Schlaflos. Anders Bortne
der Kelleretage auf den aufgewirbelten Staub und den Matratzenschoner. Ich blieb stehen, starrte auf das unbezogene Bett und spürte, wie sich mir die Haare im Nacken sträubten. Ich hatte das Bett schon oft neu bezogen, doch das hier hatte ich noch nie bemerkt: Auf der linken, das heißt auf Lines Seite entdeckte ich Risse im abgenutzten Stoff, wie sie bei normaler Benutzung halt entstehen. Dieses Bett hatten wir schon viele Jahre, das waren also ganz normale Abnutzungserscheinungen. Aber auf der anderen, auf meiner Seite des Bettes sah man nichts! Der Matratzenschoner sah völlig unbenutzt aus! Als ob meine Frau in all diesen Jahren ihr Bett mit einem Gespenst geteilt hätte. Ich war zwar wie besessen von diesem Bett, doch hatte ich bis dahin kaum darin gelegen.
Ich ließ das Bettzeug liegen, setzte mich auf die Matratze und tat etwas, was ich bis dahin noch nie getan hatte: Ich zog mein Handy raus und googelte Schlafmangel und Langzeitschäden. Dann fand ich einen Artikel mit dem Titel Hier eine Liste der ernst zu nehmenden Gesundheitsprobleme, die durch zu wenig Schlaf ausgelöst werden können. Darin stand: Diabetes. Erhöhte Cholesterinwerte. Schlaganfall. Herzinfarkt. Krebs. Unter der Liste war ein eingeschobener Block mit Fakten und der Anzahl der Stunden Schlaf, die man benötigt, um seine Gesundheit zu erhalten. Demzufolge brauchten Erwachsene täglich sieben bis acht Stunden Schlaf.
Da bekam ich es also mit der Angst und besorgte mir einen Arzttermin.
Am Tag darauf hatte ich schon keine Angst mehr und wollte den Termin absagen. Ich wusste aber, dass meine Angst zurückkommen würde. Meine Gefühle schwankten wie die Schlafstörungen, die auftauchten und dann wieder verschwanden. Ich wurde krank, erholte mich wieder, wurde wieder krank und wieder gesund. Jetzt war ich ja nicht mehr krank, ich hatte in der Nacht zuvor ganz gut geschlafen – also hatte ich auch keine Angst mehr. Ein Allgemeinmediziner konnte mir ohnehin nicht wirklich helfen, also warum sollte ich auch meine Zeit mit einem Arztbesuch vergeuden?
»Dieser Arzttermin – ich glaub, den sag ich ab«, meinte ich zu Line.
Sie schaute mich an.
»Sicher?«
»Das Einzige, was ein Arzt machen kann, ist, mir Schlaftabletten zu verschreiben. Und die will ich nicht.«
»Aber wenn man dir irgendwie anders helfen soll, müsstest du zuerst schon noch mit dem Hausarzt reden.«
Im Wartezimmer des Arztes sitzt mir eine Frau mit Krücken und Halskrause gegenüber. Ihr Blick ist hilflos nach oben gerichtet. Neben mir sitzt ein Mann, der alle zwanzig Sekunden tief und rasselnd hustet. Drüben, neben der Tür, versucht eine Frau ihr schreiendes Baby zu beruhigen. Und mittendrin ich, ausgeruht und gesund und in der Hoffnung, dass man mich nicht vor den anderen aufruft.
Und dann taucht der Arzt auf:
»Herr Bortne?«
Meine Ausführungen mache ich ungefähr so, wie ich es vorab vorbereitet habe: »Ich leide seit sechzehn Jahren an chronischer Insomnia«, sage ich als Erstes. In dem Buch, das ich mir vor zwei Tagen aus der Bibliothek geholt habe, verwendet man den Begriff Insomnie, nicht die lateinische Bezeichnung Insomnia. Ich habe Angst, er könnte glauben, ich hätte mir so etwas nur herausgepickt, um mich krank zu stellen. Auch, weil ich will, dass der Arzt derjenige ist, der am meisten über das Thema weiß, bleibe ich vorläufig bei der eher volkstümlichen, wenn auch nicht ganz korrekten Variante: »In letzter Zeit ist meine Insomnia schlimmer geworden und ich bekomme langsam Angst, wenn ich an die langfristigen Auswirkungen von zu wenig Schlaf denke. Und dann mache ich mir auch noch Sorgen um mein Herz. Und ich habe Angst vor Krebs.«
Ich versuche, meiner Angst Ausdruck zu geben, so wie ich sie noch vor einer Woche gespürt habe. Ich versuche, mich noch mehr an sie zu erinnern, damit ich meinem Gegenüber davon berichten kann, auch wenn sich das wie eine Lüge anfühlt.
»Ich muss herausfinden, warum ich nicht schlafen kann«, sage ich. »Vielleicht gibt es keine einfache Erklärung dafür, vielleicht gibt es mehrere Ursachen. Ich bin bereit, das meiste auszuprobieren. Ich suche jetzt nicht mehr nur nach einer schnellen Problemlösung.«
Der Arzt und ich sehen uns an. Er ist jung – auf jeden Fall jünger als ich, mit dunklen Locken und einer rundlichen, schwarzen Brille. Er ist die Vertretung der Vertretung meines Hausarztes, die ich noch nie getroffen habe. Das Gesicht des Mannes ist leer, ausdruckslos. Vielleicht ist er an Patienten gewöhnt, die an Medikamente kommen wollen und ihn nur als zu überwindendes Hindernis betrachten. Ich will aber nicht mit Schlaftabletten nach Hause geschickt werden. Da fahre ich lieber wieder heim und mache so weiter wie bisher.
Der Arzt legt seine Finger auf die Computertastatur und schreibt, während ich rede, dann legt er seine Hände in den Schoß und hört weiter zu.
»Ich versuche auch, selbst daran zu arbeiten«, sage ich.
»Und wie?«
Mein Handy klingelt. Ich ziehe es aus meiner Jackentasche und weise den Anruf ab.
»Ich surfe nicht mehr im Internet, gehe nicht mehr auf Facebook, versuche, mehr Bücher zu lesen. Ich versuche auch, mir mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Ich habe mir einen Kalender zum Notieren meiner Termine zugelegt. Ich habe angefangen zu trainieren. Und ich versuche, öfter mein Handy wegzulegen.«
Das Handy klingelt schon wieder.
»Und wie funktioniert das für Sie?«, fragt der Arzt.
Ich nehme das Handy, schalte es ganz ab und murmele eine Entschuldigung.
»Ich versuche, etwas über Schlaf und Schlafstörungen herauszufinden«, sage ich. »Deshalb habe ich mir auch aus der Bibliothek ein Fachbuch geholt.«
Der Arzt blickt nur auf seinen Computerbildschirm, zu mir schaut er nicht mal rüber. Das Letzte, was ich gesagt habe, bereue ich schon wieder. Es stimmt schon, dass ich in der Mittagspause in der Bibliothek war und mir ein Buch – Schlaf und Schlafstörungen – ausgeliehen und darin über Tag-Nacht-Rhythmus, Insomnie und andere Schlafstörungen gelesen habe, aber soll ich das jetzt dem Arzt erzählen?
Ich muss vorsichtig sein, denke ich. Ich muss den Arzt Arzt sein lassen und den Patienten Patient.
»Haben Sie Einschlafprobleme?«, fragt er. Es sieht aus, als lese er etwas vom Bildschirm ab. »Oder wachen Sie zu früh auf, ohne wieder einschlafen zu können? Oder wachen Sie in der Nacht oft auf?«
Ich muss nachdenken. Schon schwierig, das so – zusammen mit dem Arzt – von außen zu betrachten. In den ersten Jahren war die Schlaflosigkeit genau das: ein Leiden, eine Krankheit, etwas, was man betrachtet. Doch in den letzten sechs, sieben Jahren bestimmte die Krankheit mein ganzes Dasein, sie war ich. Ich denke an die letzten Wochen: Letzte Nacht habe ich gut geschlafen, doch in der Nacht davor? Da habe ich gar nicht geschlafen. Auch nicht in den drei Nächten davor. Es fällt mir schwer, mich zu erinnern; die schlaflosen Nächte und Tage gehen ineinander über, es gibt nichts, was einen Unterschied machen würde, nichts, woran ich mich orientieren könnte. Wie ein langer, dunkler Tunnel, bei dem man nur merkt, wenn er beginnt und wenn man durch ist. Ist das alles jetzt schlimmer als früher? Habe ich deshalb eine solche Angst? Hat Line deshalb so darauf bestanden, dass ich nun endlich zum Arzt gehe?
»Alle vier Nächte nicht?«, fragt der Arzt.
Ich nicke.
»Gibt es noch andere Sachen, neben den Schlafstörungen, die Ihnen aufgefallen sind?«
»In letzter Zeit hatte ich wirklich emotionale Gefühlsschwankungen«, sage ich. »Mehr als sonst. Ich werde schnell wütend. Oder aufgeputscht. Oder deprimiert.«
Ich versuche, den Begriff Laune zu vermeiden.
»Arbeiten Sie?«
»Ja.«
»Als was?«
»Ich arbeite für ein Ministerium und schreibe Reden. Und dann bin ich auch noch Schriftsteller – und mache auch noch eine Comic-Serie für eine Tageszeitung. Und dann habe ich da noch ein paar Musikprojekte.«
»Klingt viel«, sagt der Arzt.
»Vor