde. Auch eine alte Tanne wuchs dort. Zwischen zwei Reihen von hohen Sträuchern stand ein Holzhaus, fast wie sie die Menschen zu Hause in den Bergen bauten. Mit Fenstern und Türen, die fest schlossen und tatsächlich Wind und Regen abhalten konnten. Es hatte sogar eine Plattform auf Pfählen, die den Hang ausglich. Nur hatte jemand sehr eifrig Muster in die Balken geschnitzt und gesägt.

      Dieses Haus würde er Galent zeigen. Wenn sie hier wohnen könnten statt in der Hütte im Wald, müsste das Magiesammeln und folglich das Hexen doch viel besser gehen als bisher. Oder?

      Langsam ging er noch einmal an dem Haus entlang und fing so viel von der austretenden Magie auf, wie er konnte. Er genoss das Gefühl, wie sein Höcker sich füllte. Dabei achtete er wohl nicht ausreichend auf seine Umgebung. Als er wieder in die Nähe der Tanne kam, krächzte über ihm ein Rabe und kam im Sturzflug auf ihn herab. Höchstens eine halbe Pfote breit wischte er über Barsus Rücken hinweg. Der sprang fauchend herum. Der Angreifer purzelte verwirrt ins Gras und hüpfte dann mit schräg gelegtem Kopf auf Barsu zu.

      Der Vogel war merkwürdig. Er hatte nicht nur einen weißen Flügel, mit dem er fast wie eine Elster aussah. Es fühlte sich an, als ob er Magie ansaugte. Konnten Vögel Wandertiere sein? In dieser Welt schien vieles möglich. Barsu fauchte den Vogel noch einmal an und schlug mit der Tatze nach ihm. Dann trabte er den Hang hinauf. Der Rabe blieb zurück. Anscheinend war er nicht mehr an Barsu interessiert.

      Vor dem Musikschloss an der Straße lag ein kleiner Platz, wo einige der lärmenden, stinkenden Wagen abgestellt waren. Da lärmten allerdings nicht, und wenn man lange genug wartete, ließ anscheinend auch der Gestank nach. Barsu schlich zwischen diesen Metallkisten herum. Er wollte sie aus der Nähe untersuchen, solange sie harmlos waren. Ob sie wohl aufwachten, wenn man darauf sprang?

      Er duckte sich und machte einen Satz auf das niedrigere Ende eines roten Kastens.

      Nein, keine Reaktion.

      Aber von hier aus entdeckte er den Jungen. Er war lang und dünn, hatte goldblonde Locken und trug eine grau geringelte Kapuzenjacke. Mit großen Schritten lief er zwischen den Autos hin und her, sprach laut mit jemandem, den Barsu nicht sah, und gestikulierte heftig. Um ihn herum wirbelte Magie, als hätte er einen eigenen kleinen Sturm als Umhang. Offenbar konnte er nichts damit anfangen, die Magie blieb völlig unstrukturiert. Barsu musste diese Energie einfangen, wenigstens einen Teil davon. So viel auf einmal würde er so bald nicht wiederfinden, nicht einmal vor diesem wunderbaren Schloss.

      Was tat der Junge hier? Spielte er ein Instrument? Möglich. An den Zaun gelehnt stand eine große, ungefähr dreieckige schwarze Tasche mit Tragegurten. Barsu fing an zu rätseln, was darin stecken könnte.

      Ein Auto fuhr vor, groß und kantig, mit vielen Schrammen. Barsu sprang von seinem Ausguck herunter und duckte sich unter eins der stehenden Autos.

      Der Junge nahm seine Tasche auf, als ob sie ihm zu schwer wäre, und machte einen Schritt in Richtung Straße.

      Da kam der Rabe angeflogen. So schnell ihn die ungleichen Flügel trugen, zog er dicht an dem Jungen vorbei. Der ließ die Tasche fallen, die tief und anhaltend summte, und wehrte mit beiden Armen den aufdringlichen Vogel ab.

      „He, blödes Vieh! Was soll‛n das!“, rief der Mann, der eben aus dem Auto stieg, und scheuchte den Raben ebenfalls. „Rabiate Vögel haben die hier. Alles in Ordnung, Anton?“

      Der Junge nickte langsam. Er machte keine Anstalten, zu seinem Koffer zu gehen.

      Barsu pirschte sich aus seiner Deckung, möglichst nah an Anton heran. Es fühlte sich an wie ein Platz in der Sonne. Barsu saugte die Magie in sich auf wie Wasser nach einer langen Wanderung.

      „Gsch!“ Der Mann machte einen heftigen Schritt auf Barsu zu. „Hau ab, Katzenvieh! Was ist denn heut nur los, dass alle Tiere auf den Anton losgehen?“

      Barsu wich eine halbe Pfotenbreite zurück.

      Wieder stampfte der Mann direkt vor Barsus Nase auf. Er war groß und schwer, sein Schritt ließ den Boden schon leicht zittern. „Jetzt hau aber ab! Anton ist allergisch gegen dich.“ Das klang, als ob es eine Krankheit wäre. „Komm, hol deine Harfe, Schatz, dann können wir los.“

      Der Junge nickte, blieb aber bei Barsu stehen. „Der Kater ist lieb“, sagte er und


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