HEAR 'EM ALL. Группа авторов

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diese Band auch nichts sagen. Mit diesem Urteil war meine Welt wieder in Ordnung und ich stolz wie Bolle. Ich tat, als hätte ich gute Gründe, um die Platte gar nicht erst umzudrehen, geschweige denn mir die zweite Seite anzutun.

      Für einen Moment herrschte die gewohnte Stille im Zimmer, anschließend in der Wohnung und schließlich in ganz Norddeutschland. Dann hob ich den Tonarm erneut aus der Ablagestütze und setzte die Nadel in die Einlaufrille. Bei diesem zweiten Mal passierte etwas. Zunächst wurde ich von der Tarantel gestochen und als nächstes vom wilden Watz gebissen. Danach wollte ich nichts lieber tun, als mich möglichst oft von AC/DC stechen und beißen zu lassen. Das Problem dabei bestand nicht darin, dass mir diese australische Band gefiel. Das Problem war, dass sie mir zu gut gefiel. Viel zu gut. Erst kam ich mir unverschämt vor, dann maßlos unverschämt, ich fühlte mich prächtig und gleichzeitig ging mir die Muffe.

      Am nächsten Morgen radelte ich wie jeden Morgen zur Schule. Während einer Freistunde saßen wir an einem Tisch in der Eingangshalle, pokerten und klopften Sprüche. Der Einsatz betrug 10 Pfennig. Wollte einer viel wagen, erhöhte er um 20 Pfennig. Wenn er um 50 Pfennig erhöhte, bedeutete das für uns den größtmöglichen Nervenkitzel.

      Ralf setzte sich dazu, doch nicht, um mitzuspielen. Er war weder größer noch stärker als wir, aber er konnte uns trotzdem einschüchtern. Mit unbewegtem Gesicht sagte er: »Ona hat Sex mit Tieren.« Ona löste problemlos Mathe-Hausaufgaben, rannte auf den Sprintstrecken allen 750 Mitschülerinnen und Mitschülern davon und hatte noch nie Sex gehabt, genau wie alle anderen am Tisch. Aber keiner traute sich, ihm zu widersprechen. Ralf schaute Andi an, bis der den Fehler machte, den Blick zu erwidern. In dem Moment sagte Ralf: »Behindert.« Andi senkte die Augen wieder auf seine Karten und bemühte sich zu lächeln. Ralf wartete etwas ab, dann wiederholte er: »Behindert.« Niemand rührte sich, und außer Ralf gab keiner einen Mucks von sich.

      Wir hatten uns schon früher von ihm zur Schnecke machen lassen. Doch an diesem Tag klang nicht nur Ralf anders als sonst. Irgendetwas stimmte mit der Akustik nicht. Denn ob Ralf jemanden demütigte oder ob der Gedemütigte Sprüche klopfte, beide hörten sich an, als würden sie aus immer größerer Entfernung sprechen. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Seit gestern mochte ich AC/DC, aber was bedeutete das?

      Die einzige Veränderung zeigte sich in der einen oder anderen Unterhaltung. Armin erklärte kurz vor dem Bio-Unterricht, was er von AC/DC hielt: »Die Musik ist ja ganz okay.« Er verzog sein Gesicht, als bekäme er gerade Kopfschmerzen: »Aber diese Stimme!«

      Sicher, Bon Scott sang nicht wie ein Regensburger Domspatz.

      Zwei Monate später begleitete ich Barbara zum S-Bahnhof Reinbek.

      »Findest du AC/DC immer noch gut?«

      »Klar.«

      Sie sah mich an, als weigerte ich mich, ein schwer leckgeschlagenes Schiff zu verlassen, das spätestens, wenn ihr Zug kam, auf den Grund des Marianengrabens gesunken sein würde.

      Die meisten hier erwähnten Menschen habe ich seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen. Aber wenn sich zum Beispiel der Produzent Rick Rubin das Riff des Songs »Overdose« borgte, damit die Beastie Boys »(You Gotta) Fight For Your Right (To Party!)« darüber rappen konnten, wenn die Mannschaft des FC St. Pauli zu »Hells Bells« auf den Platz lief, wenn der Boxer Graciano Rocchigiani zum gleichen Stück in den Ring stieg, wenn die Musikerin Bernadette La Hengst »Ride On« sang, wenn der Pop-Philosoph Butthead ein T-Shirt mit der Aufschrift »AC/DC« trug, wenn die Rriot-Grrrl-Band Parole Trixi unter der Überschrift »Girls Got Rhythm« auf Tour ging, wenn Take That während eines Auftritts wie Angus Young Mützen mit Hörnern trugen, wenn die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Interview erklärte, dass sie sich für Fraktionssitzungen mit dem Album »Highway To Hell« in Stimmung brächte, und wenn heute Timm Völker von der Band 206 ein Stück mit dem Produzenten und Musiker Tobias Levin schreibt oder Tobias Levin eins mit mir, dann denke ich an Ona, an Andi und sogar an Ralf, an Armin, an Barbara und an Burkhards Haar in der Abendsonne. Ohne AC/DC würde ich mich nicht daran erinnern.

THIN LIZZYLive And Dangerous Klaus Walter

      [Vertigo, 1978]

      Ich sei ja kein Metalhead, aber vielleicht hätte ich was von den Randbereichen zu berichten. Schrieb Frank in der Einladung zu diesem Buch. Ich habe dann die Randbereiche meines Poplebens auf Metalspuren abgesucht. Als Kind mochte ich Grand Funk Railroad ganz gern, musste aber schnell lernen, dass es uncool war, die zu mögen, war wohl Kindermetal. Mit vierzehn habe ich Frijid Pinks Version von »House Of The Rising Sun« so geliebt, dass ich die Single geküsst habe, als sie endlich bei »Elektro Effertz« eingetroffen war, dem einzigen Plattenhändler in Frankfurt-Hoechst. Den Kuss haben weder meine Classmates verstanden noch der Verkäufer. Während ich dies schreibe, läuft ein seltsam verwaschen-verwackeltes Schwarzweißvideo des Songs, und ich bin mir nicht sicher, ob das Verwaschen-Verwackelte künstlerische Intention ist oder miese Technik. Der Sänger von Frijid Pink sieht jedenfalls ungesund aus, der Song ist immer noch super, aber mehr Donnergrollhardrock als Metal, wenn ich das richtig verstehe. Lustigerweise ist mir Frijid Pink kürzlich wiederbegegnet auf »Detroitrocksampler«, eine Cheapo-Compilation in zwei Folgen, die ich für ein paar Euro bei »Glitterhouse Mailorder« bestellt hatte, nicht wissend, dass Julian Cope die Zusammenstellung besorgt hatte, der ja ansonsten eher für »Krautrocksampler« und seine postpunkneopsychedelische Band Teardrop Explodes bekannt ist. Sonisch wie ideologisch open minded bis beliebig interpretiert Cope »Detroitrock« so, dass unter diesem Dach Leute Platz haben, die sich im richtigen Leben eher aus dem Weg gehen dürften. Die Revolt-Rockband MC5 steht neben Iggys Stooges und dem golfenden Republikaner Alice Cooper, aber auch für die Amboy Dukes hat Cope ein Plätzchen, die Band des rechtsradikalen Waffenfetischisten Ted Nugent, für dessen einzigen Hit ich bis heute eine Schwäche habe: »I got the Cat Scratch Fever«, yeah. Nugent hätte sicher nichts dagegen, würde man ihn einen Rassisten nennen und unterstellen, dass er die Anwesenheit der Band Funkadelic auf einem »Detroitrocksampler« für keine so gute Idee hält, trägt sie doch den Funk schon im Namen und dementiert qua Hautfarbe die White Supremacy in Rock, also den durchaus erfolgreichen Versuch interessierter Lobbyisten, Rock als genuin weiße Errungenschaft darzustellen. Leute wie Paul Ryan, Spitzenmann der US-Republikaner, tun das auf eine Art, für die die englische Sprache das so schöne wie unübersetzbare Wort hilarious zur Verfügung stellt, bitteschön: https://www.youtube.com/watch?v=ovWwUefDVFc

      Seine Playlist beginnt mit AC/DC und endet mit Zeppelin, sagt Paul Ryan. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 gab er den Young-Upstart-Rock’n’Roller als potenziellen Vize für den eher gesetzten Kandidaten Mitt Romney, dessen Playlist vorwiegend Fahrstuhlmusik enthält, so Ryan. Verloren haben sie beide, Obama hatte die bessere Playlist. Und Philomena Lynott. Die damals 81-Jährige war der Surprise Act im Obama-Supporter-Team. Kurz nach dem 2. Weltkrieg hat die weiße Irin Philomena eine Affäre mit dem aus Guyana stammenden Cecil Parris, einem schwarzen Mann. 1949 wird der gemeinsame Sohn Phil geboren, kurz darauf trennt sich das Paar. Phil wächst bei seiner Großmutter Sarah in Dublin auf. Ähnlichkeiten mit der Biografie Barack Obamas sind zufällig, kommen aber wie gerufen. Phil Lynott gründet Thin Lizzy, wird Rockstar und stirbt mit 36. Kannten die Republikaner Lynotts Lebensgeschichte nicht, als sie sich für »The Boys Are Back In Town« als Kampagnensong entschieden? Wussten sie nicht, dass Stimme, Bass & Körper von Thin Lizzy zu einem supergutaussehenden unehelichen Bastard Son gehörten, dem die weißen Mädchen nur so nachlaufen. Und am Ende gar die weißen Jungs?

      Ausgerechnet »The Boys Are Back In Town«? Einer der großen Lizzy-Hits und Signatursong des sagenumwobenen Womanizers Phil Lynott. Philomena was not amused. Mutter Lynott untersagte die Verwendung des Songs für die Romney/Ryan-Kampagne. Niemals hätte ihr Sohn die Anti-Gay- und Pro-Reichen-Politik der Republikaner goutiert.

      Auf »Live And Dangerous« folgt »The Boys Are Back In Town« auf den »Cowboy Song«, der fast nahtlose Übergang ist so ein Magic Moment des Sonnenaufgehens, der Erlösung, Befreiung, whatever, ein Augenblick so unfehlbar uplifting wie der Augenblick, in dem Dusty Springfield sich mit den Worten


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