Das Korn rauscht. Friedrich Griese

Das Korn rauscht - Friedrich Griese


Скачать книгу

      Sie sagten: „Die Angst vor der Stimme des zornigen Gottes treibt ihn ins Bett.“

      Und sie sagten: „Es wird ihm einmal schlecht gehen dabei; Gott läßt sich nicht spotten.“

      Und es kam die Stunde, die jeder erwartete. Aber sie kam anders, als alle gedacht hatten. Sie zeigte, daß das Gewissen Hans Schneiders rein und gut war. Und sie befreite ihn von dem sonderbaren Müssen.

      Es war eine jener Stunden, in denen Gott über eines seiner Geschöpfe, die sich Menschen nennen, wieder einmal lächeln mußte.

      Es stand ein Wetter über dem Hof; eins von jener Sorte, die wie eingeklemmt stehen und immer lauter heulen und immer schneller das Feuer vom Himmel werfen.

      Marie Schneider las laut und langsam den „Gesang in besonderen Nöten“; den, der um Hilfe im Gewitter fleht, hatte sie schon zweimal und mit gefalteten Händen gelesen. Die Mädchen sahen mit angstvollen Gesichtern nach draußen, wo eben der Regen hernieder zu prasseln begann, und atmeten hörbarer; denn wenn der Regen kommt, ist das schlimmste Wetter vorüber. Der Bauer lag im Bett und rauchte kalt.

      Da fuhr noch einmal ein Blitz herab. Er fuhr durch den Schornstein in den Kamin, von ihm in die Stube. Er schlug die Pfeife Hans Schneiders, die der schon an den Bettpfosten gestellt hatte, weil er aufstehen wollte, in Stücke. Und er fuhr darauf durch die Tür nach draußen.

      War das nun etwas Großes?

      Oder ging daraufhin etwas Gewaltiges vor sich?

      Hatte Gott gesprochen, und wußten die Menschen nun, was er an Hans Schneider gestraft hatte?

      Alles, außer der Pfeife Hans Schneiders, war, wie es vorher auch gewesen war. Marie Schneider und den Mädchen saß zwar das heiße Entsetzen in der Kehle. Der Bauer aber lag noch einen Atemzug oder zwei; dann stand er langsam aus dem Bett auf, suchte die zerscherbte Pfeife zusammen und ging damit nach draußen. Das war alles. Und es wurde nichts gesprochen.

      Seit der Zeit ging Hans Schneider nicht wieder ins Bett, wenn am Tag ein Wetter da war. Und wenn in der Nacht eins aufkam, stand er auf, wie alle anderen auch. Er sah nach den Tieren im Stalle, koppelte die Pferde los, kettete die Kühe ab, sah nach Türen und Fenstern und hatte bei alledem eine leichte und heilsame Sorgenangst um seinen Hof. Aber er kannte nicht mehr das besondere Müssen, das ihn früher im Wetter ins Bett und dort die Pfeife kalt zwischen die Zähne zwang.

      Allmählich sprach es sich im Dorfe herum.

      Die Leute sahen sich an und fragten einander, wie die Leute fragten, die zur Zeit Zachariäs lebten und von dem Wunder hörten, das an ihm geschehen war: „Was dünket dich um Hans Schneider?“

      Die Frage ging nicht lang herum, bis die Antwort kam. Und die lautete: „Hans Schneider hatte den Zwang.“

      Gott aber lächelte.

image

      Und wie war es mit Johann Reimer?

      Oh, es gibt Geschichten von diesen Menschen, die von Gott mit einem solchen unfreien Inwendigen geschlagen waren, Geschichten, die heute selten noch der oder dieser kennt; und der sie kennt, müht sich, sie zu vergessen, weil sie seinen inwendigen Menschen als tagfremdes Gut belasten.

      Johann Reimer gehörte zu den Stillen, denen eine Erkenntnis ewiger Dinge geworden ist und die unter dieser Erkenntnis wie unter einem schweren Joch schreiten, weil sie sie nicht weitergeben können. Denn wer von diesen Menschen sprach je von den Geheimnissen, die ihm gegeben wurden? Sie schwiegen, schwiegen bis in den Tod, ohne ein kleines Wort preisgegeben zu haben. Ihnen war gegeben zu wissen; aber ihnen war nicht gegeben, ihre Gotteswissenschaft den Menschen ausdeuten zu können.

      Jede Johannisnacht trieb es Johann Reimer an den Kreuzweg, der mitten im Wald unter Haselgebüsch, Birken und hohen Fuhren stand. Um Dunkelwerden ging er aus dem Haus und ging seinen Weg still und unverdrossen. „Es ist wieder soweit“, mit diesen Worten ging er über die Schwelle. Er wäre lieber geblieben, aber er mußte gehen. Man fragte ihn nicht nach seinem Willen; er hatte seine Sendung. Was trieb ihn? Wer sandte ihn? Nun, Johann Reimer liegt schon lange auf dem kleinen Friedhof gleich linker Hand hinter der Pforte, er kann auch heute noch nicht davon sprechen. Vielleicht wird ein späteres Geschlecht alles von ihm erfahren.

      Er saß unter dem Kreuzweg, bis die Mitternacht langsam von den hohen Wipfeln herabglitt. Dann war die Waldstille in einem Atemzug verwandelt. Die Luft war voll von Schreien, Fluchen, Weinen, Bitten, Singen, Lallen. Er sah nichts; aber er hörte den Zug eines Heeres, das vom Osten kam und gen Westen ging, das an ihm vorüberflog, lief, keuchte, trabte, schritt, schleifte, tanzte.

      Bis dann in einem Atemzug wieder Stille ward. Dann mußte Johann Reimer seine Augen heben, und dann sah er auch. Dann ging an ihm vorüber, wer in diesem Jahr bis zur nächsten Johannisnacht sterben sollte. Es waren stets ein paar von denen, die in dieser Nacht in ihren Häusern zwischen dem Hohen Ende und dem Brink ruhig schliefen und nichts von dem Gang wußten, den sie an Johann Reimer vorüber tun mußten. Sie gingen, als ob sie vom Walde kämen und ins Dorf wollten, und grüßten ihn nicht.

      So hatte er Jahr für Jahr am Kreuzweg gesessen und war auch von Jahr zu Jahr stiller geworden. Die Leute im Dorf wußten, was ihn stille machte, und sprachen so von ihm, wie sie auch von Hans Schneider sprachen.

      Zuletzt kam aber auch für ihn die Stunde, die ihn löste. In der letzten Johannisnacht, in der es ihn an seinen alten Platz zwang, war es ihm plötzlich, als werde er auf beiden Augen blind. Er sah noch den alten Daniel Behm mit langsamem, leisem, erdentrücktem Schritt an sich vorübergleiten. Dem Pastor hat er es auf dem Totenbett gesagt – Mina Reimer hat es hinter der Tür gehört –, mit ganz klaren und gewissen Worten hat er es gesagt, daß er Daniel Behm plötzlich habe im Schreiten innehalten sehn, daß der sich zu ihm umgedreht und mit einer ganz hellen Stimme diese deutliche Rede zu ihm gesprochen habe: „Nun hast du genug gesehn, Johann Reimer, nun sollst du schauen.“ Und da ist ein plötzliches Dunkel und darauf eine lichte Helle geworden. Und dann hat Johann Reimer sich selber gesehen, wie er in seinem Gottestischrock, das Gesangbuch in der Hand, einen Blumenstrauß in der Linken, den Weg vom Wald ins Dorf gegangen ist. Da wußte er, daß er der letzte von denen sein würde, die in diesem Jahr sterben müßten. Und das war die schönste Stunde seines Lebens. Nun war er frei. Am Morgen erzählte man es sich im Dorf, daß Daniel Behm in der Johannisnacht gestorben sei.

      Seine Tochter, Wilhelmine Laartz, geborene Behm, habe an seinem Bette gesessen. Wie die Uhr halb eins gewesen sei, habe er noch einmal die Augen geöffnet und einige Worte gesprochen. Seine Stimme sei ganz hell, aber doch so gewesen, daß sie die Worte nicht habe verstehen können.

      In dieser Nacht aber ging Johann Reimer wie ein Freier. Ein altes, frohes und tapferes Kirchenlied singend, so schritt er vom Kreuzweg ins Dorf.

      Und dies Jahr wurde das schönste seines Lebens. Die Leute wußten nicht warum.

      Er aber wußte es.

image

      Ihr Menschen unserer Tage, scheltet mir nicht die Alten. Sie erlebten das Wunder; denn sie glaubten daran. Wir aber – nun, es ist noch nicht erwiesen, woran wir glauben.

      Wenn es am Abend oder in der Nacht an Doris Schröders Fenster: tock – tock! machte, dann wußte sie, daß Hanna Wienk es war, die plötzlich klopfte. Sie zog sich an, ging zu ihr, die im Armeleutekaten rechter Hand vom Teich wohnte, und blieb eine Stunde oder zwei bei ihr. Hanna Wienk saß dann am Tisch, einen Korb am Arm, das große, blaugewürfelte Tuch umgeschlagen wie eine, die eine Reise machen oder für immer fortgehen will. Sie hatte das auch gewollt. Sie war wirklich auf dem Wege gewesen. Und sie hatte dann doch wie stets den Weg an Doris Schröders Fenster vorüber genommen, hatte – obwohl ihr das innerlich widerstrebte – den Finger krumm gemacht und hatte damit an der kleinen, runden Scheibe: tock – tock! gemacht. Und darauf war es wie eine Erleuchtung über sie gekommen, sie hatte plötzlich gewußt, wer und wo sie sei und wohin sie in dieser Nachtstunde gehöre, und war wieder umgekehrt, saß nun und erwartete Doris Schröder.

      Die


Скачать книгу