HEAR 'EM ALL. Группа авторов

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im Laufe des Songs, wird mal höher gespielt, dann wieder tiefer. Allerdings nie nach dem I, IV, V-Blues-Schema, sondern irgendwie anders. Durch diese Verschiebungen wird die Spannung während des gesamten Songs hoch gehalten, obwohl es eigentlich nur diesen einen Teil mit Variation gibt. Kein klassisches Strophe-Refrain-Solo-Muster und auch der McCartney’sche Mittelachter fehlt. Nebenbei bemerkt sind alle Gitarren auf dem Album auf Es, also einen halben Ton tiefer gestimmt. Die Vorwegnahme einer allgemeinen Tendenz im Metal, damit es untenrum brachialer klingt.

      »Yellow Raven« hingegen ist der relaxte Ausklang aus dem Album. Es beginnt stimmungsvoll mit Brandungsgeräuschen und Möwen-Gesang. Ist es ein Sonnenuntergang am Meer in Indien oder die Morgenfrische in der Bretagne? Chorus-Gitarre und hohe Bassläufe bestimmen das Geschehen. Am Ende dann ein dynamisches 9-taktiges Outro-Thema. Das Lied nimmt ein wenig an Fahrt auf und wird dann ausgeblendet. Nicht die schlechteste Art einen Song – und in diesem Fall ein ganzes Album – zu beenden.

      Es sind jedoch nicht nur die Songs von Roth, die dieses Album auszeichnen. Auch die Beiträge von Schenker/Meine sind – nun ja, frisch. Der Opener »Pictured Life« etwa scheint mit einer seltsamen Metrik daherzukommen. Es ist aber nur ein gewöhnlicher 4/4-Takt. Der Bassist jedoch verhält sich wie ein Deserteur, der den Gleichschritt seiner Kompanie mit frechen Zwischenschritten konterkariert und so vielleicht dafür sorgt, dass die Brücke am Ende nicht einstürzt. Bei »Crying Days« wieder das Muster des Sofort-Einstiegs. Der Song startet mit einem Gitarrensolo, um dann bei einem ausklingenden Tritonus zu verweilen. Einem Tritonus! So oft hört man den auch nicht im Hardrock der Siebziger.

      Bei all den Betrachtungen bleiben die Texte diskret außen vor. Man muss Gesang manchmal als ein weiteres Instrument betrachten.

JUDAS PRIESTStained Class Erich Keller

      [CBS, 1978]

      Endlich war die Zeit der wallenden Gewänder vorbei! Ab jetzt wurde auf den Körper geschnitten, in Lack und Leder, mit Ketten und Nieten. Wie ein wütender Exorzismus kam der Punk über den Hardrock, trieb ihm den tranig gewordenen Blues aus, die Gemütlichkeit des Marihuanas, den falschen Zauber des Bombasts. Die Musik wurde radikal entschlackt, verschlankt, beschleunigt. Die Fans befreiten sich aus der opernhaften Konzertstarre, bald ging es wieder wilder zu auf den Konzerten. Die Musik wurde aus den politischen Kontexten der 1970er befreit, was sich auch in den Magazinen und Fanzines zeigt. Es entstand eine neue Fankultur, in der die Musik ganz im Zentrum stand. Überall kam Bewegung auf, es schossen neue Bands, Labels, Clubs aus dem Boden – die New Wave of British Heavy Metal war da, planierte ab 1979 einen anderen Weg in die 80er als Postpunk und New Wave. Macht Platz da, ihr alten Säcke, lautete das Motto, und inmitten dieser Drift, in der sich Hardrock zum Heavy Metal verwandelte, steht »Stained Class«. Die zwei Gitarrenstimmen K. K. Downings und Glenn Tipton schufen einen Sound, wie es ihn in dieser Klarheit zuvor nicht gegeben hat.

      Rückblickend sei er mit der Produktion der Platte nicht ganz zufrieden, meinte Tipton in einem Interview, aber er wisse auch, dass dieser Sound die Platte ausmache. In der Tat ist es die etwas unglückliche Abmischung, die den Songs ihren flächigen Schliff und die gläserne Härte gibt. Die Instrumente sind, trotz der unglaublichen Heaviness der Riffs, eingemittet, es ist, als ob die Produktion sie unter Kontrolle halten wollte. Unwahrscheinlich elegant klingt das, aber auch bedrohlich und von einer roboterhaften Aggressivität, eingepeitscht und überwacht von der gebieterischen Stimme Rob Halfords: »Stand by for Exciter / Salvation is his task« – eine fordernde Dringlichkeit, vorangetrieben vom schnellen Doublebassspiel, das sich Motörhead gut merken würden. Ein Jahr später eröffnen auch sie ein Album mit einer rasenden Doublebass-Attacke: »Overkill«.

      So hört man den Einfluss des Punk direkt und indirekt: Am gesteigerten Tempo und den kürzeren Songs auf der einen Seite – und dann ist da das sehr präzise, kontrollierte Gitarrenspiel, das sich deutlich vom Chaotischen und Ungebundenen des Punk abhebt. Genauso wie vom Wabernden, wie es etwa für Black Sabbaths Schaffen während der 70er charakteristisch ist.

      Futuristisch auch die Covergestaltung mit dem androgynen Kopf, der aus flüssigem Metall sein könnte, durchstoßen von einer Lanze aus Licht. Dazu passte das neue Bandlogo; auf dem Vorgängeralbum »Sin After Sin« (1977) war es noch aus den typisch gebrochenen Lettern gestaltet, nun war es scharfkantig und abstrakt.

      Einzig das Image fehlte noch. Auf der kurzen Japantour, mit der Judas Priest in Japan ihre neue Platte bewarben, waren sie noch in ihrem alten Outfit zu sehen, und Rob Halford blieb ganz dem Habitus seines großen Vorbilds David Bowie verhaftet. Auf dem nächsten Album, »Killing Machine« (in den USA wegen eines Schulmassakers mit Verzögerung als »Hell Bent For Leather« veröffentlicht), erinnerte nichts mehr daran. Mittlerweile hatte Halford sich in der Fetischabteilung eines Londoner Sexshops mit Lederkappe, Bullenpeitsche, Nietenbändern und Lederjacke ausstaffiert – und trug so, von den Fans lange unerkannt, die Ästhetik der schwulen Lack- und Lederszene in den Metal.

      Erst 1998, zwanzig Jahre später, outete sich Rob Halford in einem TV-Interview als homosexuell. Leider sei das erst jetzt möglich, bedauerte er, da die Homophobie der 70er- und 80er-Jahre ein schwules Bekenntnis für den Sänger einer Heavy Metal-Band unmöglich gemacht hätte – auch dafür steht »Stained Class«, das erste Album auf dem Weg der Transformation des Hardrock zum Heavy Metal.

AC/DCPowerage Kristof Schreuf

      [Atlantic, 1978]

      Burkhard und ich wohnten im gleichen Dorf in Schleswig-Holstein. Von den 1200 Einwohnern lebte die Hälfte in zwei Altersheimem. Im Nachbarort hatten sich Burkhard und ich im Fußballverein getroffen. Er habe eine Platte, sagte Burkhard, die er verkaufen wolle. Einen Kratzer hätte sie abgekriegt, deshalb könnte ich sie für nur vier Mark haben. Die Platte sei von »AC/DC«. Er fragte, ob ich diese Band kennen würde.

      Während Burkhard redete, schien die Abendsonne durch sein Haar. Alle paar Silben schwenkte er den Kopf nach links, dann nach rechts und wieder zurück, als müsste er immer noch schauen, wohin seine Mitspieler den Ball gerade passten. Am Wochenende glänzte Burkhard bei Spielen gegen andere Mannschaften, während ich auf der Auswechselbank saß. Um endlich mal mit ihm mithalten zu können, log ich: »Na, klar kenn ich Ehßiehdissi.«

      In meinem Zimmer wischte ich den Staub vom Plattenspieler. Es war Ewigkeiten her, dass ich darauf Platten gehört hatte, Hörspiele des Labels Europa, etwa das Weltraum-Abenteuer »Raumschiff UX-3 antwortet nicht« oder »Hui Buh, das Schlossgespenst«. Nun legte ich Ehßiehdissi auf.

      In der Wohnung, zu der das Zimmer gehörte, lebten vier Leute. Ingrid und Günter waren zuerst dort eingezogen. Die beiden hatten ein Kind bekommen, es Kristof genannt, und dann noch eins, das hieß Murdock. Während aus den zweien erst drei und dann vier wurden, schnappten sie bei Arbeitskollegen auf, dass sie ihre Vornamen ablegen und stattdessen Bezeichnungen wie »Mutti«, »Papi«, »Tochter« und »Sohn« tragen sollten. Damit aber fühlten sich alle vier auf Anhieb unwohl. Denn keiner wollte sich so offensichtlich auf andere beziehen, und noch weniger sollten sich andere auf sie oder ihn beziehen können. Als »Familie« kamen sie sich daher vor, als steckten sie sämtlich in derselben Falle. Um sich weniger voreinander zu genieren, vergaß jeweils einer von ihnen, dass es die drei anderen überhaupt gab. So wurden Wortwechsel zwischen ihnen selten. Stille legte sich um sie wie ein Wintermantel, den sie allerdings das ganze Jahr trugen. Auffällig unterbrochen wurde die Stille nur, wenn sich die zwei Älteren zankten und anschrien. Zu weiteren Unterbrechungen kam es, wenn die zwei Jüngeren die Älteren nachahmten. Sie schrien sich umso lauter an, je weniger sie wussten, warum.

      Die erste Seite von Burkhards Platte war zu Ende. Malcolm Young und Angus Young hatten Gitarrenakkorde angeschlagen, Phil Rudd hatte getrommelt, Cliff Williams den Bass bedient und Bon Scotts Beitrag bestand aus »Vocals«, das konnte ich auf dem Rückcover der Platte lesen. Auf dem Album »Powerage« von AC/DC, wie es vorne drauf stand, spielten demnach fünf Leute mit, sogar einer mehr als in dieser Wohnung wohnten. Trotzdem machten die Bandmitglieder nicht den Eindruck, als würden sie sich beim Musikmachen genieren, zanken


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