Marslandschaften. Angela Steinmüller

Marslandschaften - Angela Steinmüller


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schweres Tischchen mit verschnörkelten Metallbeinen vor sich, und hatte wie ein Idiot – wie die anderen Idioten! – das Handy auf den Eingang gerichtet.

      Natürlich ließ sie auf sich warten, zehn Minuten, einen Espresso lang.

      Sie hatte eine Aura, und sie trug diese wie andere einen Pelzmantel oder ein teures Kleid aus einem Designerladen. Sie schwebte mehr heran, als daß sie ging. Schwebte vorbei an den anderen Tischchen, wo sich die Leute nach ihr umdrehten. Schwebte lächelnd auf ihn zu.

      »Bastl, mein Bester, die Aura bringt uns wieder zusammen!«

      Er dachte nicht daran, sich zu erheben. Kein Küßchen auf die Wange. Sie ließ sich neben ihm nieder. »Du möchtest sicher auch einen Prosecco …« Den hatte er nie gemocht, genausowenig wie ihr albernes, fruchtiges Parfüm, aber woher sollte sie das wissen?

      Sie legte ihm die Hand auf den Arm: »Wir sind auserwählt, Sebastian. Zählen zu den wenigen, die …« Er mußte nicht danach fragen, ob ihr Gegenwärtiger – also der Noch-Nicht-Ex – zu den Normalsterblichen gehörte.

      »Du siehst etwas zerknautscht aus, Bastl. Dabei solltest du vom Glück überfließen.«

      Der Prosecco kam, sie stießen an. Sie senkte ihre Stimme, flüsterte so leise, daß er sie kaum verstehen konnte. Durch die mit goldenen Schriftzügen geschmückten Scheiben des Cafés drang, zu einem Rauschen gedämpft, der Straßenlärm.

      »Wir sind die Hundertvierundvierzigtausend. Die bleiben, wenn alles vergeht. Das sind die letzten Tage, das weißt du doch, Sebastian? Die vor dem Ende. Nein, keiner kann wissen, wie das kommt. Doch es ist schon ganz nahe. Die Aura ist das Zeichen. Und die Aura schützt uns.«

      »Bist du eigentlich immer noch auf Diät?« fragte Sebastian brutal dazwischen. Aber sie ließ sich nicht beirren.

      »Alle Religionen kennen das Weltende. Vielleicht ein Brand, vielleicht eine Flut. Wir Menschen sind ja zu beidem fähig. Vielleicht ein leises Ende, ein plötzliches Verschwinden, ohne Wimmern.« Sie lachte. »Bereite dich vor, Bastl.«

      »Soll ich packen? Für den Weltuntergang?«

      »Also tu nicht so, Bastl. Du weißt, was ich meine.«

      »Buße tun? Bereuen?«

      »Quatsch. Du hast doch die Aura. – Aber deinen Seelenfrieden solltest du finden, dich innerlich auf das Ende – den Großen Übergang – vorbereiten, alles Unnötige abstreifen, den Job und so. Sieh mich nicht an wie einer von deinen Handy-Hunden! Alles ist doch sonnenklar: Die Aura ist das Zeichen. Ob sie nun von dem bärtigen Gott im Himmel, Jehova, Allah oder von einer göttlichen KI stammt, ist doch völlig gleichgültig, wir schauen nie hinter die Kulissen, aber wenigstens das, was davor läuft, können wir erkennen.«

      Keinesfalls war Laura von selbst auf diese Gedanken gekommen. »Das sagt dein neuer Meister? Wie heißt er eigentlich?«

      Früher hatte sie Abmagerungs-Gurus gehabt, jetzt lief das wohl auf eine Art geistige Diät – ebenso einseitig und ungesund – hinaus.

      »Also Bastl, du willst die Botschaft einfach nicht vernehmen. Meine Stimme ist wohl zu schwach für dich. Komm einfach einmal mit, wenn der-Erste-unter-uns zu uns spricht. Oder schau ihn dir wenigstens im Netz an. – Er hat die Aura als Allererster bekommen, schon vor vier Wochen. Aber jetzt werden nur noch wenige erwählt.«

      Der Erste-unter-uns! Sebastian schüttete den Rest Prosecco hinunter. Da gab es also schon eine Sekte von Idioten, die die Aura-Intelligenz anbeteten! Eine gute Zeit für Möchtegern-Propheten, für selbsternannte Religionsführer … Mußte man dafür eher total bescheuert oder gewissenlos und geschäftstüchtig sein – oder vielleicht alles zugleich? Und selbstverständlich fiel Laura auf dergleichen Scharlatane herein!

      »Du hast vielleicht auch schon gehört, Bastl, daß der Papst nicht mehr öffentlich auftritt? Mit oder ohne Aura, ihm laufen die Gläubigen weg. – Ach, was rede ich mir den Mund fusselig, du bist noch immer der alte Toffel!«

      Laura war nicht die einzige, der die Aura zu Kopf gestiegen war. Sebastian brauchte nur ein wenig in die sozialen Medien zu schauen oder, einen Pott Kaffee in der Hand, den heftigen Wortgefechten im Inspiration Space zu lauschen. Steven, der Hardware-Spezialist, und Torsten, der Nutzerschnittstellen-Ingenieur, fochten vor der Espressomaschine – und am liebsten in Anwesenheit von Annika – ihre Revierkämpfe aus. Brachte Steven das Gerücht, daß Ärzte mit Aura bessere Heilungserfolge hätten – vielleicht ein Placebo-Effekt? –, dann hielt Torsten mit der Frage dagegen, ob Babys schon mit Aura zur Welt kamen. – Offenbar nicht, die jüngsten Auratischen waren gerade einmal drei Jahre alt. Dann diskutierten sie, ob Autoversicherungen den Auraträgern Rabatt einräumten, weil sie seltener in Unfälle verwickelt waren. Doch das war offensichtlich falsch, denn da hätte das Diskriminierungsverbot eingehakt: Menschen mit »digitaler Markierung« wären in jedem Falle gleich zu behandeln. Und dann ging es darum, daß Politiker mit Aura sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigten und wohl künftig in den Wahlkämpfen nicht die mindeste Chance hätten. Außer in einigen afrikanischen Ländern, da wurden nur noch Auratische gewählt. Die Menschheit spaltete sich wieder einmal … Und in Indien waren Mitarbeiter einer Software-Schmiede von einem hinduistischen Mob gelyncht worden, weil man sie für diejenigen hielt, die die KI, einen Avatar des Zerstörers Shiva-Bhairava, in die Welt gesetzt hatten. In den USA dagegen hatte das FBI mehrere KI-Labors durchsucht.

      Wie es schien, spekulierte Steven darauf, selbst eine Aura zu erhalten. Denn es gab ab und zu Berichte über neue Auratische. Aber wie man sich verhalten mußte, um in den Genuß der »digitalen Hülle« zu kommen, blieb umstritten, zu sehr unterschieden sich die Beschreibungen: »Der hat tagelang immer wieder den Straßenmusikanten gespendet, jetzt hat er die Aura.« Dagegen zirkulierte auch ein kurzes Video, in dem ein Angetrunkener just in dem Moment die Aura erhielt, in dem er gegen ein Wartehäuschen pinkelte. – Aber vielleicht war das nur ein witzig gemeinter Fake.

      Wenn es denn eine Intelligenz ist, überlegte Sebastian und starrte, ohne zu sehen, auf das angeblich von einer Robbe gemalte Bild, dann mußte diese Intelligenz doch eine Absicht haben. Welchen Sinn, welchen Zweck hatte die Aura? Zumal wenn sie so zufällig ausgeteilt wurde. Eine Intelligenz verfolgte doch einen Plan, agierte nicht so kopflos und unbedacht wie viele Menschen. Kein Wunder, daß schamlose Prediger wie der-Erste-von-uns Auftrieb hatten und die Lauras beiderlei Geschlechts ihnen in Scharen nachliefen. Die meisten Theologen hielten tapfer, aber relativ erfolglos dagegen: Die Aura habe keinerlei religiösen Bezug, es handele sich um ein rein technisches Phänomen. Gehör fanden allenfalls die Geistlichen, die in der Aura Teufelswerk sahen, das vom wahren Glauben fortlocken sollte.

      Sebastian drehte sich vom Bild weg. Er verspürte nicht das mindeste Verlangen, sich in die abstruse Debatte von Torsten und Steven einzumischen. Gerade diskutierten sie, ob die KI, die die Auratischen auswählte, der Antichrist sei! Dabei hatte Sebastian beide, wenn nicht für regelrechte Atheisten, so doch für völlig unreligiöse Menschen gehalten. Auch das war ein Kollateralschaden der Aura!

      Zuerst, so Torsten, sei die »Große Künstliche Intelligenz hinter allem« etwas Wundervolles, sie regle das Leben, erleichtere den Alltag, die Menschen entdeckten ihre Spiritualität, dann würde unvermeidlich der Rückschlag kommen, die Abkehr von traditionellen Glaubensformen, statt den Gott der Bibel beteten die Menschen den Gott der Aura an. Im Gegenzug für ihre Wohltaten würde die Große KI, die über alles und jeden informiert war, Verehrung verlangen und schließlich all die Menschen einfach ausschalten, die nicht mitspielten, ein Verkehrsunfall hier, ein Wohnungsbrand da. Ihr Wort wäre dann Gesetz. Damit würde sich der falsche künstliche Gott als der Antichrist entlarven … Für Steven dagegen konnte die KI im Netz Teil des göttlichen Heilsplans sein, ein Anstoß, damit die Menschen sich ihrer Freiheit bewußt würden … – Wo hatten diese beiden Ungläubigen nur derart verschrobene Theorien aufgeschnappt? Oder war das als gezielte Provokation für ihn, den Auratischen, gedacht?

      Sebastian sammelte sich, stellte seinen Pott zu den benutzten Tassen. »Heilsplan, Antichrist – in Wirklichkeit ist es noch viel schlimmer«, blaffte er sie an. »Die Aura macht alle verrückt! Und sie hält gerade die etwas intelligenteren Zeitgenossen massenhaft von dringenden Arbeitsaufgaben


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