HEAR 'EM ALL. Группа авторов
Europa, wo für die Musikjournaille praktisch alles Heavy Metal sein konnte, was mit verzerrten Riffs operierte.
Horns!
Frank Schäfer, Oktober 2018
BLUE CHEERVincebus Eruptum | Toddn Kandziora |
[Philips, 1968]
Dickie Peterson sollte in die Stadt kommen. Der Dickie Peterson. Sänger, Bassist und Gründungsmitglied von Blue Cheer. Die erste Heavy-Metal-Band überhaupt. Oder Doom Metal. Stoner Rock. Grunge. Nimm Punkrock! Such dir dein passendes Puzzlestück heraus! Passt schon. Jim Morrison hatte sie einmal als die »mächtigste« Band geadelt, die er zu hören bekam. Für mich hatten sie die coolste Version vom »Summertime Blues« hinbekommen, die ich kannte. Eddie Cochran hätte der Band seinen Segen gegeben. Hätte. Wäre er nicht 1960 wegen eines geplatzten Reifens zwischen Bristol und London gegen einen Laternenpfahl geprallt und tags darauf in den Rock’n’Roll-Himmel aufgefahren. Die Gitarre auf Blue Cheers Version ist nebenbei erwähnt einfach nur großartig. Leigh Stephens war dafür verantwortlich. So muss sich ein schweres, mit einem Wah Wah getretenes Riff anhören. Leigh verließ die Band noch im Jahr der Veröffentlichung. Manch einer meint aufgrund musikalischer Differenzen, manch anderer wegen beginnender Taubheit. Könnte eher hinkommen, wenn man die für damalige Verhältnisse extrem lauten Konzerte bedenkt. Insbesondere ihren hohen Marshallturmaufbau, der diese Lautstärke erst ermöglichte. Ihr erstes Album »Vincebus Eruptum«, das im Januar 1968 erschien, schaffte es fast in die Top 10 der Billboard-Charts. Aber nach Platz elf ging es nicht weiter. Die Singleauskopplung von »Summertime Blues« kam auf Platz 14. Das Album, das im Dezember ’67 eingespielt wurde, blieb bis heute das kommerziell erfolgreichste. Diese LP hat nicht nur wegen des Anfangsbuchstabens der Band einen gebührenden Platz weit vorne in meiner Plattensammmlung. Der Song wurde Pflichtbestandteil jeder Festlichkeit unseres kopfschüttelnden, verlotterten Haufens. Und der Anführer dieser von Legenden umwobenden Band aus Übersee sollte im Line Club auftreten. Am Rande des Braunschweiger Rotlichtbiotops.
Wenn eine musikalische Legende in der Stadt auftritt und man die Hoffnung hegt, ein Interview zu machen, dann bereitet man sich vor. Ich tat das, indem ich mir Tage zuvor die neueste Blue Cheer bei »Clash-Dirk« besorgte. »Blitzkrieg Over Nüremberg«. Ihre erste Live-LP. Rockig das Teil. Mit Boogie-Elementen, wie bei Motörhead. Schwere Gitarre, die auch mal psychedelisch schrammelt. Dann die Stimme von Dickie, derb und verlebt-kratzig. Klang nach grobem Achtziger-Schleifpapier. Ähnlich dem Gesang von Lemmy. Wahrscheinlich teilten sich beide die Vorliebe für Zigarettenketten und Tennessee Whiskey aus Lynchburg. Vielleicht ist das bei bestimmten Bassisten so. Denen, die mit einem lauten Gong in den Ring steigen. Dass Blue Cheer in den späten Sechzigern mit der Musikindustrie und der Presse Probleme bekamen, hatte mit ihrer Attitüde zu tun. Ihr Manager Allen »Gut« Terk war ein ehemaliges Mitglied der Angels. Das machte die Band für die Musikszene schwer einschätzbar. Dazu ein selbst für die damalige Zeit rebellischer Lebensstil inklusive ihres exzessiven Drogenkonsums. Dickie Peterson sagte einmal in einem Interview, dass sie vom Vietnamkrieg und den allgegenwärtigen gesellschaftlichen Unruhen verstört waren. Aber die Ideale der in San Francisco stark verwurzelten Hippiekultur lehnten sie ebenfalls ab. Blue Cheer spielten, Gott sei Dank, lieber auf den wilden Partys der Angels als vor den blumenbindenden »Miss Mackenzies«, wie Rob Tyner von MC5 sie ’68 in ihrem Song »Kick out the Jams« im Detroiter Grande Ballroom besang. Doch das ist eine andere Geschichte.
Das Konzert mit Blue Cheer nahte. Der Line Club war voll, jedoch nicht ausverkauft. Bunt gemischtes Volk. Der ansässige Rockerclub zeigte Kutte. Selbst King Olaf, der nur selten die Mauern seiner Wohnung verließ, war gekommen. An der Theke wurde gebechert, als wäre Sonny Barger persönlich anwesend und als ginge es darum, ihm angemessen zu huldigen. Das Herz des Clubbers musste angesichts des Umsatzes Bocksprünge vor Freude machen. Oder wegen der anderen Sache. Eher wahrscheinlich. Mittendrin in der laut lärmenden Thekenmasse erkannte ich Dickie Peterson. Neben ihm stand King Olaf. Mit seinem Trinkhorn in der Hand. Er winkte mich herüber. So kam ich auch mit Dickie ins Gespräch.
Das Konzert war laut. Echt laut. Ehrlich gesagt, es war das verdammt lauteste Konzert, das ich in dem Laden bis dato um die Ohren gedroschen bekam. Sie fiepten noch Tage später nach. Es wundert mich nicht, dass Herr Morisson schwer beeindruckt von der Band war und dass der erste Gitarrist Blue Cheer fast taub verließ. Ich wurde ebenfalls schwer beeindruckt.
Nach dem Konzert die Treppe neben der kleinen Bühne hoch in den ersten Stock. In den clubeigenen Rock’n’Roll-Himmel. In dem eine Outlaw-Party stattfand. An der Theke eingeschnürrtes Leder in Kutten und blondtoupierte Mähnen über ansehnlich gefüllten Ausschnitten. Auf der Ledercouch amüsierten sich Olaf und Dickie. Gut abgefüllt mit Alkohol & Co. KG. Ich setzte mich dazu. Auf dem Tisch vor mir ein großes Silberblech mit wabblig-feuchten Brötchen, auf denen die Wurstscheiben sich trocken kringelten. Das Catering sah wieder einmal richtig scheiße aus. Ich schaute mich nach einem Bier um, konnte aber nur zerdrückte Dosen und leere Flaschen in meiner Umgebung erblicken. In diesem Moment drückte mir King Olaf ein kaltfeuchtes Brötchen in die Hand. »Los, zieh mal dran.« Ich schaute irritiert. »Ist gut. Coole Sache«, setzte Dickie nach und grinste mich breit an. Das Brötchen in meiner Rechten war ein ganzes. Oben in seiner Mitte war eine kleine Mulde mit Stanniolpapier ausgelegt, in der eine ordentliche Portion Shit glimmte. Ich betrachtete es genauer. Vorn und hinten waren zwei fingergroße Öffnungen zu erkennen. Alles klar. Ich verstand. Das Backwerk war vom findigen Olaf zu einer Purpfeife der besonderen Art umgeprummelt worden. Ich zog an der vorderen Öffnung, während ich die hintere mit dem Zeigefinger verdeckte. Nach einem weiteren Zug reichte ich das Brötchen, nun ebenfalls breit grinsend, zurück. Das war die Nacht, in der ich mit Dickie Peterson von Blue Cheer ein Brötchen rauchte. Kann auch nicht jeder von sich behaupten.
STEPPENWOLFSteppenwolf | Toddn Kandziora |
[ABC/Dunhill, 1968]
I like smoke and lightning / Heavy metal thunder
Racin’ with the wind / And the feelin’ that I’m under
Mars Bonfire, Steppenwolf
»Born To Be Wild« – ich war keine 15, da hörte ich diesen Song zum ersten Mal. Machte gewaltigen Eindruck auf mich. Wie auch der Film »Easy Rider«, der damals in unserem Jugendzentrum gezeigt wurde und mir den Song offenbarte. Dieses Lied, das meiner dörflichen Welt den Tritt in den Arsch gab, den es brauchte, um ihr entkommen zu wollen. Am besten auf so einer Harley, wie sie Mr. Hopper fuhr. Die »Captain America«, so hieß das Motorrad von Henry Fonda, hatte einen zu hohen Lenker. Die wirkte zu unbequem, um mit ihr eines Tages in Richtung Sonnenuntergang das Dorf zu verlassen. Verständlich, dass mein erstes Mofa einen Monat später eine Hercules »Hobby Rider« war. Den Soundtrack von »Easy Rider« kaufte ich mir gleich am nächsten Tag bei »Salzmann« in Wolfenbüttel. Zusammen mit »Made In Japan« von Deep Purple. Wenn ich die beiden Scheiben heute vergleiche, dann hat »Born To Be Wild« von Steppenwolf sichtlich mehr Kratzer als »Smoke On The Water« vorzuweisen.
Jahre später sollte ich den Texter von »Born To Be Wild«, Mars Bonfire, persönlich treffen. Im März 1989 spielte Sky Sunlight Saxon im FBZ zu Braunschweig. Seine ehemalige Band The Seeds galt als legendär im Garage und Psychedelic Rock. Als Macher eines rührigen Undergroundmagazins namens »The Street« hatte ich mir vorgenommen, ein Interview mit dem amerikanischen Mick Jagger zu machen, wie ihn Muddy Waters einmal genannt hatte. Die Show war gut. Am Keybord machte sich ein faltig-schlaff wirkender Typ zu schaffen. Ich fragte den Veranstalter, wer das sei. »Das ist Mars Bonfire. Der von Steppenwolf, weißte.« Okay, dachte ich, so sieht ein alter Musiker aus. Irgendwann kam der Zugabenpart. Mit »900 Million People Daily All Making Love« und dem Seeds-Hit »Pushin’ Too Hard« ging es in die vorletzte Runde. Dazu wurden alle zum Mittanzen auf die Bühne eingeladen. Als allerletzte Zugabe dann »Born To Be Wild«. Da kam der gute Herr Bonfire zum Schluss zu einem verdienten Sonderapplaus und ich, inmitten von gefühlt hundert bunt gekleideten Hippies auf der überfüllten Bühne zu der Ehre, laut den Refrain mitgrölen zu dürfen. Wenn das nicht Kult ist, dann weiß ich