Vergiftete Hoffnung. Mara Pfeiffer

Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer


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Sohn scheint plötzlich abgelenkt. „Ja, okay Mama, tschüss!“ Laut schmatzt er seine Küsse in den Hörer.

      „Jo?“

      „Ja.“

      „Ich bin’s nochmal. Luca hat den Hahn entdeckt.“

      Jo lächelt. Der Hahn auf dem Mainzer Wochenmarkt hat es ihrem Sohn schon seit langem angetan. Sie sieht ihn vor sich, wie er bei dem Tier steht und es aufgeregt betrachtet. Plötzlich vermisst sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers.

      „Sag deiner Kollegin, sie soll vorsichtig fahren, ja? Wir möchten dich gerne am Stück zurückhaben.“ Hans klingt zärtlich.

      „Okay.“

      „Sicher, dass wir dich nicht irgendwo abholen sollen?“

      „Nein, alles gut. Sie nimmt mich mit bis Wiesbaden und von dort fahre ich mit der S-Bahn über den Rhein. Bis morgen, Hans. Und danke.“ Sie schluckt hart.

      „Gar kein Problem. Wir haben Spaß. Bis morgen.“

      Lange betrachtet Jo das Smartphone. Die Sonne knallt aufs Display und fast erwartet sie, es müsse unter der Hitze gleich in ihrer Hand explodieren. Als sie schließlich aufsteht, sind ihre Beine wackelig. Sie stapft in den Supermarkt, greift wahllos nach einem Paar roter Flip-Flops und kauft an der Kasse noch eine Flasche Wasser.

      Als sie aus dem Laden tritt, kommt Adam ihr auf dem sonnigen Platz bereits entgegen. Er hebt winkend die Hand. Jo erwidert den Gruß und läuft schneller, immer schneller, bis sie ihn erreicht und mit einem Seufzen in seine Arme sinkt.

      „Alles gut?“

      „Ja, wieso?“

      „Weil du Wasser ohne Kohlensäure gekauft hast.“

      Jo betrachtet mit gerunzelter Stirn die Flasche in ihrer Hand. „Da war ich offenbar einen Moment unaufmerksam.“

      „Wohl in Gedanken bei dem heißen Mann unter der Dusche deines Hotelzimmers, den du für ein Frühstück abgewiesen hast“, neckt Adam und küsst sie, erst zart in den Mundwinkel, dann voll auf die Lippen. Er schmeckt vertraut und selbstverständlich, alles daran ist wunderbar und alles daran ist schrecklich.

      In keine Stadt hat Jo sich so rasch und vorbehaltlos verliebt wie in Barcelona. Und in keinen Mann so wie in Adam. Sie hat ihn kurz nach Lucas sechstem Geburtstag bei einer Lesung im „Bukafski“ kennengelernt, einer Buchhandlung unweit ihrer Wohnung. Statt den Worten Tijan Silas zu lauschen, der aus seinem Romandebüt „Tierchen unlimited“ las, schaute sie an jenem milden Maiabend immer wieder verstohlen nach diesem Typen, der, wie sie, alleine zu der Lesung gekommen war. Als sie anschließend noch in einer lockeren Runde zusammenstanden, um mit dem Autor über sein Buch zu sprechen, bemerkte Jo, dass der Unbekannte sie ebenfalls aus den Augenwinkeln beobachtete. Sie lächelte ihm zu und er hielt aufmerksam ihren Blick. Kurz darauf war er verschwunden, stand dann auf einmal mit zwei Flaschen Bier neben ihr und reichte Jo wortlos eine davon. Sie prosteten einander zu und lauschten weiter der Unterhaltung zwischen Silas und seinem Publikum.

      Fast hätte Jo die Lesung an jenem Abend sausen lassen. Luca hatte gerade eine fiese Grippe hinter sich, während derer sie tagelang die Wohnung nicht verlassen konnte. Nun ging es ihm den ersten Tag besser und Nonna hatte angeboten, auf ihn aufzupassen. Eigentlich wollte Jo mit Hans ins Bukafski gehen, der hatte aber kurzfristig passen müssen, weil er sich nicht gut fühlte. Seine Absage hatte Jo seltsam erleichtert, was sie sich selbst nicht ganz erklären konnte. Zwischen ihnen hatte sich eine wohltuende Verlässlichkeit entwickelt, die immer mehr auch Luca einschloss. Ihr Sohn und der Polizist kamen prima miteinander aus und vielleicht war absurderweise genau das der Punkt, an dem für Jo plötzlich alles stockte. Zwar freute sie sich darüber, gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass Hans dadurch zu viel Raum einnahm. Er drängte auch sehr auf eine gemeinsame Wohnung, was für Jo zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in Frage kam. Sie kannten sich schließlich erst seit ein paar Monaten.

      Wie genau sie sich schließlich in die Affäre mit Adam verwickelt hat, vermag sie dennoch nicht zu sagen. Und sobald sie darüber nachdenkt, wird ihr unglaublich schlecht. Sie lügt seit mehreren Monaten zwei Männer an, die ihr mittlerweile beide viel bedeuten – und darüber hinaus so ziemlich ihr gesamtes Umfeld. Die Woche mit Adam in Barcelona ist in jeder Hinsicht der Gipfel, einerseits ihres Betruges, andererseits ihres verliebten Glücks, denn ja, sie ist tatsächlich fürchterlich verknallt – und möchte am liebsten jede Minute des Tages mit ihm verbringen. Dafür aber belügt sie ihn ebenso wie Hans. Und je länger beides geht, umso größer ist ihre Panik, den einen wie den anderen zu verlieren, wenn sie sich doch endlich dazu durchringt, ihnen die Wahrheit zu sagen.

      Kapitel 2

      Während sie die belebte Straße mit den vielen Cafés und Kneipen entlangschlendern, betrachtet Jo die Stadt zum ersten Mal mit den Augen ihres Sohnes. Sie weiß, dass es ihm hier gefallen würde, schon allein deshalb, weil vor jeder Taberna Schilder stehen, die Kartoffeln in allen nur denkbaren Darreichungsformen bewerben: Kroketten, Pommes, Tortilla und kein Ende. Luca liebt Kartoffeln, wenn er sich das Abendbrot immer selbst zusammenstellen dürfte, würde es bei ihnen grundsätzlich Beilage mit Beilage geben.

      Auch die Nähe zum Meer, an dem sie mit Adam schon einige Tage verkuschelt hat, würde Luca bejubeln, und natürlich hätte er seinen Spaß an all den fliegenden Händlern, die bunte Strandtücher und kalte Getränke ebenso anbieten wie Massagen, Sonnenbrillen und aufgemalte Tattoos. Für den Sohn hätte sie vermutlich sogar ihre Höhenangst überwunden und die berühmte Seilbahn bestiegen, die vom Hafen aus auf den Berg zuführt. So hatte sie sich verweigert und mit klopfendem Herzen zugeschaut, als Adam aus wackligen Höhen in die Richtung winkte, in der er sie vermutete. Als er zu ihr zurückkam, hielt sie ihn so fest und atemlos im Arm, als sei er wochenlang weggewesen. Dann waren sie Hand in Hand zurück ins Hotel gelaufen, um miteinander zu schlafen.

      In jener Nacht träumte Jo, Adam sei mit der Gondel abgestürzt und vor ihren Augen zerschellt. Als sie zurückkehrte nach Mainz, war Hans fortgelaufen und Luca in ihrer Abwesenheit verhungert. Sie war schließlich aus dem Schlaf hochgeschreckt und ins kleine Bad geflüchtet, wo sie lange auf dem Klodeckel kauerte, die Knie bis ans Kinn gezogen, und leise weinte. Es war, als wollte ihr Traum sie bestrafen, auch wenn sie wusste, wie unsinnig diese Annahme war, und dass ihr schlechtes Gewissen aus der verstörenden Folge von Bildern sprach, die ihr Unterbewusstsein ungnädig in Gang gesetzt hatte. Was sollte sie bloß tun? Die Frage hämmerte wieder und wieder in ihrem Kopf, prallte von seinen Innenwänden ab und verursachte ein solches Getöse, dass sie glaubte, innerlich taub davon zu werden. Es dauerte lange, bis sie in dieser Nacht in den Schlaf zurückfand und dann plagten sie erneut Albträume.

      „Huhu, jemand zuhause?“

      Jo stolpert aus ihren neuen Flip-Flops, als Adam sie anspricht. „Fuck. Aua. Was?“

      Er lacht. „Hör’n Se mal, junge Frau, von wem träumen Sie denn?“

      Jo grinst schief. „Immer noch von Frühstück.“

      „Das trifft sich hervorragend. Ich habe nämlich gerade versucht, deine Aufmerksamkeit hierauf zu lenken.“ Adam deutet auf den Supermarkt am Ende der Strandpromenade, in dem sich auch ein kleiner Bäcker befindet. Sie haben hier bereits an ihrem ersten Tag gegessen, weil sie die Frühstückszeit verschlafen hatten.

      Jo seufzt erleichtert. „Oh ja, darauf habe ich Lust. Mir ist langsam echt schon ein bisschen schlecht vor Hunger.“ Sie fasst sich an den Rücken und zieht dabei die Schultern nach hinten.

      „Wo wird dir denn schlecht, im Steißbein?“, neckt Adam.

      „Nein, der aufrechte Gang schafft Platz im Magen.“ Jo grinst.

      Im Supermarkt bestellt Adam in flüssigem Urlaubsspanisch zwei Baguettes mit Tortilla und schwarzen Kaffee. Jo ist verliebt in die Idee der Spanier, Tortilla als Brotbelag zu benutzen – und sie ist verliebt in Adam, der jedes Wort so sorgfältig wählt und über seine schönen Lippen schubst, als ginge es um viel Bedeutsameres als ihr Frühstück. Wenn sie ihn von der Seite beobachtet, fürchtet sie, er könne die Sternchen


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