Das Korn rauscht. Friedrich Griese

Das Korn rauscht - Friedrich Griese


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der Übernahme einer Bürgschaft verarmt und später als Tagelöhner arbeiten muß, wird Friedrich Griese am 2. Oktober 1890 in einem Dorf bei Waren, im östlichen Mecklenburg, geboren. Hier, in Lehsten, zwischen den beiden Straßen im Westen und Osten, dem „Hohen Ende“ und dem „Brink“, verbringt er die ersten fünfzehn Lebensjahre. „Ich habe sehr früh schwer arbeiten müssen“, bemerkt Griese im Rückblick, „aber ich habe doch auch erfahren dürfen, welcher Segen auf körperlicher Arbeit ruht.“

      1906 geht er für fünf Jahre an das Lehrerseminar nach Lübtheen. Er beginnt zu schreiben. Die Vorbilder, an die er sich scheu wendet, verweisen ihn nur an Bücher. Doch „einer“, erinnert sich Griese 1931, „Peter Rosegger, gab mehr; ein paar herrliche Briefe von ihm, die er mir als damals achtzehnjährigem Menschen schrieb, waren lange Zeit der einzige Hinweis auf das, was es einmal für mich zu tun geben würde.“ Als er das erste Mal mit etwas Selbstgeschriebenem an die Öffentlichkeit tritt, ist sein Schreibimpuls ein sozialkritischer: In der „Rostocker Zeitung“ erscheint 1914 eine Artikelserie, in der Griese die Mißstände der „ritterschaftlichen Schulen“ angreift – der Titel: „Wir klagen an“. Weil er sich für seine Schüler engagiert hatte, die während der Erntezeit nach Gutdünken vom Gutsbesitzer aus dem Unterricht genommen werden konnten, war er aus seiner ersten Stelle entlassen worden.

      Seit 1913 ist Friedrich Griese als „Lehrer mit echtem Pestalozzigeist“ in Stralendorf bei Parchim tätig, im südwestlichen Mecklenburg. Hier wird er im September 1916 heiraten, seine drei Kinder kommen hier zur Welt. Und hierher kehrt er im Sommer 1916, für Monate fast gänzlich ertaubt, aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Bereits im Vorschulalter ist er, der zeitlebens schwerhörig bleiben soll, an einem Gehörleiden erkrankt; es mag sein, daß dies seinen Rückzug in die Innenwelt noch verstärkt. Nun, mitten im Krieg, fühlt er sich dazu bestimmt, „festzuhalten, was so an äußeren und inneren Erfahrungen überliefert wurde“: Von 1916 bis 1919 entstehen die 14 Geschichten aus „Das Korn rauscht“. Seine „Erzählungen aus Mecklenburg“ erleben mehrere Auflagen. Sie erscheinen 1923 im Trierer Verlag Lintz, 1929 und 1934 im Carl Schünemann Verlag, Bremen, und zuletzt 1947 im Thomas-Verlag in Kempen am Niederrhein.

      Seine Erzählungen sind vorzüglich geeignet, um ein Stück Alltagsgeschichte des ländlichen Mecklenburg im 19. Jahrhundert kennenzulernen – einer Zeit, in der die Bauern ihre Stiefel noch mit Stroh ausstopften, um warme Füße zu haben –, und sie sind auch heute noch gut lesbar. An ihnen zeigt sich bereits Grieses Interesse für Regionalgeschichte und seine Vorliebe für die den Mecklenburgern eigene Wesensart, ihre Sitten und Bräuche. Eine kleine bäuerliche Porträtgalerie ist hier entstanden – angefangen bei den drei „Adebars“, die bei ihren bedächtigen Zusammenkünften nur alle halbe Stunde einmal den Mund auftun, über Doris und Anna Schweder, die hartherzige Mutter und ihre rebellische Tochter, bis zu dem „düsigen“ und doch so kinderlieben Knecht Hans Harm.

      Inspiration erfährt der Schwerhörige stark „durch das Auge“: Alle Menschen, über die er schreibt, haben auch gelebt. Es liegt ihm fern, die Dorfwelt zu verklären. In seinem Werk dominieren die sozial Schwachen – das Gesinde, die Tagelöhner und einfachen Bauern. Sein Augenmerk, bekennt der Dichter 1946 in seinem Aufsatz „Von der inneren Beständigkeit“, habe „immer dem sogenannten kleinen Mann gegolten, der Not und Sorge seines Alltags, wie seinem Mut und seiner Rastlosigkeit, dieser Not zu begegnen.“ Auch von den sexuellen Nöten erzählt er, davon, wie einzelne Dorfbewohner von ihrem „Inwendigen“, den verborgenen Trieben oder der Last eines Geheimnisses in ihrem Inneren, bedrückt werden. Seine ruhig dahinfließenden Geschichten sind volkstümlich-realistisch, oft auch liebevoll-humorvoll erzählt – etwa, wenn in „Der Ruf des Schicksals“ in den zwei Brüdern gesetzteren Alters eines Tages die Kinderseele wieder erwacht, oder wenn Griese im „Irrgang“ schildert, wie ein ortsfremder Pfarrer es manchmal nicht ganz leicht hat. Eingängigstes Beispiel für die Verbundenheit des Bauern mit seiner Scholle ist die Titelgeschichte: Gelassen läßt der Sterbende Haus, Hof und Familie hinter sich, denn das Sterben gehört in den Lauf der Natur; doch seine Seele findet keine Ruhe, ehe sie nicht von seinem liebsten Acker hat Abschied nehmen können.

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      Grieses Kriegserlebnis fließt ein in seinen ersten Roman: „Feuer“ (1921), der im November 1918 entsteht. Er schildert die Heimkehr eines Soldaten, der sich in die Nachkriegswelt nicht mehr eingliedern kann – ein beliebtes literarisches Thema in den Zwanzigern, das Griese womöglich als erster überhaupt verarbeitet hat.

      Eine Reihe von Grieses Werken basiert auf Sagen und mündlich überlieferten Geschichten, die ihm zum Teil von dem eifrigen Sammler Richard Wossidlo (1859–1939) vermittelt werden. Ihm widmet Griese 1925 sein Buch „Alte Glocken“. Umgekehrt gehen die mecklenburgischen Dialogeinschübe seiner Prosa ein in das von dem Volkskundler begründete „Mecklenburgische Wörterbuch“, in dem auch Wendungen aus „Das Korn rauscht“ zu finden sind.

      In Kiel, wohin der Dichter 1926 gezogen ist, schreibt er den Roman, der ihn weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt macht und 1928 mehrfach preisgekrönt wird. 1957 wird er in der zehnten Auflage erscheinen. „Winter“ (1927) ist eine düstere Vision vom Untergang eines überalterten Dorfes, dessen Bevölkerung einem unheimlichen, lebenszerstörerischen Winter zum Opfer fällt – nur ein junges Paar überlebt.

      Auch das Thema der Leibeigenschaft, die in Mecklenburg erst 1820 aufgehoben wurde, beschäftigt Griese. Sein Roman „Der Herzog“ (1931) schildert den vergeblichen Kampf Karl Leopolds von Mecklenburg (1713–1747) für die Bauernbefreiung; „Das Dorf der Mädchen“ (1932), das auf Geschehnissen von 1848 beruht, führt die sexuelle Verfügbarkeit des ius primae noctis und das Züchtigungsrecht eines Gutsherrengeschlechts über seine Hörigen vor Augen bis zu deren blutiger Rebellion.

      Tags Volksschullehrer, später -direktor – nachts Dichter: Lange hat Griese mit dieser Doppelbelastung gelebt. Wegen der Aussicht auf Beurlaubung, die ihm ab 1931 dann auch gewährt wird, war er nach Preußen gegangen. Seit 1935 lebt er nun als freischaffender Schriftsteller wieder bei Parchim in Mecklenburg, in seinem „Rethus“, wie er wegen des rohrgedeckten Daches die Markower Mühle nennt.

      Nachdem die Vertreter der Heimatdichtung in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber denen der Moderne, jenen der Neuen Sachlichkeit und des Großstadtromans einen schweren Stand hatten, erleben sie im Dritten Reich, das die „bäuerliche Mythendichtung“ als „heilsames“ Gegengewicht zur rationalen „Verstädterung“ der Literatur propagiert, eine starke Förderung. Nicht ohne Witz entgegnet Griese 1936 in dem programmatischen Vortrag „Landschaft und Dichtung“ auf Alfred Döblins bekanntes Diktum vom „schlechthin platten Land“, man habe Döblin damals erwidern können, „daß es in der dörflichen Welt kein plattes Land gebe, selbst der ebenste Weg sei noch nicht platt, ganz zu schweigen von dem herbstlichen Pflugacker, platt sei nur der Asphalt der Großstadt, der sei es dafür allerdings auch vollständig und schlechthin“. Acht Literaturpreise hat Friedrich Griese in der Zeit des Nationalsozialismus erhalten – so viele wie keiner sonst. Doch Griese, im Grunde ein unpolitischer Mensch, wird nie Parteidichter, und bis 1942 lehnt er einen Eintritt in die NSDAP ab. Als die literarischen „Monats-Hefte Mecklenburg-Lübeck“ 1936 eine politische Ausrichtung bekommen sollen, legt er sein Amt als Herausgeber nieder. Und als er nach der dritten Auswechslung seines Verlegers bei Langen-Müller durch Robert Ley, den Chef der „Deutschen Arbeitsfront“, ein Rundschreiben erhält, das den hauseigenen Autoren ihre künftige Arbeit im Sinne der Partei vorschreibt, kündigt Griese seine Verträge mit jenem Verlag, in dem der Großteil seiner Bücher erschienen ist. Immer hat er darauf beharrt, in seinem Werk „den Nationalsozialisten gegenüber keine Zugeständnisse gemacht zu haben“. Mehrfach macht er Erfahrungen mit der Zensur: „Winter“ wird von Goebbels und dem „Amt Rosenberg“ angegriffen, weil ein „ostischer Mensch“ Träger der Handlung ist, ferner – wegen „kommunistischer Tendenzen“ – Grieses Roman „Die Weißköpfe“ (1939). Seine Bauerntragödie „Mensch, aus Erde gemacht“ mit Heinrich George in der Hauptrolle, die 1932 den Preis des Bühnenvolksbunds gewonnen hat, wird – auf Weisung


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