Das Korn rauscht. Friedrich Griese

Das Korn rauscht - Friedrich Griese


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werden können.

      Ab 1945 folgt eine Zeit des Leidens – Griese hat sie in „Der Wind weht nicht, wohin er will“ (1960), einem sehr aufrichtig und ohne Ressentiments verfaßten Erlebnisbericht, auf bewegende Weise mitgeteilt. Der zunächst beabsichtigten Ausplünderung durch die Russen entgeht er; beeindruckt von dem Bestand an russischer Literatur in seiner Bibliothek stellen sie Griese einen „Schutzbrief“ aus. Doch unmittelbar nach ihrem Abzug muß Griese mit ansehen, wie sein gesamtes Archiv – einer der Hauptgründe, weshalb er geblieben war – von den eigenen Landsleuten verbrannt wird: Manuskripte, Briefwechsel und Erinnerungsstücke. Seine Bücher werden abtransportiert, sein Haus enteignet und geplündert, sein Konto konfisziert. Ein Anklagepunkt des selbsternannten „Kulturdezernenten“, der all dies veranlaßt hat, lautet, Griese besitze unter all seinen Büchern „nur drei Bände Gorki“ – ein geradezu grotesker Vorwurf. Doch seine Denunziation ist folgenreich: Der Dichter wird zum Straßenkehren gezwungen, er kommt – ohne das Wissen seiner Angehörigen – ins Zuchthaus Alt-Strelitz, dann in das berüchtigte Lager Fünfeichen. Die mehr als neun Monate Haft übersteht Griese mehr tot als lebendig. Durch unermüdliche Suche und Fürbitte erreicht seine Frau im März 1946 seine Freilassung; Johannes R. Becher, vor allem aber ein russischer Oberst haben sich für ihn eingesetzt. Trotz der erduldeten Qualen ist er zur Zusammenarbeit mit dem neugegründeten sozialistischen „Kulturbund“ bereit: Mit Offenheit äußert er sich zu den Vorwürfen seiner Kooperation mit den Nationalsozialisten; er gibt zu, sich angepaßt zu haben. Wiedergutmachung will er leisten „im Wort“ – doch die Gelegenheit dazu gibt man ihm nicht. Nur ein Jahr später beginnen die Schikanen der Behörden aufs Neue. Von der Parchimer Polizei bekommt er „den schriftlichen Befehl: drei Tage Besenbinden bei der GPU [= die polit. Polizei der SU, 1954 in KGB umbenannt].“ Griese und seiner Frau bleibt gerade noch genug Zeit zur Flucht. Sie gehen zu ihren Kindern in den Westen – nur vorübergehend, wie sie glauben.

      Auch jetzt noch besitzt Griese dort eine treue Leserschaft; Ehrungen erfährt er als Preisträger des Hebbel-Preises (1955, 1958) und durch die Mecklenburgische Landsmannschaft (1960, 1964). Doch allmählich sinkt sein Bekanntheitsgrad, mit der Überarbeitung der Lesebücher Ende der 60er verschwinden seine Texte weitgehend aus den Schulen, und in der DDR ist er geradezu tabuisiert.

      Am 1. Juni 1975 stirbt Friedrich Griese. Begraben wird er vor dem zur mecklenburgischen Kirche gehörigen Dom des Grenzortes Ratzeburg – in mecklenburgischer Erde. „Tief beeindruckend“, befindet der Theologe Karlmann Beyschlag in der Trauerrede an Grieses Sarg, sei in seinem Werk „die Nähe der von Gott gekennzeichneten Menschen zum Tode, ja der Tod selbst, und schließlich das Kainsschicksal dieser Welt: ‚Unstet und flüchtig sollst du sein.’ Eine ganz erstaunliche Anzahl von Grieses Gestalten befindet sich immer wieder auf unruhiger, zuweilen verzweifelter Wanderschaft.“ Auch in „Das Korn rauscht“ begegnen sie uns – in der heimatlosen „Hofgängerin“, in Anna Behm in „Kreuzbergstationen“ und in der lebenslustigen Rheinländerin Hilda Blanck in „Drei Jahre Lachen“.

      Im Laufe seines wechselvollen Lebens hat Friedrich Griese an vielen Orten gelebt. Gefragt, ob ein Mensch, welcher eine neue Heimat wählen mußte, wieder ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit der ihm fremden Landschaft gewinnen kann, antwortete er: „Ich meine nicht, daß man eine andere Heimat bekommen kann als die, in der man geboren wurde. Wenn wir uns prüfen, merken wir, daß ‚Heimat’ uns vor allem das Elternhaus mit der nächsten Umgebung bedeutet. Hier machen wir auch unsere ersten grundlegenden Erfahrungen – Liebe, Dankbarkeit, Enttäuschungen, Vertrauen –, alles spätere dreht sich nur auf einer anderen Windung um den Hügel unseres Lebens zu: wenn wir hinunterschauen, sehen wir immer dieselben Erscheinungen. Die Zusammengehörigkeit mit der Landschaft und dem ganzen Land gewinnen wir später, meistens auf dem geschichtlichen Weg, sie ist weniger tief. Man kann wohl in einem anderen Lande für eine spätere Lebenszeit heimisch werden, aber doch nur behelfsweise und unter inneren Opfern. Das Ursprüngliche liegt, wie ich schon sagte, im Elternhaus und seiner Umgebung.“ – Aus diesem Ursprünglichen heraus, aus dem unmittelbaren Erleben von Land und Leuten seiner Kindheit, sind die in „Das Korn rauscht“ gesammelten Geschichten entstanden.

       Meike Bohn

      ZWANG

       O liebe Vernunft, du gehest wohl- weislich auf dieser Welt Straßen, was den äußern Leib anlanget, wo aber bleibet die arme Seele?

      (Jakob Böhme)

      Vom Neßberg hinter dem Brink nach Norden und Osten voraus ist das Land weit und eben, eine ruhige Fläche. Hier und da nur ist ein Hügel, ein Stückchen Wald, ein buschumsäumtes, schilfdurchwachsenes Wasser, ein Kartoffelacker, ein Kornfeld. Aber das Gesicht dieses Landes als einer Fläche stört das nicht. Und dazwischen liegen die Höfe in der Sommersonne, im Frühlingswind, im Nordweststurmwetter, im schneeverwehten Wintertag: halb verträumt, halb wachsichtig.

      In diesem nur selten gestörten Einsam geht der eine Zeiger an der Lebensuhr der Menschen, von denen hier berichtet werden soll, oft in seltsamem Hin und Her, während der andere seinen steten und gewissen Gang beibehält – dieser weiß um alles, was auf der Erde ist, was sie nötig hat, was sie gibt und was sie versagen muß; jener wird von ihrem Inwendigen getrieben und ist oft in Angst und Not und wilder Dumpfheit.

      Nichts ist, was heilsam ablenkt von all den ewigen Dingen, denen diese Menschen näher gerückt sind als ihre Brüder und Schwestern in der großen oder kleinen Stadt. Ihre Tage sind eng verbunden mit Tod und Auferstehen, Geborensein und Sterbensvorbestimmtheit, Werdensfrohheit und Entwerdungssehnsucht. Und unter all diesen einfachen Dingen gehen die Menschen oft wie Trunkene, wie Kinder, wie still Besessene, wie geistesgehaltene Nachtgänger.

      Man sagt hierzulande von einem solchen Menschen: „Er hat den Zwang.“

      Seht: So sprechen sie von einem Bruder oder einer Schwester und geben damit eine ganze Wissenschaft des Kopfes und des Herzens: „Sie hat den Zwang.“

      Und von solchen Menschen soll auf diesen Blättern geredet werden.

      Wie ging es Hans Schneider?

      Es war etwas in ihm, was nicht frei war. Es war etwas geschehen, irgend einmal vor Jahren geschehen, wovon keiner etwas wußte. Marie Schneider erzählte es zuweilen in ihrer Not, daß ihr Mann sich bei Weststurm des Nachts plötzlich im Bette aufsetze, im Schlafe anfange zu reden mit solchen Worten, die sie nicht verstehe und die wohl auch keiner verstehen könne; schlimme Worte seien es aber nicht, und es stecke auch gewiß nichts Schlimmes dahinter.

      Nun, die Menschen blieben dabei, es müsse einmal etwas geschehen oder gesprochen sein, ein rasches Tun, ein schweres, unheilvolles Wort, das die Seele Hans Schneiders drücke, daß sie nicht ruhig werden könne; und es müsse das geschehen oder gesprochen sein in einer wilden Stunde, einem Sturmtag oder einer Wetternacht.

      Denn wenn ein Wetter, ein Gewitter, über den Hof ging, kam es wie der böse Feind über Hans Schneider. Er stand dann wie ein Besprochener, ein Behexter, vor der großen Hoftür, wenn die ersten raschen Schläge kamen; er stand so dreißig oder sechzig Atemzüge lang. Und plötzlich drehte er dann herum und ging geduckten Kopfes in das Haus, ging ins Bett.

      Ja, der Bauer Hans Schneider ging, wenn das Wetter für seinen Hof gefahrbringend heraufkam, ins Bett. Angst? Nein, es war keine Angst; die äußert sich bei einem Bauern nicht in dieser Art.

      Wie ein Schrei gellte der Donner um das Haus. Marie Schneider saß in der Stube am Leutetisch und las in dem großen Erbgesangbuch, die Mädchen und die Kinder saßen um sie herum. Die Knechte waren im Stall bei dem Vieh. Sie lösten den Pferden die Halskoppel; sie machten den Kühen die Ketten von den Hälsen los, damit, wenn ein Blitz die Ställe treffen würde, sie schnell das Vieh nach draußen jagen könnten. Der Bauer aber lag im Bett, hielt die Pfeife zwischen den Zähnen und rauchte kalt.

      Auf seinem Gesicht stand nichts von Angst oder nur von Furcht. Langsam gingen seine Augen in der Stube herum; über seine Lippen kam kein Wort. Und wenn alle anderen mit Sorgen und Unruhen um Hof und Vieh bis an den Hals gefüllt waren, blieb das Gesicht des Bauern stets gleichmäßig ruhig; und die Lippen, mit denen er die Luft durch das Pfeifenrohr einsog,


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