HEAR 'EM ALL. Группа авторов

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fragte sich später, wen Phil Lynott eigentlich gemeint haben mochte. Vielleicht am Ende sich selbst? War »Renegade« sein eigener Nachruf zu Lebzeiten? Als Oberstufenschüler auf einem kleinstädtischen niedersächsischen Gymnasium, verzaubert von einer viel jüngeren dunkelhaarigen Schönheit, fragte ich mich erst mal gar nichts. Ich wusste einfach, dass der Song auch mich meinte.

      Vor vielen Jahren spielte Snowy White mit seinem Blues-Trio in der legendären Landrockdisco Schlucklum in Lucklum. Sein kleiner Greeny-Gedächtnishit »Bird Of Paradise« war noch nicht vergessen hier in der ehemaligen Zonenrandpampa. Ich kannte die Sound- und Lichtmixer und trank ein Bier mit ihnen vor der Show. Sie schwärmten von Snowys Professionalität. »Du musst überhaupt nichts machen, der klingt einfach.« Von Divengehabe natürlich auch keine Spur. Das einzige, worauf er Wert legte, war ein Scheinwerfer, der immer schön auf seine Les Paul Gold Top zielte. Und die erstrahlte dann auch in güldenem Glanze an diesem bluesbeseelten Abend bald nach der Grenzöffnung.

      Ich hatte mir so ein bisschen vorgenommen, »Renegade« zu fordern, falls er es nicht sowieso und ganz regulär spielen würde, was er nicht tat, aber ich ließ es. Ich wollte ihn nicht verunsichern. Ein so feiner Mensch. Er sollte einfach einen schönen Abend haben mit uns. Aber dann grölte ein Dorftrottel aus seiner Schlucklumer Einzelsäuferkoje mehrfach und durchdringend »The Boys Are Back In Town«. Snowy huschte ein scheues, melancholisches Lächeln übers Gesicht. Er schüttelte sanft den Kopf. Und alles war gut.

VENOMWelcome To Hell Erich Keller

      [Neat, 1981]

      Alles fing an mit »Welcome To Hell«. Wenn man’s genau nimmt, war es die kurz zuvor veröffentlichte »In League With Satan«-Single, aber wirklich eingeschlagen hat erst die LP. 1981 war nichts roher und direkter als diese Platte, mit ihrem scheppernden Sound, der zwischen Verachtung und Spott vibrierenden Stimme, dem unkontrollierten, immer wieder ausbrechenden Schlagzeug und dieser von eigenartigen Arabesken durchzogenen Gitarrenarbeit. Die damals härteste Band der Welt, Motörhead, wurde über Nacht entthront und alle anderen – Judas Priest, Demon, Saxon, Angel Witch oder Iron Maiden – von Venom wie von einer schwarzen Sonne überstrahlt.

      Erst Venom waren es, die den Satanismus als bedrohliches Spektakel inszenierten und deren Musik genauso extrem und gegen die Erwachsenenwelt gerichtet war, wie man sich das als Teenager nur wünschen konnte. Stundenlang saß ich damals mit dem Textblatt und einem kleinen Englisch-Langenscheidt da, versuchte Sinn in die englischen Sätze zu lesen. Gab es da nicht eine geheime Verbindung zu den zwei »Omen«-Spielfilmen? Und das Foto auf der Coverrückseite: die drei Männer in Spandex und Leder, was tun die da am Strand mit der Axt? Wozu die Axt? Man müsste das alles nur verstehen können, das eine mit dem anderen verbinden. So hieß die Aufgabe, und die Fantasie füllte die Lücken.

      Dabei, so wird Jeff »Mantas« Dunn nicht müde zu erzählen, sei alles nie ernst gemeint gewesen. Zwei Jahre hatten Venom tapfer in irgendeinem Loch im deindustrialisierten Norden Englands geprobt. Der erste Song, den sie gespielt hätten, sei ein Cover von »Hotel California« gewesen und aufgetreten seien sie bloß ein einziges Mal, auf einem Hochzeitsfest, zum Entsetzen der Gäste.

      Als sie 1980 im Impulse-Tonstudio ein Demotape aufnahmen, sei da dieser Typ gewesen, dessen Aufgabe es eigentlich war, die Bandmaschine zu bedienen, Conrad »Cronos« Lant. Ein Großmaul, nett, aber total verrückt. Er drängte sich allen auf, immerzu redete er von seiner Band, die es wahrscheinlich nie gegeben hat, mit ihrer gigantischen Stageshow. Nur zwei, drei Mal im Jahr könnten sie deswegen auftreten, so teuer seien die laufend explodierenden Pyros, wie die Welt, sicher aber Newcastle, sie noch nicht gesehen habe.

      Die Erzählungen machten Eindruck, kurz darauf übernahm Lant Bass und Gesang bei Venom. Und er kümmerte sich ums Image, ums Bandlogo, die Bühnenshow, kurzum: eigentlich hijackte er die Gruppe und drückte ihr seinen irren Stempel auf.

      »Look out, beware / when the full moon’s high and bright / in every way, I’m there / every shadow in the night« – immer noch jagen mir die Songs einen eigenartigen Schauer über den Rücken. Natürlich wissen heute alle: Die Boshaftigkeit war nur gespielt, eigentlich waren Venom genau wie Kiss. Verkleidete Typen halt. Die Texte dumm, die Musik unter Einsatz aller Kräfte so gespielt, dass die Songs gerade noch zusammenhalten, statt in lächerliche Einzelteile zu zerfallen. Aber damals wusste man das eben nicht. Auch Tom Fischer, der seine Band Hellhammer nach dem Vorbild Venoms modellierte, um diese dann in allen Aspekten übertrumpfen zu können, wusste es nicht. Und die Kirchenanzünder und Mörder in Norwegen schienen ihn zehn Jahre später immer noch nicht verstanden zu haben, den faulen Zauber mit seinen Ermächtigungsfantasien.

      Doch was nützt’s. »Welcome To Hell« und »Black Metal« sind die Bastardsöhne der New Wave of British Heavy Metal. Heute erkennt man all die Unstimmigkeiten, den Sarkasmus und das Lächerliche, das sich damals aus der Distanz nicht gezeigt hat. Aber so geht es mit Musik und ihrer starken Kraft: Die Eindrücke von früher weigern sich manchmal hartnäckig, von der Kritik von heute überschrieben zu werden. Oder sich der elitären Validierung dieser fehlerhaften, fantastischen und mit nichts als Eigensinn produzierten Musik anzuschließen. Hier hilft kein akademisches Philosophieren weiter oder die gönnerhafte Umwölkung mit blutleerer Poptheorie.

JUDAS PRIESTScreaming For Vengeance Matthias Penzel

      [CBS, 1982]

      Plötzlich war es überall. Metal. Wie über Nacht. Überall Metals, Marshalls, Bands und Fans. Und der Mob tobte. Wir auch. Vier Gitarristen, jeder schon sehr versiert auf seiner Airguitar. Alle in der Halle. Zum Kopfschütteln. »24.2.1981 Judas Priest«, steht sogar in meinem einzigen Tagebuch. Es folgen drei Seiten, alle weiß. Woran ich mich erinnern kann, ist vor allem, dass ich bei »Sinner« dachte, das wäre »Exciter«. Brüllte ich auch. Hat zum Glück keiner gehört. Auch gesehen haben wir wenig. Die filigrane Feinarbeit an den Luftgitarren hat unsere Aufmerksamkeit vollauf vereinnahmt. Irgendwann stand ich auf einem Pullover, mein Kumpel zuckte zu fragendem Hochhalten mit den Schultern, ich schmiss das Ding von der Tribüne. Voll in Ekstase. Später suchten wir das Stück zwischen 10.000 Bierbechern, Kippen und Kotze. Es gehörte einem von uns. Immerhin, anders als andere sind wir nicht nach der Vorgruppe raus, in der Überzeugung, das wären Judas Priest gewesen. »Denim & Leather«, lernten die zu spät Geborenen, die da zu früh gingen, war von jemand anderem – wurde also deren Lieblingsband. Die amtliche Ansage war, ist und bleibt Judas Priest in der Besetzung.

      Mit »British Steel« kamen sie wie aus dem Nirgendwo. Und mit Gewalt. Ein halbes Jahr vorher war schon die Optik von »Unleashed In The East« total irreal: Links ein Blonder mit Flying V (bei Geburt getrennter Zwilling des bei UFO über Bord gegangenen Michael Schenker?), die Pose des Brutalos in der Mitte doof wie seine Sonnenbrille und der andere Gitarrist auch voll unwirklich (1:1 wie Benny, selbe Pose, selbes Lächeln, selbe Frisur, auf dem Foto der aktuellen Single mit Kropfband und Nieten: »Zufrieden mit mir«). Wenn jemand die rostfreie Klinge als Medaillon um den Hals trägt, wie Panteras Dimebag Darrell bis zu seinem Tod durch Erschießung, wenn »British Steel« in Umfragen und Klassiker-Listen vor »Screaming For Vengeance« rangiert, geht das in Ordnung. Hey! Ich bin ein friedlicher Typ, kann also auch nicken, wenn Leute erst mal ans falsche Album denken, bei Metal vielleicht erst an Maiden oder Metallica. Kann ich akzeptieren. Ist aber totaler Bullshit.

      Judas Priest: sind: Heavy Metal. Sie zierten 1981 das Cover des »Heavy Metal Special« vom »Musik Express«, 1984 die erste Ausgabe des »Metal Hammer«, etwas später die von »Rock Power«. Coverboys. Metal Gods. Initialzündung für »screaming guitars« und tausende Klischees. Eng oder direkt verknüpft mit den Subgenres, die da kommen sollten, auch mit den davon abgezweigten Derivaten (was auf Sabbath schon wegen halb so vielen Gitarristen und Gesang im Hintergrund bedingt zutrifft). Im Heavy Metal sind Judas Priest die Harley-Davidson. Ducati oder Kawasaki sind schneller, Honda zuverlässiger und weiter verbreitet, Triumph oder MV Augusta vielleicht kultiger, Münch fetter, BMW sicherer … Aber, und hier kann jeder reden, bis er im Gesicht red hot wird: Die Harley ist »es«. Das Gesetz. So wie


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