Vergiftete Hoffnung. Mara Pfeiffer

Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer


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in der Teelache wahr und der Blick, mit dem er sie bedenkt, ist nicht gerade freundlich. Stumm greift er nach seinem Rucksack und reiht sich, ohne auf sie zu warten, hinter den anderen Passagier*innen ein. Jo starrt ihm nach. Natürlich weiß sie, mit der kalten Schulter reagiert er auf ihr seltsames Verhalten vorhin und es wäre eigentlich an ihr, sich zu entschuldigen. Stattdessen nimmt sie das Ventil dankbar an, welches er ihr unbewusst für die Wut auf sich selbst, die Verspätung und Finn bietet und bleibt wie ein bockiges Kind so lange auf ihrem Platz sitzen, bis Adam bereits im Flugzeug verschwunden ist. Am liebsten würde sie ihm ganz aus dem Weg gehen, aber ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich zu ihm zu setzen und diesen Flug irgendwie hinter sich zu bringen. Er scheint jedoch auf ihre Gesellschaft ebenso wenig Lust zu haben. Als sie bei ihrer Sitzreihe ankommt, stellt er sich schlafend, was er anschließend während des ganzen Fluges beibehält.

      So hoch sie in den vergangenen Tagen unter der spanischen Sonne geflogen ist, so tief stürzt Jo in diesen zähen Stunden im Flugzeug emotional ab. Es ist, als hätte jemand ihren Glücksstecker gezogen. Zwar fühlt das Erwachen sich an wie die gerechte Strafe für ihre monatelangen Lügen und Heimlichtuereien, dennoch kann sie ihre Wut auf Adam nicht kontrollieren. Über den Wolken schwört sie sich in der lautlosen, dunklen Nacht, ihn nach diesem Tag niemals wiederzusehen. Es war ein Fehler, sich auf diese Geschichte überhaupt einzulassen, das sieht sie nun ganz deutlich. Eine Flucht aus ihrem Alltag voller Verpflichtungen und vor der Angst, Hans vollständig in ihr Leben und das ihres Kindes zu lassen. Ein Flirt mit dem Leben, das sie als Mutter schon vor Jahren aufgegeben hat. Ein Hirngespinst. Nichts von Dauer. Ende. Aus.

      Am Flughafen in Frankfurt verabschieden Jo und Adam sich kühl und umständlich voneinander, dann steigt er in die S9 nach Wiesbaden und sie in die Regionalbahn, die sie zurückbringt nach Mainz, zu ihrem Kind, in ihren Alltag. Den immer noch glühenden Kopf an die kühle Scheibe des Zuges gelegt, beobachtet Jo ihre eigenen Tränen, ganz so, als hätte sie mit der Person in der Spiegelung oder deren Kummer nichts zu tun.

      Kapitel 4

      Jo wird davon wach, dass ihre Nase kitzelt. Als sie sich ins Gesicht greift, um daran zu kratzen, landet ihre Hand in Obamas weichem Fell. Der seufzt theatralisch und dreht sich so auf den Rücken, dass Jo keine Luft mehr bekommt unter seinem dicken Pelz.

      „Puffel, I love you too, aber lass mich bitte am Leben.“

      Der Kater reagiert mit einem empörten Schlag nach ihrer Hand, als sie sich erdreistet, ihn von ihrem Gesicht zu heben. Sie tastet im Halbdunkel nach dem Kissen neben sich, es ist leer. Vermutlich ist Hans bereits zur Arbeit gegangen.

      Jos Magen krampft sich zusammen. Das Chaos der letzten Wochen trifft sie schmerzhaft. Adam. Hans. Luca. Adams Hände. Hans, der eine ganze Woche alleine mit ihrem Kind verbringt. Luca, der Erstklässler, der letzte Nacht unter müden Lidern in ihre Küsse gemurmelt hat, wie sehr er sich freut, sie wiederzusehen. Hans, der für sie gekocht hatte, Spaghetti Arrabiata, obwohl er selbst kein scharfes Essen mag. Dazu Merlot aus bauchigen Gläsern und viele Fragen zum Workshop, den sie angeblich in der letzten Woche in der Bretagne besucht hat. „Sportjournalismus heute“, sie hat ihm die Infoblätter gezeigt im Vorfeld. Erklärt, wieso es wichtig für sie ist, sich weiterzubilden auf dem Gebiet.

      Weniger, weil sie das inhaltlich nötig hätte, als um zu beweisen, sie hat die neue Stelle nicht als Trostpflaster gegen den Tod ihres besten Freundes bekommen, sondern, weil sie das kann, was der Posten erfordert. Nur deswegen ist Sportchef Dave Wright auf sie zugekommen und hat ihr reichlich überraschend angeboten, Jonas’ Nachfolgerin im Sport zu werden. Was Jo zunächst vollkommen absurd erschien, dann aber schnell sympathisch wurde, so dass sie das Angebot schließlich annahm. Seit Saisonbeginn begleitet sie die 05er nun nicht mehr nur als Fan, sondern befasst sich auch journalistisch noch intensiver mit dem Verein und hat in der kurzen Zeit bereits festgestellt, wie sehr ihr die Aufgabe liegt.

      Die Lüge war eine leichte gewesen. Hans hatte selbst angeboten, eine Woche bei Luca zu bleiben, damit Jo sich in dem Workshop weiterbilden konnte. Was sie ursprünglich auch wollte – bis die Geschichte mit Adam immer weiter ins Rollen kam und der eine Woche Auszeit in Barcelona vorgeschlagen hatte. Warum sie darauf eingegangen war, das funkt jede Faser ihres Körpers ganz deutlich, doch gerade versucht Jo, sich einzureden, was für ein vollkommener Blödsinn die ganze Geschichte gewesen ist. Und dass sie abgeschlossen sein muss, keine Fortsetzung mehr haben wird, in ihrer Vergangenheit liegt, unumstößlich.

      Die Schritte, die leise ins Zimmer tapsen, erkennt Jo sofort als die ihres Sohnes. Sie weiß, wie gerne Luca sie weckt und schließt ihre Augen daher fest, um ihm die Gelegenheit zu geben. Auch durch die geschlossenen Lider nimmt sie wahr, wie sich das Licht im Schlafzimmer verändert, weil die Vorhänge geöffnet werden. Sie runzelt überrascht die Stirn. Seit wann schafft es Luca, die selbst zu bewegen? Der Duft, der sie trifft, ist eine Mischung aus allzu Vertrautem. Lucas Kinderatem, Kaffee, frisch gebrüht, feuchtes Papier und Hans’ Rasierwasser. Jo hört flüsternde Stimmen, schielt aus einem Auge ins helle Licht und schaut in zwei erwartungsvolle Gesichter. Ihr Herz macht einen frohen Sprung.

      „Hase! Ich dachte, du bist im Präsidium?“

      Hans strahlt, stolz auf seinen Coup. „Nee. Morgen ist doch Feiertag und ich habe heute frei genommen. Muss erst am Mittwoch wieder hin. Wir haben also zwei Tage zu dritt.“

      Er beugt sich zu ihr und sein Kuss ist frei von Beiläufigkeit und Alltag. Es ist ein Kuss, den sie gerne ausbauen würde, was aber natürlich mit dem erwartungsvoll dreinschauenden Luca in ihrer Mitte nicht möglich ist. Hans drückt ihre Hand und zwinkert ihr zu und Jo erinnert sich dunkel, dass sie letzte Nacht eingeschlafen sein muss, während er in der Küche den Tisch abgeräumt hat. Kurz hatte sie da noch davon geträumt, sich an ihn zu drängen, wenn er zu ihr ins Bett kommen würde, ihn zu sich zu ziehen, mit Küssen zu bedecken, anzufassen, in sich zu spüren – dann hat der Schlaf sie mit sich fortgezogen. Nun bedauert sie das.

      „Mama, hier ist deine neue Ahzett!“ Luca legt die nassgeregnete Allgemeine Zeitung auf ihrer Brust ab und lässt sich mit lauten Küssen in sie fallen. Jo spürt ihren Nacken rebellieren unter seiner Ruppigkeit, verkneift sich aber einen Tadel und streichelt seine wilde Haarpracht. „Dich müssen wir bald mal wieder zum Friseur bringen, Cookie!“

      „Nee, Mama, das trägt man heute so.“

      „Ach was, ist das so? Das musst du deiner alten Mutter erklären!“ Sie kitzelt ihn unter den Achseln, Luca strampelt und schreit.

      „Mama, nicht, dein Kaffee!“ Seine nackten Füße stehen in der Luft und er bemüht sich sichtlich, sie nicht in Richtung des Nachttischs und in ihre Tasse abstürzen zu lassen.

      „Kein Kaffeefußbad?“ Sie zieht ihn weiter ins Bett und mit einem lauten Schnaufen lässt ihr Sohn die Füße auf die Decke fallen.

      „Mama, du bist uuunmöööglich!“ Er kichert und Jo bedeckt sein Gesicht und den blonden Schopf mit Küssen.

      „Ich habe dich so vermisst, Cookie.“

      „Mama. Ich bin kein kleines Kind mehr.“

      „Ach nein? Du kommst mir aber noch ganz schön kurz vor.“

      „Aber ich hab’ nicht einmal geweint, weil du weg warst. Hans sagt, ich war ganz schön erwachsen.“ Stolz richtet er sich auf.

      „Du warst wirklich super, Luke. Komm, lass uns mal Frühstück machen, dann kann Mama in Ruhe den ersten Kaffee trinken und in der Zeitung schauen, was die 05er in ihrer Abwesenheit gemacht haben, okay?“ Er zieht den Jungen mit sich.

      „Luke?“ Jo schaut skeptisch von einem zum anderen.

      „Skywalker!“, rufen die beiden wie aus einem Mund. Jo erinnert sich vage, dass sie einen Star-Wars-Marathon zusammen machen wollten – offenbar hat der also stattgefunden.

      Der Kaffee schmeckt nach Zuhause. Jo nippt vorsichtig, genießt dabei die Wärme in ihren Händen und den Geruch, der dampfend aus der Tasse aufsteigt. Die ersten beiden Seiten der Zeitung sind durch den Regen völlig verklebt. Sie schüttelt den Sport aus dem hinteren Teil und streicht die Seiten glatt, als er in ihren Schoß fällt. In diesem Moment klingelt ihr Handy


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