Jäger der Finsternis. Rhya Wulf
braunen Haare wehten in jenem sanften, warmen Wind. Und als er dies tat, wurde der Wind stärker, aber nicht weniger freundlich.
Nun, es machte nichts, dass die Reiter die Männer nicht sehen konnten. Das galt für jeden Sterblichen oder Unsterblichen, es sei denn, sie wünschten es.
„Aengus, sie ist schwanger. Das Kind liegt falsch. Und dann auch noch ihre miserablen Brüder. Herzlichen Glückwunsch.“ Diese Worte stammten von dem Mann im grauen Gewand. Der andere grinste jetzt noch breiter.
„Ich weiß, aus deiner Sicht handele ich verantwortungslos. Aber glaub mir, sobald ER mit den verdammten Wiedergängern fertig ist, wird er kommen und das Kind holen. Und dann wird es interessant.“
„Du kannst froh sein, dass sie eine Fee ist und daher deutlich robuster, ebenso wie das Kind. Übrigens bin ich nicht ganz glücklich, dass du dir für deinen neuesten Plan eine Fee aus meiner Gefolgschaft ausgesucht hast. Was das angeht…was, verdammt, hast du eigentlich vor?“
„Ich weiß, dass sie eine Fee ist, was denkst du, wer die zwei zusammengebracht hat?“ Der Mann namens Aengus lachte leise.
„Dinge ändern, Dian Cecht. Das habe ich vor.“
„Nun“, brummte der Mann namens Dian Cecht, „dann wollen wir hoffen, dass dein Plan aufgeht. Sie sind in der Nähe. Und sie werden nicht zimperlich sein.“
In der Tat. Sie waren ihnen auf den Fersen. Und dabei hatte der Mann gehofft, sie nun endlich abgehängt zu haben, aber er musste feststellen, dass dem nicht so war…
Sie, Elfen…, die Brüder seiner Frau, die ihn hassten, weil er sich mit ihrer Schwester vermählt hatte. Und dann war sie schwanger geworden. Und ihre Brüder, allen voran Ailean, der älteste, hatte es nicht geduldet. Sie hatten ihn gewarnt, sie hatten sie beide gewarnt…, aber sie wollten sich nicht einschüchtern lassen. Ihre Leute…, nun, sie verabscheuten Kinder wie dieses. Mischlinge. Kinder zweier Welten. Der Mann hörte immer noch die geringschätzigen Worte Aileans:
„Menschen…, nichts als aufrecht gehende Tiere, primitiv, hässlich, abstoßend. Und was will so jemand wie du ihr bieten? Ein Leben unter anderen Tieren? Sie lebt im Licht und du, du lebst in der Dunkelheit, in deiner lächerlichen, kleinen Welt.“
Aber sie, der Mann und die Frau, wollten dieses Kind unbedingt. Und dann hatte es geklappt, es war nicht leicht gewesen. Beide waren nicht unbedingt…kompatibel. Aber dann passierte das, wovor der Mann sich am meisten gefürchtet hatte: Die Schwangerschaft verlief kompliziert. Und so hatte Aíne darauf bestanden, sie beide und das ungeborene Kind wegzubringen. Er hatte getan, was sie verlangte, er konnte ihr ohnehin nie etwas abschlagen. Aber jetzt waren sie hier…ja, hier, ausgerechnet. Sie hatten sich Hals über Kopf auf den Weg gemacht und eine Zeitlang konnte sie sich selbst helfen - sie war eine Heilerin. Eine der besten ihres Volkes und sie diente ihrem Lehnsherren Dian Cecht, dem Großen Heiler, dem Heiler der Tuatha Dé Danann. Aber irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, da auch sie nichts mehr ausrichten konnte. Der Mann, groß, sehr kräftig, gewandet in eine rostrote Tunika und lederne Beinlinge, gegürtet mit einem Schwert, hatte Angst um seine Frau und um ihr ungeborenes Kind. Er hasste dieses langsame Vorwärtskommen. Ihnen lief die Zeit davon, denn Aíne hatte gesagt, sie seien nah. Immer wieder wandte er sich suchend um und späte in die Dunkelheit, immer auf der Suche nach den Verfolgern. Seine Frau schwieg, den Blick fest nach vorne gerichtet verließ sie sich auf ihr unfassbares Gehör. Zwar konnte sie nachts besser sehen als er, aber selbst sie brauchte dazu zumindest ein wenig Restlicht. Und hier gab es außer Dunkelheit nichts. Sie hatten überlegt, Fackeln zu entzünden, aber Aíne hatte davon abgeraten. Denn das Licht hätte nicht nur ihre Brüder auf sie aufmerksam gemacht, sondern auch die Wesen der Anderswelt, die an Samhain aus den offenen Toren in die Welt der Sterblichen gelangten: Die Abgeschiedenen. Geister, Wiedergänger, Blutsäufer, Gwrachs. Gerade Gwrachs, diese grauenerregenden, entstellten Feen mit eisernen Klauen, die Kinder stahlen und fraßen. Der Mann presste die Lippen aufeinander, er hoffte inständig, der Zauberer würde kommen. Er allein konnte jetzt noch helfen, das wusste der Mann. Denn er kannte diesen Wald, den seine Leute nur den Alten Wald nannten. Dieser Wald markierte irgendwo, irgendwie eine Grenze, ein Tor zur Anderswelt.
Der Zauberer…
Dieser Mann…alles an ihm war irgendwie unnormal, bedrohlich, seltsam. Viel zu groß für einen normalen Menschen, viel zu schnell und gewandt für seinen beträchtlichen Leibesumfang und viel zu stark. Und dann waren da noch die Augen: Das linke leuchtend blau, stechend, durchbohrend und das andere, das rechte…schwarz. So schwarz wie der finsterste Abgrund. Es hieß, er sei auf diesem Auge blind und könne doch alles sehen, was die Menschen dachten. Könne ihre Seelen sehen und alle Sünden offenbar machen, sein Blick solle Menschen versteinern können…und nicht nur das: Mit einer Handbewegung könne er den Wald verändern, so dass die Bäume sich bewegten und dem unvorsichtigen Wanderer den Weg versperrten. Über Stürme solle er gebieten, unsterblich solle er sein und vieles mehr, hörte man. Außerdem, und das wussten alle, war er schwer trunksüchtig. Aber das war nicht alles: Manchmal, wenn alle Hoffnung vergebens schien, dann durfte ein Besucher den Zauberer um Hilfe ersuchen, und manchmal, wenn das Anliegen angemessen wäre, würde der Zauberer der Bitte nachkommen. Diese Bitte aber musste am Schwarzen Stein, gelegen an den Grenzen des Alten Waldes und in unmittelbarer Nähe der Behausung des Druiden, vorgetragen werden und vielleicht öffnete der Zauberer dann ein Tor für den Besucher und ließ ihn den Wald betreten.
Aber dies geschah heute nur noch sehr selten, denn er hatte sich tief im Wald von den Menschen zurückgezogen, er hatte Isolation und Einsamkeit für sich gewählt. Niemand kannte den Grund dafür, aber jeder wusste, im tiefsten Herzen, dass damit etwas Kostbares und Einmaliges verloren gegangen war. Und seit diesen Tagen hatte der Zauberer den Wald für die Menschen verboten und wer das Verbot ignorierte, der war verloren.
So hieß es jedenfalls in den Legenden. Der Mann wusste sehr gut, dass einige dieser Erzählungen tatsächlich in das Reich der Fabeln gehörten, weil auch seine Frau ihm immer wieder Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit offenbarte. Ihr Volk hatte Lieder über ihn und eigene Legenden.
Und nun waren sie hier und hofften auf sein Erscheinen. Der Mann atmete tief durch und sah sich ein weiteres Mal suchend um, doch alles, was er sah, war der Wald um ihn - schwarz und schweigend. Sein Kopf ruckte plötzlich herum, als seine Frau ihre Hand in seinen Arm krallte. Er sah sie an und erblickte zu seiner nicht geringen Überraschung Vorfreude, anstelle von Furcht in ihren klaren, tiefblauen Augen.
„Es kommt“, flüsterte sie. Der Mann zügelte das Pferd und biss die Zähne so sehr aufeinander, dass es fast schmerzte und er das Knirschen hörte. Also gut, dachte er, nun gilt es. Es muss einfach gut gehen, es muss! Wo war ER? Warum kam ER nicht?
Der Mann sprang rasch vom Pferd, hob seine Frau vorsichtig von ihrer Stute herunter und platzierte sie so, dass sie mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt sitzen konnte. Die Pferde, sein Wallach und ihre Stute, schnaubten ängstlich und tänzelten hin und her und beinahe erweckten sie den Eindruck, sich ebenfalls umzusehen.
„Aíne, deine Brüder…wo sind sie?“, fragte der Mann eindringlich.
„Nah“, flüsterte sie und wirkte dabei aber seltsam ruhig.
Der Nebel schien dicker zu werden und wie ein neugieriges Raubtier kroch er näher, als wolle er die zwei Wanderer beschnüffeln. Der Mann wusste nicht, was nun zu tun wäre, denn ihm war klar, dass er einen Kampf gegen die drei Elfen nicht gewinnen konnte. Er vergaß den Gedanken sofort, als Aíne plötzlich seine Hand ergriff und sie fest drückte. Es hatte begonnen. Sie lächelte ihn an und sagte: „Keine Angst, alles wird sich fügen.“ Der Mann presste die Lippen aufeinander – er war sich keinesfalls so sicher wie seine Frau. Denn auch diesen Kampf konnte er nicht gewinnen, schoss es ihm durch den Sinn – wie holte man ein Kind auf die Welt? Sie drückte seine schwielige Hand fest und atmete einmal tief durch. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn, ein deutliches Anzeichen dafür, dass etwas mit dem Kind nicht stimmte.
„Du bist stark, halt durch, bitte“, flüsterte er. Aíne keuchte plötzlich auf und ein unterdrückter Schrei entfuhr ihren zusammengepressten Lippen. Und dann flüsterte sie ganz ruhig: „Alles wird sich fügen.“
In