Parallel. Win Köller

Parallel - Win Köller


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      Inhalt

       Parallel

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Kapitel 19

       Kapitel 20

       Kapitel 21

       Kapitel 22

       Kapitel 23

       Kapitel 24

       Kapitel 25

       Kapitel 26

       Kapitel 27

Kapitel 1

      Der Tag war voller Möglichkeiten, die ich ungenutzt ließ. Ich habe schon länger das Gefühl, mich in einer aussichtslosen Lage zu befinden. Mein Leben findet ohne mich statt, ich bin geistig abwesend bei allem, was ich tue. Täglich gehe ich einer Arbeit nach, die ich hasse. Ich stelle sinnlose Statistiken auf und gebe sie meinem Vorgesetzten zur Kontrolle. Ich arbeite für ein Pharmaunternehmen, das sich über den Bedarf an Medikamenten am Markt informieren will. Dafür erstelle ich Fragebögen, die ich an Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte weitergebe. So erfahre ich, dass es im Jahr 2019 in einem Bezirk circa 40-50 Grippefälle gab oder vier mit dem Norovirus Infizierte oder sechs HIV-Infektionen oder weit mehr am Coronavirus Erkrankte. Was mich an diesem Job stört, ist, dass das, was ich mache, zwar dem Gemeinwohl dient und meine Miete bezahlt, aber nicht das ist, was mich interessiert. Ich habe mich immer als Musiker gesehen, jetzt bin ich Statistiker. So weit, so schlecht. Mein Name ist Vincent.

      Ich gehe also die Straße entlang und freue mich auf mein Feierabendbier, als auf einmal ein seltsames Gefühl einsetzt. Ich befinde mich im Jetzt. Vor mir alle Möglichkeiten, hinter mir mein altes Leben, das ich nicht mag. Ich setze mich zu Hause auf die Couch und verzichte auf mein Bier, ich schlafe ein. Ich fange an zu träumen. Im Traum sitze ich zwei Menschen gegenüber, die beinahe so aussehen wie ich, aber anders heißen. Ich heiße Vincent, die beiden anderen stellen sich als Dominic und Christian vor. Christian hat einen Bart, Dominic eine Narbe am Kinn. Es entwickelt sich ein Gespräch. Obwohl die beiden so aussehen wie ich, ist irgendetwas entscheidend anders. Es liegt auf der Hand, dass wir nicht nur unterschiedliche Namen haben, sondern auch unterschiedliche Leben führen. Christian sagt, er lebe in einer Welt ohne Geld, in der die Menschen ihren Berufen nur aus Interesse nachgehen. Das finde ich interessant, schließlich jage ich dem Geld jeden Tag hinterher, ohne dass mich mein Job wirklich interessiert. Christian ist eine Art Gegenentwurf zu mir. Äußerlich ist er der Gleiche, aber er lebt in einer anderen Welt. Das habe ich alles schon einmal erlebt, denke ich mir, und im gleichen Moment wundere ich mich darüber, dass ich in einem Traum eine Art Déjà-vu habe. Der Moment ist jetzt. Oder besser, er war jetzt. Denn in genau diesem Moment habe ich ein Déjà-vu, sobald dieser Moment vorbei war, gehörte er schon wieder der Vergangenheit an. Alle Momente, die vergangenen und die bevorstehenden, bündelten sich im Jetzt. Ich saß also im Jetzt, beziehungsweise in dem, was ich zu dem Zeitpunkt für das Jetzt hielt, in einem Raum an einem Tisch mit zwei Menschen, die wie Doppelgänger von mir aussahen. Christian redete nicht viel, Dominic schon.

      „Ich habe eine neue, erfolgversprechende Sängerin produziert“, warf er ein und begann damit, ihre Vorzüge aufzuzählen: „Eine Stimme wie Samt, trotzdem kraftvoll, mit Herz und Seele. Sie singt Popmusik, die Leute werden es mögen.“

      In diesem Augenblick wurde ich aggressiv. Ich wurde zornig, weil Dominic glücklich war und ich nicht. Ich wurde zornig, weil Dominic einen Traumjob hatte, meinen Traumjob, weil er mir im Traum davon erzählte und weil er nicht wusste, wie es war, den eigenen Job zu hassen. Deshalb hasste ich ihn. Ich hasste ihn in diesem Moment dafür, nicht zu wissen, wie es war, mit dem Gefühl aufzuwachen, versagt zu haben, um sich dann aus dem Bett zu quälen und mit Bauchschmerzen zur Arbeit zu gehen. Er wusste nicht, wie es war, einem Job nachzugehen, für den er nicht talentiert war, und der eben deshalb Energie kostete. Er wusste nicht, wie es war, Statistiken zu erstellen, die einem sinnlos vorkamen, sich anzustrengen, das Beste zu geben und trotzdem mit leeren Händen dazustehen, mit gerade genug Geld, um über die Runden zu kommen, aber nicht viel mehr, ohne Auto, ohne Haus, ohne Dates, ohne Freunde. Er wusste nicht, wie es war, alles für einen Job zu opfern, der einem nichts einbrachte, aber alles abverlangte. Denn das war, was ich tat. Ich hatte alles geopfert für einen Job, der mich nicht erfüllte.

      Nachdem Dominic das getan hatte, was allgemein als Angeben bezeichnet wird, brach Christian sein Schweigen: „Die Gesellschaft, in der ich lebe, hat erkannt, dass der Wert des Geldes nur eine Illusion ist, eine Illusion, der eine Zeit lang alle erlegen waren. Alle haben sich darauf geeinigt, dass Geld etwas wert war, und deshalb war es so, dabei ist der Wert von Geld rein illusorisch. Der Zehn-Euro-Schein selbst war nicht einmal zehn Euro wert. Es war lediglich eine Art Abmachung zwischen Menschen, eine Regelung der Verhältnisse. Wir haben andere Wege gefunden, die Verhältnisse zu kontrollieren, wenn es überhaupt nötig ist. Es gab eine Revolution und eine kurze Phase der Anarchie, danach wurde eine neue Weltregierung gebildet, Nationen wurden abgeschafft, das Individuum definiert sich jetzt über das Menschsein, nicht über die Zugehörigkeit zu einer Nation, Rasse, einer Volks- oder Interessengruppe. Es gibt keine Hierarchie,


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