Jäger der Finsternis. Rhya Wulf
von beiden hatte einen Blick für die wahrhaft ehrfurchtgebietende Erscheinung des Mondes, der hier über dem Alten Wald so wenig dem Mond der Menschen glich. Viel größer und silbriger war er und dazu noch um einiges heller…aber wer weiß, womöglich nur eine Illusion, ein Zauber?
Und in diesem Moment erklang von irgendwoher ein Schrei. Genauer gesagt ein Todesschrei. Zu ihm gesellten sich bald weitere, immer mehr und schließlich schier unzählige Schreie, die von Grollen, Knurren und Keuchen abgelöst wurden. Geräusche, die der Mann deshalb so genau wahrnehmen konnte, weil sie sich beständig näherten.
Die beiden einsamen Wanderer wechselten unsichere Blicke.
„Was…“, begann der Mann, seine Frau aber blickte mit weit aufgerissenen Augen in die Schwärze des Waldes.
„Untote“, hauchte sie, „Wiedergänger.“ Der Mann schluckte trocken.
Er dachte: Prächtig. DAS war ja klar. Himmel…Er muss einfach kommen. Er muss doch sehen, dass wir Hilfe brauchen, dass sie Hilfe braucht!
In der Stille des Waldes konnte er das mühsame Atmen seines Weibes nur zu genau hören, ein grauenhaftes Geräusch. Der Nebel wurde dichter und irgendwie wurde es auch kälter. Die Bäume schienen näher um die zwei einsamen Reisenden zusammenzurücken…
Und in genau diesem Augenblick weiteten sich Aínes Augen und sie blickte auf etwas hinter ihrem Mann, der sofort reagierte und in einer einzigen, fließenden Bewegung aufsprang und sein Schwert zog, um es gegen die Wiedergänger zu richten, die es wagen würden, seine Frau zu bedrohen. Seine Fähigkeiten mit dem Schwert waren, um es milde auszudrücken, überschaubar, aber er musste es wenigstens versuchen.
Der Mann prallte erschrocken zurück und blickte verblüfft in das Gesicht eines anderen Mannes in langer schwarzer Robe, wozu er allerdings den Kopf ein gutes Stück in den Nacken legen musste. Eine Kapuze ließ das Gesicht des anderen im Schatten verschwinden. Seine Robe hatte der Fremde mit einem schweren, metallbeschlagenen Schwertgürtel umfasst und man konnte recht deutlich sehen, dass er von eher korpulenter Statur war. Er war groß, sehr groß sogar, wohl weit über zwei Schritt. Breite Schultern und eine aufrechte, beinahe schon arrogant wirkende Körperhaltung verliehen dem Mann eine Aura natürlicher Autorität. Eine Umhängetasche, an der ein Trinkschlauch befestigt war, ein langes Schwert in schwarzer Scheide und ein langer, ebenso schwarzer, gerader Stab vervollständigten die düstere Aufmachung.
Der Krieger hatte inzwischen seine Fassung wiedergefunden und starrte vollkommen erleichtert auf den Neuankömmling.
Na bitte! Da ist ER jetzt also - musste ja auch irgendwann mal auftauchen. Eine Begleiterscheinung des Auftritts des Fremden, welche der Krieger kaum bemerkte, war, dass sich die Pferde in jenem Augenblick urplötzlich beruhigten und nun sahen diese den Fremden sehr dankbar an.
Der Schwarzgewandete ging mit einem langen Schritt auf den Mann zu und lenkte das, immer noch drohend gegen ihn gerichtete, Schwert mit dem Stab einfach und fast gelangweilt zur Seite. Nun stand er direkt vor dem Krieger und blickte auf ihn herab. Der Mann sah die Narbe, die sich quer über das schwarze Auge zog, von der Stirn bis einige Zoll unter das Auge, und schluckte. Sie sah frisch aus, diese Verletzung konnte nur ein paar Tage alt sein. Er war verwundet, eine Tatsache, die der Mann höchst beunruhigt zur Kenntnis nahm.
Der Fremde schüttelte den Kopf und sagte mit rauer, tiefer Stimme: „Hast du in der Tat geglaubt, ich ließe deine Frau und deine Tochter hier sterben? Ich kann eine Notsituation von reinem Übermut durchaus unterscheiden.“ Der große Mann schüttelte wieder den Kopf, dieses Mal missbilligend.
Der Krieger starrte den riesigen Mann vor ihm an, als sähe er diesen zum ersten Mal.
„Tochter…?“, flüsterte er beklommen.
„Ja, Fearghas, Tochter. Und nun geh beiseite, du stehst im Weg“, befahl der Zauberer unwirsch. Also trat der Mann - Fearghas war also sein Name - wortlos zurück. Der Zauberer hockte sich umständlich vor die junge Frau am Boden und blickte sie nicht unfreundlich an. Sie lächelte.
„Ich wusste, Ihr würdet kommen“, erklärte sie. Der Zauberer kommentierte das mit einem kurzen Heben einer Braue.
„Aíne“, erklärte er dann überraschend sanft, „das Kind liegt verkehrt herum. Ich werde es holen und wenn du mir vertraust, werdet ihr beide leben.“ Er wirkte sehr ruhig, so als wäre diese furchtbare Nachricht in Wahrheit gar nichts Schlimmes.
Die Frau hob den Kopf und sah ihn lange mit ihren durchdringenden blauen Augen an. Sie wirkte nicht ängstlich, eher erleichtert.
„Ich weiß, was mit dem Kind ist“, sagte sie leise und eher zu sich selbst. „Ich vertraue Euch, natürlich“, fügte sie hinzu. „Wie könnte ich nicht?“
Der Zauberer nickte zufrieden.
In dem Moment konnte Fearghas nicht anders:
„Verdammt, wir werden verfolgt, und da draußen treiben sich Wiedergänger herum!“
„Schweig“, herrschte der Ältere ihn an. „Ich weiß das. Und ja: Sie werden kommen - das kann selbst ich für den Moment nicht verhindern, aber sei versichert: Ich habe sie aufgehalten. Lange genug, um das Kind gefahrlos zu holen und das, was danach geschieht, lass meine Sorge sein, ebenso wie die Wiedergänger.“
Fearghas wollte gerade zu einer heftigen Antwort ansetzen, da sagte Aíne: „Bitte, Fearghas.“
Da entspannte er sich sofort und lächelte die Fee an. Er nickte und trat einen Schritt zurück.
„Also schön“, knurrte der Zauberer, „können wir dann mal dieses Kind holen?!“
Fearghas schwieg, nickte aber. Und doch konnte er die verstohlenen Blicke, mit der er die Umgebung nach Elfen absuchte, nicht unterdrücken.
„Bitte fangt an“, flüsterte Aíne. Der Zauberer wandte seine Aufmerksamkeit der Fee zu und nickte kurz.
„Gutes Kind. Und jetzt versuch, dich etwas zu entspannen.“
Der Zauberer legte eine Hand behutsam auf ihren Bauch und sagte ruhig:
„Der Schmerz wird gleich vergehen.“
Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich. Was immer er da tat, es schien zu funktionieren. Denn nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte, begann die Fee, ruhig und gleichmäßig zu atmen und da lächelte sie ihn dankbar an. Und dann erlosch ihr Lächeln, denn sie sah, dass der große Mann neben ihr die Lippen aufeinandergepresst hatte und seine Wangenmuskeln mahlten. Er versuchte ganz offensichtlich, irgendwelche Schmerzen niederzukämpfen.
„Was ist mit Euch?“, fragte sie schnell. „Seid Ihr verletzt?“
Der Zauberer schüttelte den Kopf.
„Nein. Und kümmere dich nicht um mich, wir haben hier anderes zu tun.“
Fearghas trat unwillkürlich näher, auch ihm war nicht entgangen, dass etwas mit Cathbad nicht zu stimmen schien und das gefiel ihm das ganz und gar nicht.
Der alte Mann hob den Kopf und erklärte mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete:
„Ich schneide sie auf und hole das Kind. Und beide werden leben.“
Fearghas erschrak ob dieser Ankündigung beinahe zu Tode und ballte die Fäuste. Aber er widersprach nicht, denn der Zauberer wusste, was er tat. Hoffentlich. Also ließ er geschehen, was auch immer der Zauberer für richtig hielt. Das Nächste, was Fearghas dann erblickte, war das helle, blaue Aufglühen eines langen, schlanken Dolches, der glänzte, als wäre er starker Hitze ausgesetzt, wobei es hier kein Feuer gab. Danach ließ das Glühen nach und was der Krieger dann wahrnahm, raubte ihm fast die Sinne. Es war der Geruch von verbranntem Fleisch. Von seiner Frau. Fearghas schluckte. Er musste sich sichtlich beherrschen, um Cathbad nicht in seine Arme zu schließen, aber er tat es nicht, denn er wusste ganz genau, nur so würde seine kleine Familie leben. Er sah auch nicht, was der Zauberer da machte - besser so - aber offenbar war er sehr schnell. Alle seine Handgriffe wirkten präzise und perfekt aufeinander abgestimmt. Fearghas trat zögernd näher, nicht wissend,