HEAR 'EM ALL. Группа авторов

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gerührt, schockverliebt, von einer Welle der Euphorie durchflutet. Das wahre Leben, da gab es keinen Zweifel, würde jetzt beginnen.

      Aerosmith waren von der Kritik als Rocktrottel oder billige Stones-Kopie verdammt worden, als sie 1973 mit ihrem zugegeben etwas rustikalen Blues-Rock-Debüt auftauchten. Damit teilten sie das Schicksal von AC/DC, Led Zeppelin und beinahe allen großen Hardrock-Bands der Siebzigerjahre: Gute Kritiken bekam damals keine dieser Bands. Was Aerosmith nicht mit Zeppelin teilten, war deren Virtuosität: Grobschlächtig, unbehauen, tatsächlich ein bisschen schlicht wirkten auch die meisten Songs auf »Get Your Wings«.

      Aber wie mitreißend diese Musik gleichzeitig war! Der aufgekratzte Furor von »Same Old Song And Dance«, die Wahnsinnsenergie von »S.O.S. (Too Bad)«, die geheimnisvolle Psychedelik von »Spaced« und die verwehte Melancholie von »Seasons Of Wither«: Es war Musik, der man den Dreck unter den Fingernägeln anhörte. Man wollte biertrinkend im Camaro den Pacific Coast Highway runterfahren, freilich noch ohne überhaupt zu wissen, was ein Camaro oder der Pacific Coast Highway überhaupt waren.

      Produziert hatte »Get Your Wings« der ehemalige Jimi-Hendrix-Engineer Jack Douglas. Eigentlich ist hier aber gar nichts produziert, wozu auch? Joe Perrys Gibson brauchte ebenso wenig eine Produktion wie Tom Hamiltons spielerischer Bass, Joe Kramers wuchtiges Drumming, Brad Whitfords stramme Ryhthmusgitarre oder Steven Tylers elektrisierende Stimme. Überhaupt, Steven Tyler: natürlich der Inbegriff des Rockstars klassischer Prägung. Es gibt keine Trennung zwischen der Kunst und dem sogenannten wahren Leben. Heute ist er beinahe eine Comicfigur, aber eine gute.

      Die romantische Idee von der Rockband als ein verschworener Geheimbund schien mir damals das größte Ideal zu sein, und niemand kam diesem Ideal so nahe wie diese Band aus Boston. Außerdem hat kaum jemand sonst das Sex-&-Drugs-&-Rock’n’Roll-Klischee mit ähnlicher Konsequenz ausgelebt. Trotzdem leben alle noch. Bis heute stehen Aerosmith personell unverändert auf der Bühne.

      Ich hörte dann ein paar Jahre nichts anderes mehr. Fand heraus, dass »Rocks« und »Toys In The Attic« sogar noch besser waren als »Get Your Wings«, aber ohne den ominösen Kassettenfund hätte ich diese Alben vielleicht nie entdeckt. Es gab auch Schrott: Wie alle großen Bands waren Aerosmith stets entweder grandios oder totaler Müll. Das beste aber war, dass dieser Katalog längst noch nicht abgeschlossen war: Ein Jahr nach Beginn meiner Aerosmith-Leidenschaft gelang ihnen mit »Pump« ein sensationelles Comeback.

      Später haben sie ihre Melodien und Riffs zunehmend mit Streichern und unzähligen Overdubs überkleistert. Aerosmith beschäftigten Hitschreiber und entfernten sich immer mehr von dem, was sie groß gemacht hatte. Sie waren jetzt eine pompöse Mainstream-Pop-Band für die ganze Familie.

      Der räudige Kern ist dieser Band vor Jahren abhandengekommen. Auf »Get Your Wings« kann man ihn nach wie vor bestaunen.

QUEENSheer Heart Attack Steffen Greiner

      [EMI, 1974]

      Die erste Band, die ich je gehört habe, also: wirklich gehört habe, war Queen. Der erste Star, den ich wirklich verehrte, war Freddie Mercury. Mit zwölf durchschritt ich mein Kinderzimmer mit nacktem, schwitzendem Oberkörper, mit einem Mikrofonständer aus Luft in der Hand und aufreizendem Blick in ein Publikum aus Tapete, Buchregal und Fenster. Mercury-Werden ist einfach: den Unterkiefer zurück, den Oberkiefer für den charakteristischen Oberbiss ausstellen, die linke Hand zur Faust ballen. Mercury-Spielen macht dem Zwölfjährigen Spaß, weil Mercury-Sein kein Geheimnis hat, keine tieferen Kenntnisse einer Welt verlangt, die der Zwölfjährige nicht verstehen kann. Freddie Mercury ist ein Mann, der einen Mann spielt – ganz eindeutig spielt, ohne darin restlos aufzugehen, und von Mercurys Sexualität, oder von der Person Farrokh Bulsara, wie Mercury eigentlich hieß, müssen wir hier gar nicht reden. Und damit die Verwirrungen vom Jung-Sein in einer zweigeschlechtlichen Ordnung, wenn alles als ein Rollenspiel unter hohem Erwartungsdruck erscheint, ein wenig auflockern: Freddie Mercury ist Judith Butlers Performanz-Theorie in Gestalt eines Popstars.

      Ich frage mich, ob Queen Musik für Kinder ist, und glaube ja: weil die Band spielt. Selbst Epos nur spielt, wo es episch wird, Komplexität spielt, wo hinter den Verschachtelungen doch immer wieder nur ein lachender Clown sitzt statt eines steinernen Riesen. Das macht auch das irgendwie Faschistoide, das Massenhypnotische an Queen zu einem queeren Spiel, gerade, wo sie keine Queerness auf die Bühne bringen. In der Musik von Queen ist die Möglichkeit zu allen Begehren angelegt, ohne dass es über die Musik hinaus Realität werden müsste. Dazu muss niemand misogyn Hausfrauentrash spielen, wie das später geschehen bei »I Want To Break Free« wird: Dazu reicht ein Album, das metallische Härte und campe Weichheit gleichberechtigt nebeneinander stehen lässt, sich für nichts entscheidet – außer für einen lachenden triumphalen Gestus, der allen gehört: Über-Pop.

      »Sheer Heart Attack« ist darum das archetypische aller Queen-Alben. Nicht nur, weil es mit »Now I’m Here« und »Killer Queen« zwei der bekanntesten Stücke der Band präsentiert. Es ist in seiner Stilvielfalt Möglichkeitsraum für Publikum und Band. Ein Medley beginnt mit einem 1950er-Halbstarken-Rock-Pastiche, geht in ein Speed-Metal-avant-la-lettre-Stück über, um in eine Piano-Ballade zu münden. Brian May dreht an der Gitarre schon im ersten Stück »Brighton Rock« ab, eine luxuriös übergeschnappte Mod-Lovestory mit Kirmes, 1940er-Oldie und vielfach aufgesplitteten Gitarrensignalen, Show-Off, Poesie, Glam. Vieles auf »Sheer Heart Attack« scheint aus kindlicher Fantasie entwickelt: Die Halbstarken, die Kirmes und Al Capone verweisen auf die Epoche, in die die Bandmitglieder hineingeboren wurden, die eine des Aufbruchs ist, aber auch die dunkle, sehr englische Fantasy-Welt, die Mercury sich auf dem Vorgängeralbum »Queen II« vom viktorianischen Maler und Mörder Richard Dadd geborgt hat, wird weiter ausgemalt. Es gibt Vaudeville über Edel-Nutten (»Killer Queen«) und Ragtime über Ganoven (»Bring Back That Leroy Brown«), es gibt ein mysteriöses, gleichzeitig musikalisch sehr plaines Stück über »Stormtroopers In Stilettos«. Ist das einfach erzkonservativ – oder schon BDSM?

      Wenn ich heute manchmal nachts nach Hause fahre, mit dem Fahrrad über die überdimensionierten Straßen am Alexanderplatz, Straßen, die in ihrer BIGNESS genauso dämlich geil sind wie die Musik von Queen, erwische ich mich dabei, wie ich die leere Fahrbahn als Bühne nutze. Die linke Hand bildet dann eine Faust, die seitlich am Körper entlang nach oben und rechts vor den Körper geführt wird, der Bizeps spannt sich, und mein Oberkiefer schiebt sich nach vorne, zu einem leichten Überbiss.

LED ZEPPELINPhysical Graffiti Dietrich zur Nedden

      [Swan Song, 1975]

      1Sofort stellte sich einem Metal-Laien wie mir natürlich die Frage, ehe ich mit dem Herausgeber ausführlich darüber sprach: Gehören Led Zeppelin (1969 bis 1980) in eine Anthologie, die sich der Metal-Geschichte widmet? Die sogenannten Experten, das war im Netz schnell zu erklicken, streiten sich bis heute darüber. Wie das so ist, man benötigt Referenzen und Kategorisierungen: Welche Bedingungen lassen wir gelten? Welche musikalischen, kulturellen, stilistischen, habituellen Bezugspunkte?

      2Der komischste Einwurf, den Zwist zu verhandeln, präsentierte eine Website, die sinnigerweise isthisbandmetal.com heißt. Man tippt einen Bandnamen ein und …: »Led Zeppelin is not a metal band.« Punktum. Auf andere Weise vereinfachte kürzlich der deutschsprachige »Rolling Stone« die Angelegenheit, wischte sie im Grunde hinfort und veröffentlichte eine, wahrlich nicht die erste Liste unter dem Titel »Die 100 besten Metal- und Hardrock-Alben aller Zeiten«. Auf Platz 27 liegt das Doppelalbum »Physical Graffiti«. (»Houses of Holy«: Platz 77; »Led Zeppelin«: 67; »Led Zeppelin II«: 18; »Led Zeppelin IV«: 5)

      3Bei der ausgiebigen neuerlichen Erkundung des Albums tauchte gleich die nächste Frage auf, nämlich welche von den 15 Songs zumindest zwischen Metal und Hardrock oszillieren. Und ich tauche in dieser Hinsicht lieber weg, es sei denn, mich springt es an. Zunächst widmen wir uns einigen Berichten:

      4Jimmy Page,


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