Der Klangmeister Rudolf Tutz. Группа авторов
bislang wohl unbeachtete Quelle zum Schicksal dieses Klangkörpers in der NS-Zeit darstellt. Natürlich handelt es sich um eine subjektive und wohl auch da und dort beschönigende Schilderung, aber viele Details sind durchaus glaubhaft:
„Herr Rudolf Tutz war im März 1938 Mitglied der Wiltener Musikkapelle. In den sogenannten Umbruchtagen wollte ein SA Führer Waidacher [Vinzenz Waidacher aus Mieders (1900–1941), Vorkämpfer des Nationalsozialismus in Tirol, SA-Standartenführer, Vertrauter von Gauleiter Franz Hofer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck. Vgl. Nikolaus Hagen, „SA-Brigadeführer Vinzenz Waidacher“, in: Thomas Albrich (Hrsg.): Die Täter des Judenprogroms 1938 in Innsbruck, Innsbruck 2016, S. 31–36] aus dieser eine SA Musik und einige Tage später ein SS Führer Fleiss [Erwin Fleiss (1910–1961), SS-Sturmbannführer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck, flüchtete über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Paraguay. Vgl. https://www.novemberpogrom1938.at/taeterkreis/nachkriegsjustiz/ (Zugriff 03/2020)] eine SS Musik machen. Trotz allen Androhungen von Auflösung des Vereines, Verlust des Berufes, ja selbst Abführung der ganzen Kapelle durch einen SA Sturm, lehnten die Mitglieder dieser Kapelle eine solche Umbildung ab. Sie hatten daher ihre Auflösung zu gewärtigen. Der damalige Gauleiter Hofer hörte von dem einmütigen Verhalten der Musikkameraden und stellte ihnen ein Angebot, wonach sie als Verein weiterbestehen könnten und die Kosten der Vereinserhaltung der Standschützenverband zu tragen hätte, die Kapelle mit vollkommen neuen Instrumenten ausgerüstet würde – wenn sie die musikalischen Ausrückungen für den Gau übernehmen würde. Im Ablehnungsfalle wäre aber unnachsichtlich mit der Auflösung der Wiltener Musikkapelle und der Beschlagnahme des gesamten Eigentums dieser Musik zu rechnen. Diesem Angebot stimmten die Mitglieder zu, nachdem vertraglich festgelegt wurde, dass die Wiltener Musikkapelle als solche bestehen bleibe und nur die Ausrückungen für den Gau gegen Bezahlung zu übernehmen hat. Nicht eigennützige Gründe waren für diese Handlung massgebend, denn der einzelne Musiker hatte daraus keinen Vorteil zu erwarten, sondern lediglich um den damals in ganz glänzender Form bestehenden Musikkörper der durch die vielen Wienerfahrten und dieser nach Cannes und Nizza sich in ganz prächtiger Form befunden hat, zu erhalten und eine Auflösung zu verhüten, wurde dieses Anbot angenommen. Erst später stellte sich heraus, dass durch die Übernahme der Ausrückungen für den Gau auch eine Anwartschaft zur NSDAP erwachsen ist, ohne dass die Mitglieder um ihr Einverständnis befragt wurden und auch ohne dass vorerst Beiträge zu leisten gewesen wären. Wir stellen daher fest:
a.) Dass Genannter für seine Anwartschaft bei der NSDAP nicht verantwortlich gemacht werden kann.
b.) diese Anwartschaft niemals missbrauchte und durch sein Verhalten stets bewiesen hat, dass er ein guter Österreicher geblieben ist.
c.) Dass Genannter, nachdem das Probelokal der Wiltener Musikkapelle in den Tagen des Zusammenbruchs der deutschen Armeen von durchziehenden Zwangsarbeitern vollständig geplündert und zerstört wurde und dadurch die Wiltener Musikkapelle ihres gesamten Inventares an Instrumenten, Noten, Nationaltrachten und Probelokaleinrichtung verlustig wurde, durch finanzielle und sonstige Opfer sein Bestes tat, die Kapelle wieder spielfähig zu machen und damit einen, seinem äussersten Können entsprechenden Beitrag zum Wiederaufbau seines Vaterlandes freiwillig und unaufgefordert leistete.
Innsbruck, im März 1946.
Gefertigt von jenen Mitgliedern der Wiltener Musikkapelle, welche durch ihr Einrücken zur Wehrmacht, einer Zwangsmitgliedschaft bei der NSDAP entgangen sind.“
Als Zeugen unterfertigten Alois Nagele, Tapezierer, und Hermann Niedrist, Schuhmacher. Ein weiterer Zeuge, Karl Mayrhoffer, offenbar ein Nachbar, bezeugte weiters, er habe von Rudolf Tutz nie eine Äußerung gehört, „welche ein Interesse an der NSDAP zu bekunden imstande gewesen wäre“. Schließlich rechtfertigt sich Rudolf Tutz (II) noch selber: Seine Familie sei immer „christlich“ gesinnt gewesen, er sei immer seiner Arbeit nachgegangen, von der in erster Linie die Tiroler Blasmusik profitiert habe.
7 Zur Engel-Familie siehe Silvia Albrich-Warger, Die Engel-Familie. Musikanten aus Reutte in Tirol erobern die Welt, Innsbruck 1998.
8 Zur Rekonstruktion der „Mozart-Klarinette“ durch Rudolf Tutz siehe Franz Gratl, „Vom schmalen Grat am Abgrund des Vergessens: Rudolf Tutz und die ‚Mozart-Klarinette’“, in: Peter Assmann und Roland Sila (Hg.), Vergessen. Fragmente der Erinnerung. Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 13.12.2019–8.3.2020, Innsbruck 2019, S. 201–205.
9 Vgl. Franz Gratl, Rudolf Tutz – zum 70. Geburtstag. Ein Pionier des historischen Blasinstrumentenbaus. Begleitheft zur Sonderausstellung 2010 des Österreichischen Blasmusikmuseums Oberwölz in Zusammenarbeit mit den Tiroler Landesmuseen, Oberwölz 2010.
Die wohlbalancierte Flöte 1
HELMUT A. GANSTERER
Wenn Musikinstrumentenhersteller Rudolf Tutz spricht, hören selbst Genies wie Harnoncourt andächtig zu.
„Sie machen es richtig!“ – Rudolf Tutz (re.) mit Nikolaus Harnoncourt (li.) und Wolfgang Meyer (Mitte), Graz 2009, Foto: privat
„Und Sie haben mit Ihrer großen Hilfe wieder einmal erklecklichen Anteil daran, daß es so gut, ja wunderbar geworden ist.“
(Aus einem Brief von Nikolaus Harnoncourt
an Rudolf Tutz, 5. August 2011)
Bei Rudolf Tutz, 59, heißt es Vorsicht. Er kommt wie ein lieber Spinner um die Ecke, Idealverschnitt von Johann Strauss und Albert Einstein. Die lockige Mähne, der Schnauzer, das bissl Mollige, auch die Art zu reden signalisieren: ein Engel, unendlich weichherzig, schützenswert. Auch die künstlerischen Sprechpausen täuschen. Sie sind meist Vorbereitungen für verbale Einkesselungen und überraschende Finten.
Es freut ihn, wenn viele Wissende seine historischen Blasinstrumente für die besten der Welt halten. Aber wenn einer gar zu überschwänglich wird, befreit sich Tutz mit irrlichternden Scherzen, die er mit großen ernsten Augen vorträgt. Beispielsweise: „Ich pendle jedes der Löcher meiner Flöten aus.“ Sein Witz macht vor berühmten Musikern nicht Halt. Einen großen Flötisten, der um die Feinabstimmung seines Instruments bat, schickte er in die Ecke zum Üben. Sie mögen ihn und hören auf ihn, auch die großen Dirigenten. Ein Herr Gardiner findet noch zwei Logenplätze, wenn Herr Tutz zufällig in der völlig ausverkauften Semperoper in Dresden auftaucht. Und mit Nikolaus Harnoncourt verbindet ihn der freundschaftliche Respekt, den Profis füreinander empfinden. Ihr gemeinsames Anliegen: die höchstklassige Wiederfindung historischer Musik.
Tutz und sein Team (vier Mitarbeiter und sein in alle Geheimnisse eingeweihter Sohn) sind nicht nur erstklassige Handwerker. Tutz selbst ist vor allem Innovator. Er entwickelte die Mozart-Bassettklarinette für Prof. Hans Deinzer, Erstaufführung 1973, und Prof. Wolfgang Meyer, der damit 1999 im Großen Musikvereinssaal in Wien eine Konzert- und CD-Produktion unter Harnoncourt machte. Für Barthold Kuijken (Belgien) entwickelte er die historische Schubertflöte, für den Philharmoniker Walter Lehmayer Englischhorn und Wiener Oboe.
Tutz hält das Weltpatent für das variable Tonloch bei Holzblasinstrumenten. Wie einige andere Patente lässt er es auslaufen. Es kostet viel und ist im Prinzip „so unnötig, wie ein Patent, auf den Mount Everest zu gehen, das kann eh keiner perfekt nachmachen“. Der heutige internationale Rang von Tutz ist weit von den Anfängen entfernt. 1963 übernahm er von Vater Rudolf den Betrieb, ganz am Anfang der Tutz-Linie stand Uropa Anton, wie Rudolf ein Fabrikant und