Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов


Скачать книгу
wo eine studentische Klientel Rollenspiele und Comics diskutierte, und ich mein Taschengeld in Le Guin, Douglas Adams und sogar den Neuromancer investierte, der mich völlig flashte, wohingegen ich von John Brunners Schafe blicken auf kaum etwas verstand, Hyperion und Dune mit dem Gefühl, etwas Unerhörtes und vage Verbotenes serviert zu bekommen, verschlang. Beinahe noch wichtiger als die Texte aber waren für mich die Kund*innen, die rauchend herumstanden, Kaffee in sich hineingossen und tratschten: Unter anderem lernte ich aus der Tirade einer krassen Punkerin schon damals, dass Dune »protofaschistischer Müll« sei, eine Einschätzung, die ich seitdem in meinem Herzen bewege. Ganz offen standen im »Fantasia« auch Cover herum, die in Valejo-Manier barbusige, sich irgendwie zu wohlig rekelnde Angekettete zeigten, penoid geäderte Drachen und knapp behoste Barbaren – eine passende Kulisse für die heranrauschenden Hormone, die den bebrillten Zeitungsschreiber hier mit seiner »Skienze Fickizion« nachhaltig verwirren sollten. Die ersten Ralf Königs meines Lebens gab es hier auch; niemand hatte etwas dagegen, dass ich sie stundenlang durchblätterte.

      Sehr viel später sollte ich all diese außerschulischen Bildungserfahrungen zur Hilfe nehmen, um Samuel Delany zu übersetzen, der unter Rückgriff auf Foucault so beredt von »Heterotopien« spricht. Anders als Delany ließ ich mir weder interessiert etwas vom Hausmeister voronanieren, noch verbrachte ich Jahre in Sexkinos, vielleicht auch nur, weil ich durch die Bücherei und das »Fantasia« eine gewisse Gemütlichkeit meiner queeren Räume gewöhnt war. Das Gemeinte aber erkannte ich sofort in Delanys »Heterotopien« wieder. Orte, an denen unterschiedlichste Menschen zusammenkommen, die in ihrem Anderssein Gemeinsamkeiten entdecken und sich selbst (soziale und topografische) Räume schaffen, an denen dieses gemeinsame Andere erforscht und kultiviert werden kann. Das sexuelle Anderssein überschneidet sich dabei ausdrücklich mit anderen Dimensionen von Kultur, Geselligkeit und Freizeit. Science Fiction stellt Inhalte bereit, die queere Menschen als Chiffren und Bilder dienen können, um etwas in den Griff zu kriegen, was in der Alltagssprache kaum zu formulieren ist, ausgedachte Wissenschaften und News in unverständlichen Sprachen, deren Mitteilungswert gerade darin besteht, dass da jemand in Eigensprache spricht und andere Eigensprachler*innen sucht.

      Mindestens ebenso wichtig waren und sind für mich die konkreten Räume, in denen diese Bilder- und Begriffssammlungen beheimatet waren. Orte, an die ich gehen konnte, und Menschen treffen –wenigstens schüchtern beobachten konnte –, die diese Baukästen des Imaginären pflegten, gebrauchten und sich aus dem Vorrat, den sie bereitstellen, eine Form bastelten. Räume, die nicht von dieser Welt und doch in ihr zu finden waren, Nischen, Brachen, Besetztes, Vorübergehendes, in dem Spuren zurückgeblieben waren, Pfeifenhalter, Statuen, penoide Drachen.

      Wenn Queerness mehr ist als schwul, lesbisch, nichtbinär, weniger ein Zustand, als vielmehr eine Bewegung des Unherschweifens, Flanierens und Durchstreifens, dann habe ich in diesen Räumen die ersten Schritte gemacht, hin zu anderen, die keine Sprache vorfinden, sondern sich eine ureigene erfinden müssen, als deren solitäre Träger*innen sie dennoch Teil einer Gemeinschaft anderer Fremdsprachler*innen sein möchten. An den Rändern unserer kleinen Stadt gab es diese Räume, die innen größer waren als von außen. Danke, Bücherei, danke »Fantasia«, danke Skienze Fickizion!

      Mareike Spychala

      Military SF für das 21. Jahrhundert

      Kameron Hurleys The Light Brigade

      The Light Brigade ist ein Buch, das es seinen Leserinnen und Lesern nicht einfach macht. Abgesehen davon, dass bis zum Ende das Geschlecht von Dietz unklar bleibt, finden auch Dietzs Bewegungen durch Raum und Zeit nicht linear statt. So müssen Leserinnen und Leser zusammen mit der Hauptfigur herausfinden, was mit den anderen Soldatinnen und Soldaten der Einheit passiert ist, wer eigentlich der Feind ist, gegen den sie kämpfen, und ob es eine Möglichkeit gibt, den Krieg und die Zeitschleife, in der Dietz steckt, zu beenden. Die zeitlich gebrochene Erzählstruktur scheint dabei nicht nur ein Versuch zu sein, Kriegstrauma und die inkohärente Struktur traumatischer Erinnerungen erzählerisch darzustellen, sie sorgt auch dafür, dass der Spannungsbogen konstant hoch bleibt und Leserinnen und Leser eine ähnliche Verwirrung erleben wie Dietz selbst. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass zwischen Dietzs Geschichte immer wieder Auszüge aus Vernehmungsprotokollen geschaltet sind und es erst gegen Ende des Romans klar wird, wer hier von wem befragt wird.


Скачать книгу