HEAR 'EM ALL. Группа авторов

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ein Projekt, bei dem Pink Floyd absolut freie Hand hatten. Beim ersten Hören – und verglichen mit der obsessiven Homogenität späterer Alben – klingt »More« wie eine lockere Ansammlung zerstreuter Skizzen, die man auch hätte verwerfen können. Beim zweiten Hören fällt auf, dass beinahe jede einzelne dieser Skizzen eine Suchbewegung ist. Avantgarde, von der damals aktuellen »musique concrète« (»Quicksilver«) über flirrenden Proto-Ambient (»Main Theme«) und pulsierenden Proto-Krautrock (»Up The Khyber«) bis zu pastoralem Proto-Freakfolk (»Cirrus Minor«). Spätestens beim dritten Hören leuchtet ein, dass alle diese Entwürfe im Grunde nur den Schlamm bilden, in dem der korrodierte Proto-Metal von »The Nile Song« und »Ibiza Bar« erhalten ist.

      Denn Schlamm, »sludge«, ist das entscheidende Stichwort. Okay, in »Boris The Spider« von The Who hört man 1966 erstmals den Growl, und der harte Rock’n’Roll von »Helter Skelter« erschien nur wenige Monate zuvor. Andere Anwärter auf den Titel »Erster Metal-Song aller Zeiten« erschienen entweder später (»Black Sabbath«, 1970) oder entfalteten ihre einschlägigen Qualitäten nur auf der Bühne – wie »Dazed And Confused« von Led Zeppelin oder »Wring That Neck« von Deep Purple. Die identischen Brüder »The Nile Song« und »Ibiza Bar« dagegen klingen schon auf Platte, wie sie gemeint sind – gemein. Niemandem würde auffallen, fänden sich »Ibiza Bar« und der noch einen Tick kompromisslosere »The Nile Song« auf einem Album von Mastodon, den Melvins oder Voivod.

      Beide Titel geschrieben hat Roger Waters, vorangetrieben werden sie von seinem in Moll abrollenden Bass und dem wuchtig polternden Schlagzeuggeröll von Nick Mason. Beherrscht aber werden beide Titel von David Gilmour, der mehrere Spuren seiner Fender Stratocaster zu hohen und immer höheren Gebirgen auftürmt und sich in dessen Schluchten heiser die Seele aus dem Leib brüllt. Dieses Zwillingsgeschütz aus »The Nile Song« und »Ibiza Bar« ist nicht einfach nur ein Vorläufer, der mit gutem Willen bereits Kommendes erahnen lässt. Es ist Sludge Metal »avant la lettre« und in Vollendung, the thing that should not be.

BLACK SABBATHBlack Sabbath Wenzel Storch

      [Vertigo, 1970]

      Wir schreiben das Jahr 1972. Die Enterprise schwebt mit ihrer 430 Mann starken Besatzung erstmals über die Schulhöfe, und die Ponderosa wird um einen Esser ärmer: Hoss stirbt an einer Lungenembolie. Der Steinkauz wird Vogel des Jahres. Zu jener Zeit lebten wir glücklich und zufrieden hinterm römisch-katholischen Mond. Bis sich eines Tages – ich war gerade elf dreiviertel – das Tor zu einer besseren Welt auftat. Wenn auch nur einen Spalt breit …

      Einmal im Jahr freuen sich die Kinder der Ungläubigen auf den Weihnachtsmann. Der hatte bei uns nichts verloren. Wir warteten mit glühenden Bäckchen auf das Christkind, das am Heiligen Abend seine milden Gaben – frische Unterhosen und Strümpfe, das eine und andere Spielzeug und Teller voller Pfeffernüsse – unter den Tannenbaum legte. Zum Dank wurde stundenlang geflötet, denn meine Eltern hatten, wie alle Christeneltern, einen Flötenfimmel.

      Das Christkind kam hereingeflogen und brachte einen festlich verpackten Kofferplattenspieler. Dazu legte es eine Schallplatte auf den Gabentisch. Ich war baff. Hatte es sich durch die Worte auf meinem Wunschzettel foppen lassen? Und bei Black Sabbath an das dritte Gebot, an Opfertisch und Liturgie, gedacht? Konnte das Christkind etwa gar kein richtiges Englisch?

      Auf alle Fälle war ich ab dem 24. Dezember 1972 im Besitz einer Black Sabbath-LP. Dachte ich zumindest, als ich die kostbare Schallplatte wie eine Hostie ins Kinderzimmer trug. Hören durfte ich sie am Heiligabend noch nicht, denn morgen, hieß es, sei auch noch ein Tag.

      Am ersten Feiertag legte ich die schwarze Hostie auf den Plattenteller. Bis zum Mittagessen hatte ich beide Seiten bestimmt fünfmal durchgehört. Als ich nach dem Pudding zurück ins Kinderzimmer stürmte, waren Platte und Plattenspieler verschwunden. Ich suchte wie verrückt und bald konnte es keinen Zweifel mehr geben: Ich war bestohlen worden. Wie sich herausstellte, von den eigenen Eltern.

      Kein Wunder, dass auch ich bald anfing zu klauen. Nachdem es mir gelungen war, alle elf »Asterix«-Hefte auf einen Rutsch unter den Anorak zu schieben, wurde ich übermütig. »Pop«- und »Popfoto« – sündhaft teure Musikmagazine, die in ihrem Inneren vielfarbige Riesenposter bargen – mopste ich nun regelmäßig und eines Tages, ich war inzwischen zwölf, passierte es: Eine verschrumpelte Oma hatte mich ins Auge gefasst und begann laut zu kreischen.

      Welche Schmach. Ausgerechnet mit »Popfoto« mussten sie mich erwischen. Denn »Popfoto« war nicht halb so gut wie »Pop«, da waren viel zu viele Schlagersänger drin, Spastis wie Bernd Clüver und Jürgen Marcus. Der Kassierer kam angerannt und nahm mich, gemeinsam mit der Alten, ins Kreuzverhör. Schnell wurde klar: Schlimmer als das Delikt war der Umstand, was ich hatte klauen wollen. Ein Schmuddelheft – voll mit langhaarigen Männern.

      Ein Bild nach dem anderen wurde mir unter die Nase gehalten: Bäh. Ob ich später auch mal so rumlaufen wolle? Igitt. Vor Schreck fing ich an, mir in die Hose zu pissen. Wer’s nicht selber erlebt hat, dem sei gesagt: Die Situation ist – von außen betrachtet – heiter, aber man kriegt das Gesicht dazu nicht hin. Still und leise lief die Pisse das Hosenbein hinunter.

      Noch im selben Jahr stieg ich von »Pop« und »Popfoto« auf »Sounds« um – höchste Zeit, schließlich kam ich nun bald in die Mittelstufe. Hier erfuhr ich zu meinem Befremden, dass es sich bei Ozzy Osbourne, der damals noch treudeutsch »Ossie Osborne« hieß, um einen »Sänger ohne Kompetenz und Format« handele. Und bei Black Sabbath um »eine von den vielen bösen englischen Gruppen, die eine Menge unverdauten harten Blues und schwere, tausendmal gehörte Gitarrenriffs in den Raum schmeißen, um die Teenager zum Schwitzen zu bringen.«

      Hin und wieder kaufte ich mir noch heimlich – nur so aus Scheiß – die neue »Pop«. Und so bin ich noch heute im Besitz der beiden »Farb-Super-Poster«, die sich, dreigefaltet und zum Herausnehmen, kurz vor meinem zwölften und unmittelbar nach meinem dreizehnten Geburtstag in der Heftmitte fanden und die Ozzy und seine Kollegen, von bunten Scheinwerfern grell bestrahlt, bei der Arbeit zeigen. Und die noch heute, im Wechsel mit antiken Papst-, Rennauto- oder Tierpostern, gelegentlich über meinem Bett hängen.

BLACK SABBATHParanoid Carsten Klook

      [Vertigo, 1970]

      Es war der Konfirmandenunterricht, der das schwere Kreuz mit sich brachte, ein Jugendlicher zu sein. Anno 1974. Vier Jahre zu spät. Aufgeplatzte Kastanien lagen auf dem Weg, der mich zur Kirche führte, besser gesagt zum Pfarrhaus, einem schmucklosen Haus der Gemeinde. Mir war die Religion egal, ich war nur wegen des Geldes dabei, das es zur Konfirmation von den Verwandten gab. Das sollte sich später ändern. Ich wollte mir einen Fernseher kaufen, damit ich selbst bestimmen konnte, was ich sehen mochte.

      Ein Kreuz aus schwerem Eisen schlug Alarm. Das legte sich auf die öden, langen Nachmittage, derer es in den 70ern so viele gab. Der monotone Ablauf des Daseins war dankbar für jede Abwechslung. Und erst recht dieser Klang von monolithischer Schwere. Ich hörte Black Sabbath vier Jahre nach dem Erscheinen ihres zweiten Albums.

      Das Cover zeugte von Panik: Jemand, der im Wald in einer psychischen Extremsituation auf der Flucht war oder jemanden jagte, das erzeugte Aufmerksamkeit. Mit Schild und Schwert und Helm. Wer fühlte sich nicht gejagt oder war hinter jemandem her?! Mir wurde immer ein wenig schlecht, wenn ich das Album hörte. Irgendetwas mürbemachendes ging von den Songs aus. Es war wie der Konfer-Unterricht, der auch so zäh an den Grundfesten des Seins rührte. Warum trug dieser Ozzy ein Kreuz um den Hals?

      Der Konfer-Raum, der den zukünftigen Konfirmanden an der Kirchsteinbeker Kirche zugeteilt ist, in der so manches Flaschen- und Aknedrehen, manch seltsame Fete ihren Ausgangspunkt hatte, er erscheint bei der Musik von Black Sabbaths »Planet Caravan« als schwebender Mond-Krater im interstellaren Kräftefeld. Die Töne fliegen schaumkissenartig durchs All, riesige Marshmellows, waldmeistergrün und ferkelrosa. Die Band hat an den Füßen Wah-Wah-Pedale montiert und geht, Big Muff!, auf großem Pedalweg durch die Milchstraße. Auf den bunten Sitzkissen der Kirchengemeinde jonglieren


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