Das Korn rauscht. Friedrich Griese

Das Korn rauscht - Friedrich Griese


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dor, un dei Kasten is noch von’t Bort nich trechtstellt“, quest Ursch. Warum tut sie das? Sie weiß doch, daß das ihre Arbeit ist.

      „Sei’s wählig vanabend, Hans“, sagt Jürgen Helwig und deutet auf Ursch, die den handfestesten Stuhl heranzieht, mit vieler Mühe hinaufklettert und den rotbraunen Kasten vom Wandbort herablangt. Hans Harder nickt, er hält seine Ursch noch immer für eine hübsche und ansehnliche Frau, die sich sehen lassen kann.

      Die Tür geht zum zweiten Mal auf, und Johann Peters tritt herein. Er gibt jedem die Hand – und was für eine Hand – und bietet einen trockenen und langsamen Gruß: „Godn Abend, Hans! Godn Abend, Jörn! Godn Abend, Ursch.“

      Nun sitzen sie und rauchen, zwei an der Längsseite des Ofens, Hans und Jörn; Johann Peters sitzt an der Schmalseite. Ursch räumt noch ein bißchen herum; dann holt auch sie sich einen Stuhl und fängt an zu stricken. Die grobe, eigengesponnene Wolle gleitet ihr langsam durch die Finger.

      Ting, ting – macht die Uhr. Achtmal schlägt sie; nicht laut und aufdringlich, leise und eben fallen die Stunden in die Stille hinein. Urschels Stricknadeln klappern.

      „Is wat Nies passiert, Jörn?“ fragt Ursch. Sie sieht nicht auf dabei. Wenn Jörn nichts erfahren hat, will sie keine Antwort. Sie bekommt keine.

      „Büst an’t Graff wesen, Jörn? Ick seg di den Kirchstieg langs gahn.“ Jörn nickt, und Ursch strickt weiter. Sie muß die alten Augen anstrengen, sie kommt an die Hacke.

      Die Gedanken der drei Freunde gehen in die Vergangenheit. Jörn ist am Grabe seines einzigen Sohnes gewesen. Mit vierundzwanzig Jahren ist er gestorben. Er war schwindsüchtig und lief Abend für Abend zu Frieda Reimann, der Küchendirn bei Hans Harder. Ursch sieht Jürgen Helwig an; sie denken beide dasselbe. „Ick heww em oft stürt, Jörn, aewer hei let sick nicht törn.“ Jörn nickt. – Zuletzt bekam der Junge den Bluthusten, aber von der Dirn ließ er nicht, obwohl sie noch mit zwei andern Burschen lief. Hans Harder legt Jörn die Hand auf den Arm. „Wir’n sworen Dag, Jörn, aewer ward all wedder beter.“

      Sie denken an die Nacht, als der Junge nicht mehr soviel Kraft gehabt hatte, nach Hause zu gehen, und als die Küchendirn weinend und lamentierend Hans Harder und seine Frau wecken mußte. Der Junge lag in Frieda Reimanns Kammer, Blut auf den Lippen, und konnte nicht wieder hochkommen. Acht Tage später wurde er schon begraben.

      „Ward all wedder beter, Jörn; lütt Heiner ward jo ok grot.“ Das ist Jürgen Helwigs Enkel, den Frieda Reimann nach dem Tod des Jungen geboren hat und der von Jörn als eigen angenommen ist. Er ist auf den Namen seines Vaters getauft und soll einmal den Hof haben, wenn er gesund bleibt.

      Johann Peters steht auf, geht einmal langsam durch die Stube und setzt sich dann wieder auf seinen Platz. Hans Harder schiebt den Kasten hin und sagt: „Stopp frisch in, Hans.“ Aber Johann Peters hat den Kasten mit dem Tabak nicht gesucht; er scheuert sein Knie. „Ritt wedder asig hüt abend, Hans“, sagt er.

      Langsam stampfen die Gedanken Hans Harders und Jürgen Helwigs hinter den Erinnerungen Johann Peters‘ her. Nun sind sie bei ihm: Er lächelt.

      „Wir doch en Prachtkerl, de Hauptmann?“, lobt Hans Harder. „Dat wer he“, antwortet Johann Peters. Er denkt an die Geschichte, die sich im Franzosenkrieg, aus dem er sein Gliederreißen mitbrachte, zugetragen hat. Hans und Johann denken auch daran.

      „As de Schietesels segen wi ut, Hans.“ Gegen Abend kam der Hauptmann geritten. Er lachte. „Guten Abend, Jungens, habt ihr auch Läuse?“ „Jawohl, Herr Hauptmann.“ „Schön, Jungens, ich habe auch welche.“

      „Wer en Prachtkerl, Hans.“ Hans Harder nickte.

      „Is nich slecht, Hans, so’n beten Krieg.“

       Bauer aus der Wismarer Gegend

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      Nun schilt Ursch. Das sagt Johann Peters jedesmal, aber sie läßt sich das nicht bieten. „Wat dauh’k mit Krieg, Hans? Ick will keinen Krieg hewwen. Dat kannst di marken.“

      „Au, au“, sagt Johann Peters, „du sast jo nicht mit, Ursch.“ Und dann stößt er um die Ofenecke herum Hans Harder an: „Sei ward noch wedder jung. Dat kann ‘k di mellen.“

      Die drei Freunde lächeln und sehn Ursch Harder an, die den ganzen Armstuhl ausfüllt. „As en jung Deern, Hans; wenn se upsteht, möt de Stauhl mit.“

      Der blaugraue Tabakrauch zieht durch das niedrige Zimmer. So ziehn die Gedanken von Hans Harder, Jörn Helwig und Johann Peters. –

      Im Uhrgehäuse schnurrt es. Ting, ting – macht es wieder, neunmal. Ursch Harder sieht auf ihren Hans: „Willst uptrecken, Hans?“ Er nimmt die Pfeife aus dem Mund und deutet auf sie. Und Ursch legt den Strumpf auf den Tisch, geht an die Uhr, öffnet die Tür und langt zuerst nach dem Schlaglot. An der langen gelben Kette, an der es hängt, zieht sie es schnurrend und rasternd nach oben. Dann kommt das zweite Lot. Und langsam schließt sie die Tür wieder.

      „Geiht gliek fixer, Ursch“, sagt Jörn Helwig. Aber sie ist ihm noch nicht wieder gut und droht ihm bloß mit der Faust. Dann nimmt sie den Strumpf wieder zur Hand. Aufpassen braucht sie nun nicht mehr; über die Hacke ist sie weg.

      Oben auf dem Ofen liegt ein Paar Strümpfe. Von den langschäftigen grauen sind es, wie Hans Harder sie trägt. Sie sind am Tage in den Stiefeln feucht geworden und sollen nun trocknen. Daneben liegt die Handvoll Stroh, die Hans jeden Morgen in die Stiefel legt, um warme Füße zu haben. Unter dem Ofen sieht der Stiefelknecht hervor.

      Die Strümpfe plieren an Johann Peters vorbei zu ihrem Nachbar hinunter. „Gestern abend konnten wir dich besser sehen“, sagen sie, „nun geht es bloß dann ganz gut, wenn der alte Krübbensetter sich da unten einmal nach rechts hinüberlegt. Was soll das überhaupt? Weshalb bleibt er nicht, wo er zu Hause ist, anstatt geplagten Wesen das Leben sauer zu machen? Es ist ein Elend. Wir möchten ihm mal auf den Kopf fallen. Das würde helfen. Naß genug sind wir dazu.“

      Der Stiefelknecht knurrt. „Da sitzt er nun und döst vor sich hin und tut den Mund nicht auf. Den ganzen Tag hat man hier zu liegen und zu warten, ob es Hans Harder nicht paßt, einem den Mund voll Dreck zu schmieren. Und am Abend, wenn man endlich an sich selber denken kann, ein Stündchen über sich und die große Welt nachsinnen und sich dem Edlen hingeben will, dann kommt Johann Peters, spuckt einem fast auf die Nase und tritt einem in die Zähne.“

      „Ja, ja“, sagen die Strümpfe, „du hast es noch schlimmer. Uns läßt er immerhin noch in Ruhe und kommt uns nicht zu nahe, wenn es auch schon schlimm genug ist, so von der Aussicht auf alle möglichen Dinge abgeschnitten zu werden. Gott, eben war da eine Maus. Wir meinen ganz bestimmt, daß wir ihre Schwanzspitze gesehen haben. Nun ist sie wieder unter Johann Peters Stuhl verschwunden. Ist das nicht ein Jammer? Wenn man doch bloß ein wenig Aussicht hätte.“

      „Nein, eine Maus war das nicht. Und wenn es auch eine gewesen wäre, so schlimm ist es doch nicht, wenn einem die Aussicht auf Mäuse genommen wird.“

      „Du bist ein Grobian“, sagen die Strümpfe, „und verstehst es aus deiner ewigen Ofenecke heraus nicht. Wir dagegen sind bestimmt, überall, wo etwas ist und wo nichts ist, zuerst hinzukommen und alles aus erster Hand zu beobachten. Da muß es uns ärgern, wenn Johann Peters uns dies Recht nehmen will.“

      Nun lacht der Stiefelknecht. „Überall zuerst hin? In Stiefeln, ja.“

      Dieser heimtückische und hinterlistige Angriff auf ihr wohlbegründetes Selbstbewußtsein läßt sie zornig schweigen. Sie kümmern sich nicht mehr um ihren Nachbarn da unten, dem Johann Peters von Zeit zu Zeit scharf an der Nase vorbeispuckt.

      Von den Menschen im Zimmer hat keiner dies kleine Gespräch gehört. Ihre Ohren sind schon zu hart dazu. Sie schweigen; und ihre Gedanken ziehen langsam wie Wolken an ruhigen Abenden. Tick-tack, tick-tack, so macht die alte


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