Es ist Sarah. Pauline Delabroy-Allard

Es ist Sarah - Pauline Delabroy-Allard


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erzähle, vom Richter, vom Vater meiner Tochter, die jedes zweite Wochenende bei ihm verbringen wird, von der Sonne, in der mir viel zu heiß war, mir, die ich ganz in Schwarz gekleidet war, weil ich um meine verlorene Liebe Trauer trug.

      13.

      Sie schlägt vor, dass ich sie in eine Theatervorstellung in der Cartoucherie begleite. Sie wartet an der Metrostation Château de Vincennes auf mich, an der Linie 1. Sie trägt wie gewöhnlich ein Kleid, das ihr überhaupt nicht steht. Sie begrüßt mich mit einem breiten Lächeln und hört während der ganzen Fahrt durch den Bois de Vincennes nicht auf zu reden. Die Nacht bricht herein. Sie redet, sie redet wie ein Wasserfall. Sie ist lebendig. Sie stellt mir Fragen zu meinem Beruf, zu dem Lycée, an dem ich unterrichte. Sie hört erst auf zu reden, als die Lichter ausgehen. Im Dunkeln berühren sich unsere Knie.

      14.

      Das Theater heißt: Théâtre de la Tempête, Sturmtheater.

      15.

      Das Stück hat sie aufgewühlt. Sie will unbedingt den Hauptdarsteller ansprechen. Ich beobachte, wie sie mit beeindruckender Selbstverständlichkeit an ihn herantritt. Sie redet hemmungslos auf ihn ein. Er lächelt. Sie fragt mich, ob ich müde sei oder ob wir Zeit hätten, etwas trinken zu gehen. Sie fügt hinzu, Château de Vincennes sei nun nicht gerade der beste Ort, um etwas trinken zu gehen. Doch es gibt eine Bar, Les Officiers. Sie geht hinein. Sie nimmt Platz. Sie fragt, welches Bier es hier vom Fass gebe. Als die Bedienung mich nach meinem Wunsch fragt, sage ich, das Gleiche, genau das Gleiche. Sie wirkt traurig, ein wenig niedergeschlagen, so habe ich sie noch nie gesehen. Sie fragt, ob wir rausgehen, eine rauchen können. Sie schaut auf ihre Füße. Es ist ein wenig kalt in der schwarzen Nacht. Sie bläst Rauch in den Himmel, eine Wolke steigt zu den Wolken. Sie sieht mir tief in die Augen. Sie sagt ich glaube, ich bin in dich verliebt.

      16.

      Sie macht eine Bewegung, ganz leicht, weicht zurück mit einer Art Tanzschritt, sie lächelt fast, als ich stammele ach ja, das wusste ich nicht. Sie sagt, sie werde eine zweite Zigarette rauchen, um ihren Mut, ihre Kühnheit zu feiern, das Streichholzratschen in der Nacht, der Schwefelgeruch wird für immer und ewig nach dem befreienden Geständnis duften, nach der unaussprechlichen Realität, die endlich ausgesprochen wurde, nach der entblößten Wahrheit, die vor mir ausgebreitet, mir dargeboten wird wie ein Geschenk.

      Schwefel zählt zur Gruppe der Chalkogene. Es ist ein häufig vorkommendes, mehrwertiges Nichtmetall, geschmacklos und nicht wasserlöslich. Schwefel ist vor allem in Form von gelben Kristallen bekannt und in vielen Mineralien enthalten, insbesondere in Vulkanregionen. Brennend verströmt es einen starken, beißenden Geruch. Schwefel ist ein Feststoff. Das chemische Element hat die Ordnungszahl 16. Elementsymbol S.

      17.

      Es geht um Sarah, ihre rätselhafte Schönheit, ihre steile Nase, die einem sanften Raubvogel zu gehören scheint, ihre Kieselaugen, grün, nein, nicht grün, die außergewöhnliche Farbe ihrer Augen, ihre Schlangenaugen mit den hängenden Lidern. Es geht um Sarah die Unbändige, Sarah die Leidenschaft, Sarah den Schwefel, es geht um den einen Moment, als das Streichholz ratscht, den einen Moment, als das Holzstäbchen Feuer fängt, als der Funke die Nacht erhellt, als aus dem Nichts die Flamme emporschlägt. Den einen, winzigen Moment, kaum eine Sekunde lang. Es geht um Sarah, Elementsymbol S.

      18.

      Soufre. Schwefel. Aus dem Lateinischen sulfur, der Blitz, das Himmelsfeuer. Erste Person Singular. Je souffre. Ich leide. Aus dem Lateinischen suffero, ertragen, auf sich nehmen, erdulden. Im Einzelfall auch: von jemandem für etwas bestraft werden. Eine Strafe über sich ergehen lassen.

      19.

      Sie überreicht mir das Geständnis wie ein Geschenk. Sie geht durch die Nacht davon. Einige Tage später sagt sie zu, als ich ihr vorschlage, ins Kino zu gehen. Es läuft ein neuer Film von Alain Resnais mit dem Titel Aimer, boire et chanter. Sie kommt zu früh zum Treffpunkt. Ihre Augen sind zu stark geschminkt, ihre Augen mit den hängenden Lidern. Es ist März. Sie stimmt mir zu, als ich sage, dass es bald Frühling ist. Sie hat Hunger, großen Hunger. Sie fragt, ob wir vor dem Film eine Kleinigkeit essen gehen können. Sie bestellt einen bretonischen Pfannkuchen und Buttermilch. Anschließend hat sie Lust auf ein Bier. Sie bestellt ein Glas vom stärksten. Die Bedienung fragt mich, was ich möchte. Das Gleiche, genau das Gleiche. Während wir unser Bier trinken, erzählt sie von ihrem letzten Konzert. Sie berichtet ausführlich, erklärt mir, was ich nicht verstehe. Sie ertappt meinen Blick, der sie streift, der auch das kleinste Detail ihres Körpers, ihres Gesichts erfasst. Sie fragt woran denkst du. Ich weiche ihren Fragen aus. Ich will nicht antworten. Das Geständnis liegt wie ein Geschenk zwischen uns. Mein gesenkter Blick. Darum geht es, um die durchdringende Stille und das Schweben durch Tage wie Watte, wenn man die Wahrheit verschenkt.

      20.

      Nach dem Film noch ein paar Biere, die stärksten der Bar, und für mich das Gleiche, genau das Gleiche. Noch ein paar ratschende Streichhölzer, die die Schlangenaugen einen kurzen Moment lang erhellen, bevor uns auf dem Bürgersteig, auf den wir zum Rauchen gegangen sind, erneut die Nacht umhüllt. Noch ein paar gleichgültig weggeschnippte Kippen. Noch ein paar Geschichten. Es ist irgendwann so spät, dass der Wirt uns rauswirft. Er will zumachen. Es ist mitten in der Nacht, und er ist müde.

      Der Film Aimer, boire et chanter ist ein französisches Drama, mitgeschrieben und produziert von Alain Resnais. Dauer: 108 Minuten. Zur Besetzung gehören Sabine Azéma, Hippolyte Girardot, André Dussollier. Es ist Alain Resnais’ letzter Film vor seinem Tod am 1. März 2014.

      Ich habe keine Erinnerung daran.

      Sie geht ein Stück vor mir in jener Märznacht, auf dem Boulevard du Montparnasse. Sie wirkt weniger betrunken als ich. Sie ist lebendig. Sie sieht nicht, dass ich mich bemühe, in ihren Spuren zu laufen, dass ich benebelt bin, dass das Pflaster ein wenig schwankt. Sie dreht sich plötzlich um, sehr schnell, und legt ihre Lippen auf meine.

      Sie winkt ein Taxi heran. Sie streichelt meinen Oberschenkel auf der Rückbank des Wagens. Sie hat glänzende Augen. Sie geht hinter mir die zwei Stockwerke bis zu meiner Wohnung hinauf, so nah, dass ich ihren Atem an meinen Waden spüre. Sie kommt mit rein. Sie schenkt sich ein Glas Wasser ein. Sie schminkt sich neben mir ab, in meinem winzigen Bad. Der Spiegel zeigt zwei überraschte und zugleich ernste, schrecklich ernste Gesichter. Im flackernden Licht des anbrechenden Tages schlüpft sie unter die Decke, neben mich. Sie flüstert, dass sie noch nie mit einer Frau geschlafen habe. Sie fragt und du. Ich sage ich auch nicht, genauso, ganz genauso. Sie streichelt mein Gesicht, meinen Hals, meine Brüste.

      21.

      Ihr Parfum. Ihr Duft. Ihr Nacken. Ihr Haar. Ihre Hände. Ihre Finger. Ihr Hintern. Ihre Waden. Ihre Nägel. Ihre Ohrläppchen. Ihre Muttermale. Ihre Schenkel. Ihre violette Vulva. Ihre Hüften. Ihr Bauchnabel. Ihre Brustwarzen. Ihre Schultern. Ihre Knie. Ihre Achseln. Ihre Wangen. Ihre Zunge.

      Sie verabschiedet sich am nächsten Morgen von mir, an einer Straßenecke auf dem Weg zur Schule. Sie nickt mir zu und geht davon. Sie verabschiedet sich, ohne zu wissen, dass meine Hände zittern, dass sie den ganzen Tag nicht aufhören zu zittern, nicht glauben können, was sie getan, was sie berührt haben. Sie verabschiedet sich, ohne zu wissen, dass ich am Ende des Vormittags zum Arzt gehe, unfähig, noch weiter zu arbeiten, dass er mich für zwei Tage krankschreibt, dass ich unter meine Bettdecke flüchte, um in ihrem Duft zu schlafen, mitten am Tag. Am nächsten Morgen falte ich die Krankschreibung auseinander, um sie zu verschicken. Die ärztliche Begründung lautet: Veränderter Allgemeinzustand.

      22.

      Eine


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