Perlen und schwarze Tränen. Hans Flesch-Brunningen

Perlen und schwarze Tränen - Hans Flesch-Brunningen


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führt Jane ein durchaus intimes Telefongespräch mit einem Konkurrenten. Truck nimmt das als Symbol für Janes Charakter wie für seine Beziehung zu ihr und bricht rasch auf zu seiner Stadtdurchquerung Richtung BBC-Gebäude. Ob er sie am Ende tatsächlich ermordet, lässt sich freilich aufgrund des schwankenden Realitätsbezugs im gesamten Romangefüge nicht mit Gewissheit feststellen. Sicher bleibt, Jane ist eine unnahbare und selbstbestimmte Person, und sie weist einige Züge von Flesch-Brunningens späterer Ehefrau Hilde Spiel auf, die damals noch mit seinem Freund Peter de Mendelssohn verheiratet war.

      In komplizierte Dreiecksgeschichten verstrickte sich Flesch-Brunningen, laut Selbstaussage ein »unausrottbarer Polygamist«, sein ganzes Leben lang mit großer Regelmäßigkeit. Über sein problematisches Verhältnis zu Frauen(figuren) lässt sich einiges nachlesen in seinem autobiografischen Roman Die Teile und das Ganze von 1969 und in den posthum erschienenen Lebenserinnerungen Die verführte Zeit. Beide Bücher liefern ein schonungsloses Selbstporträt, das männlichen »Vergrößerungswahn«, selbstgerechte Posenhaftigkeit und martialische Männerbündelei zu einer Analyse des Geschlechterverhältnisses verdichtet, wie man das so aus Männerhand selten zu lesen bekommt.

      In der Eröffnungsszene von Perlen und schwarze Tränen kreisen Trucks Gedankenketten und Kopfbilder um das Phänomen des Wartens. Das hat mit der konkreten Situation im Kaffeehaus zu tun, steht aber zugleich für die zentrale Erfahrung der Emigration, die das Leben der Betroffenen radikal in ein Davor und ein Danach zerschneidet, mit der ökonomischen, bürokratischen und politischen Unsicherheit des Lebens im Gastland dazwischen. Diese »entzweigeschlagene« Zeit spiegelt sich im Roman auch in den vielen unzuverlässigen Uhren wider, die für den Exilanten gleichsam anders ticken. Wartend blättert Truck in Zeitungen und wie von selbst beginnen die Buchstaben »ihren Tanz in den Unsinn«, bis sich die scheinbar absurden Visionen als Schlagzeilen auf seinen frisch geputzten Schuhen materialisieren. »Es ist die Wahrheit. Es steht in der Zeitung. Wir sind von Zeitungen eingewickelt«, sagt der Schuhputzer in der Toilette des Cafés. Was haltlose Fantasterei schien, kippt damit gleichsam zurück in die gedruckte Faktizität der Presseberichte.

      Diese Durchlässigkeit von Innen- und Außenwelt, von Wirklichkeit und subjektiven Assoziationsprozessen, legt über die gesamte Handlung einen zweiten Nebelschleier, der die geschilderten Erlebnisse immer wieder ins Schlingern bringt. Im nächtlichen Straßengeräusch sind die Panzer der Front ebenso präsent wie sich die Bibliothek der BBC in das Klassenzimmer von einst verwandeln kann, schließlich gehören Erinnerungen an und Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zum Exilalltag wie Trauer und Angst um zurückgebliebene oder verlorene Verwandte und Freunde. Im Kapitel Betrieb durchlebt Truck noch einmal seine Zeit als Küchengehilfe, als Arbeiter in den Lager- und Produktionshallen eines Konservenkonzerns oder einer Werkzeugmaschinenfabrik. Diese Abschnitte sind von besonderer atmosphärischer Dichte und zeigen Flesch-Brunningens Meisterschaft, schräge und schrille Verschiebungen der Perspektive in einen klärenden Blick auf die zugrundeliegende ›Realität‹ zu verwandeln. Für Durchlässigkeit in Moralfragen wiederum sorgt Trucks Fantasiefigur des »Ungewissens«, das seine verborgenen Gedanken und Motivationen unverblümt ausspricht.

      »Ich hatte die Hände voll mit Blättern eines Buches, das noch nicht geschrieben war. Meine Freunde und Bekannten, meine Verwandten und meine Eltern, meine Frauen und meine Mädchen strichen in endlosem Zug an mir vorbei, und ich bot ihnen von den Blättern an«, heißt es gegen Ende, als wollte der Autor damit die Entstehung des Romans aus der Verquickung von Erinnerungsarbeit und existenzieller Entwurzelung beschreiben.

      Sicher ist in Trucks Assoziationsprotokoll jedenfalls nichts, sichtbar wird jedoch vieles, von der lebenspraktischen Verstörung des Emigranten bis zur Relativität medialer Berichterstattung in Kriegszeiten. Während Truck auf der »Jagd« nach den verlegten »Schlagworten« für die nächste Nachrichtensendung durch die Gänge des BBC-Gebäudes irrt, gerät er immer wieder in groteske Szenen, die stets auch Realität einfangen. Wenn er in einer Abstellkammer auf einen Emigrantenzirkel stößt, in dem heftig über den richtigen politischen Weg debattiert wird, ist das eine konkrete Auseinandersetzung mit seiner Tätigkeit im Kulturbund, deren Sinnhaftigkeit ihm fraglich geworden ist. Exilerfahrung und die Frage eines möglichen – hier noch deutlich eingeforderten – politischen Engagements des Künstlers sind übrigens auch Thema jener beiden Romane, die Flesch-Brunningen im Exil veröffentlichte und die bis heute nicht auf Deutsch vorliegen: The Blond Spider (1939) und Untimely Ulysses (1940, gewidmet Berthold Viertel). Beide Bücher erhielten freundliche Besprechungen, blieben aber letztlich ohne größeres Echo. Sich in die Literaturen der Gastländer nachhaltig einzuschreiben, gelang emigrierten AutorInnen in den seltensten Fällen.

      Perlen und schwarze Tränen wiederum ist nie auf Englisch erschienen, obwohl der ursprüngliche Titel Spirits of Night lautete. Flesch-Brunningen übersetzte den Roman selbst ins Deutsche, die Erstausgabe erschien 1948 im Hamburger Wolfgang Krüger Verlag und wurde damals in Österreich kaum wahrgenommen. Eine der wenigen Besprechungen stammt von Hilde Spiel, die Flesch-Brunningen 1938 in London kennenlernte und ihn nach langen Jahren einer schwierigen Beziehung dreiunddreißig Jahre später in Wien heiratete. Sie konnte den Roman, in dem Jane und Truck gemeinsam von der Zeit »vor der Sintflut« träumen, vor dem Hintergrund ihrer eigenen Exilerfahrungen lesen, und sie erkannte die radikale Modernität des Buches, das mit Bezug auf Joyce die Korrosion der Romanform fortführt. Der Autor, so Spiel, gehöre »zur ›kontinentalen‹ Avantgarde, obwohl er in London lebt«. Den Mord an Jane aber interpretierte sie als Lösung eines existenziellen Dilemmas. »Der Emigrant ist der Prototyp des modernen Menschen. Eine Befreiung von der Last der Doppelexistenz, der geteilten Loyalität und gespaltenen Persönlichkeit, wie John Truck sie durch seine entschlossene Tat wirkt, ist unser aller Wunsch und Hoffnung.«

      Die bislang einzige Neuausgabe des Romans erschien 1980 und fand etwas mehr Resonanz. Das verdankte sich vor allem dem Achtungserfolg von Flesch-Brunningens 1979 erschienenem Roman Die Frumm, ein Sittenbild aus Wien vor, während und nach der NS-Zeit. Rund um die Titelfigur Angela Frumm, die aus ärmlichen Verhältnissen stammend in den Strudel der politischen Ereignisse hineingerissen wird, als BDM-Mädchen aufsteigt und als Klofrau endet, arrangiert der Autor eine Fülle von Lebensgeschichten, die ein Pandämonium des österreichischen Nationalcharakters, seiner Abgründe und seiner Opfer ergeben.

      Perlen und schwarze Tränen aber ist nicht nur ein einmaliges Zeitdokument, sondern mit seiner komplexen Handlungsführung und der Kunst, mit grotesken Verzeichnungen den Blick für gesellschaftspolitische Zusammenhänge zu schärfen, ein bemerkenswert moderner Roman. Es ist zu hoffen, dass er sich mit dieser Neupräsentation endgültig in den Kanon der Exilliteratur einschreibt.

       Evelyne Polt-Heinzl

      NACHRICHTEN IN SCHLAGZEILEN

       Nebel

      Der Nebel lag als dicke Schicht über der Menschheit. Er bedeckte viele hundert Quadratkilometer. Er kam aus den Tiefen und von den Höhen, er war geboren aus Schwaden und Dünsten und er verschlang die Länder.

      Er lag weich auf den Wellen von Seen und Meer und Flüssen. Es hatte sich der Wind gelegt, und der schleierleichte Traum wurde fester und nächtiger. Die Nacht stieg die schrägen Hügel hinan und fiel in Lichtung und Tal. In diesem Nebel der freien Felder war Frische; Gesundheit aus der Fülle der schönen, offenen Räume um die Gewässer. Dies war des Nebels Mutter.

      Sein Vater wälzte sich die bergigen Ufer hinab. Je leichter er schäumte, desto schwerer konnte er sich halten. Eine Brise kam, und kam zu spät, ihm zu dienen, zu früh, ihn zu zerstören; so preßte sie die Schwaden in festere Form. Da trat dieser Nebel in Städte und Dörfer und nahm Fühlung mit den üblen Dämpfen aus den Rauchfängen, von den Kanallöchern, von den Abwässern. Er wurde städtisch. Und gleich darauf stieß er auf die wildflutenden Massen vom Meer. Eine einzige ungeheure Decke war entstanden; unbeweglich, erbarmungslos, still, schamlos in ihrer Größe vor dem schnellen Tod.

      Der Nebel erdrosselte, erfror und fesselte das Land mit den Häusern, Bäumen und Menschen. Er selbst blieb regungslos; in ihm regte es sich leicht. Der Atem aus der Brust flog


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