Vergiftete Hoffnung. Mara Pfeiffer

Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer


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      „Erde an Jo. Erde an Jo. Bitte um Lastenverteilung.“ Adam wedelt mit den Baguettes vor ihrer Nase und deutet dabei auf die beiden Kaffeebecher, die dampfend auf der Theke stehen.

      „Sorry.“ Jo zieht eine Grimasse.

      Er beugt sich zu ihr. „Wir sollten das Hotelzimmer echt nicht ungefickt verlassen, du kannst dich ja gar nicht konzentrieren.“

      „Bild dir nur nichts ein, Romeo, das ist der Unterzucker.“ Jo drückt ihren Unterleib gegen seinen, als sie nach dem Kaffee greift. Adam seufzt leise, woraufhin die Verkäuferin eine Augenbraue so weit hochzieht, dass es aussieht, als würde sie ihr auf den Hinterkopf wandern. Kichernd wie zwei Schulkinder stürmen Jo und Adam ins Freie, wo sie sich einen Platz an der Promenade suchen.

      Jo balanciert ihr Baguette auf den Knien, während sie Kaffee aus dem Pappbecher nippt. Zuhause hat sie immer einen Mehrwegcup dabei. Die Vorstellung, wie viel Müll hier am Strand jeden Tag zurückgelassen wird, ärgert sie ebenso wie ihre eigene Unbesonnenheit – schließlich hätte sie den Becher ja mitbringen können. Adam hat schon aufgegessen. Er sitzt mit geschlossenen Augen neben ihr und hält sein Gesicht in die Sonne. Jo greift mit der freien Hand nach seiner und er schließt seine Finger sanft um ihre. Sie betrachtet seine Hand, die ihre hält, als wären beide genau dafür gemacht worden. Noch nie zuvor hat sie einen Mann mit so gepflegten Händen gesehen. Seine Nägel sind sauber gefeilt, die Haut ist unglaublich weich, und wenn er ihr beim Sex mit der ihm eigenen Entschiedenheit die Haare aus dem Gesicht streicht, kann sie die Feuchtigkeitslotion riechen, die er zur Pflege benutzt. Adam öffnet die Augen und Jo lacht über seinen verträumten Blick.

      „Was ist so lustig?“

      „Nichts. Alles. Keine Ahnung. Ich komme mir mit dir manchmal vor wie in meiner persönlichen Teenie-Rom-Com. Alles ist heillos romantisch und so kitschig, dass jede*r Zuschauer*in vermutlich vor Überzuckerung in den nächsten Mülleimer kotzen würde.“

      „Hauptsache, du bist den Unterzucker los, bevor du davon kotzen musst. Und was zur Hölle ist eine Rom-Com, junge Frau?“

      „Hast du eine schon leicht abgehalfterte Mittdreißigerin mit Hang zur Übermüdung gerade junge Frau genannt?“

      „Lenk nicht ab, Missy. Rom-Com?“

      „Ich dachte, du veräppelst mich, Grandpa. Das ist eine sogenannte romantische Komödie. Zeichnet sich durch sehr viel Kitsch und sehr wenig Glaubhaftigkeit aus und ist meist schwer zu ertragen.“

      „Das wiederum glaube ich sofort.“

      „Scherzkeks.“

      „Immer redest du vom Essen.“

      „Adam.“

      „Jo.“

      „Ich will nicht nach Hause. Da ist bald Winter und wir sehen uns viel zu selten.“

      „Das könnten wir ja ändern.“

      „Du hast magische Jahreszeitenverschiebungskräfte?“

      „Witzig.“

      „Ist genetisch bei mir. Mainz und so. Kannst du als Wiesbadener natürlich nicht nachvollziehen.“

      „Disst du mich gerade für meine Herkunft?“

      „Würde ich nie tun. Niemand kann etwas dafür, wo er geboren wurde. Die Frage ist nur: Warum bist du geblieben?“

      „Hey. Wiesbaden ist toll. Ihr Mainzer habt bloß Vorurteile, weil ihr einen Minderwertigkeitskomplex mit euch herumtragt.“

      „Das würde meine Rückenschmerzen erklären, aber: nein.“

      „Jedenfalls. Wir können uns doch einfach öfter sehen. Was spricht dagegen? Die gemeinsame Woche haben wir gut ausgehalten.“ In Adams Blick liegt so viel offene Zärtlichkeit, dass Jo befürchtet, sich doch noch übergeben zu müssen. Was ist sie nur für eine ganz und gar niederträchtige und schreckliche Person. Sie schluckt hart. Adam beobachtet sie nachdenklich.

      „Jo. Alles gut. Wir müssen nichts überstürzen.“ Seine Hand, seine wunderbare, weiche Hand, streift ihre Wange.

      Jo möchte losheulen und ihm alles gestehen. Stattdessen zwingt sie sich zu einem Lächeln. „Nein. Ich fände das auch sehr schön, wenn wir uns häufiger sehen würden. Ich hoffe nur, dass ich das mit dem Job und meiner Großmutter tatsächlich hinbekomme.“

      Adams Hand greift nach ihrer und drückt sie fest. „Keinen Stress wegen mir, okay? Ich bewundere das total, dass du deine kranke Großmutter pflegst. Sowas ist echt nicht selbstverständlich und es zeigt einfach dein großes Herz.“ Er küsst sie auf die Stirn und Jo ist dankbar, ihm in diesem Moment nicht ins Gesicht schauen zu müssen. Nonna zu einem Pflegefall vermärchent zu haben, ist von allen Lügen, die sie aktuell betreibt, die schlimmste. Aber wie sonst hätte sie Adam erklären sollen, dass sie manchmal von einer Sekunde auf die andere sämtliche Pläne umwerfen muss, ohne von ihrem Sohn zu erzählen? Gerade widert Jo sich selbst an.

      Plötzlich ist sie furchtbar erschöpft. Den Kopf an Adams Schulter gelehnt, schaut sie auf das bunte Treiben am Strand und die Bucht, die sich so malerisch vor ihnen erstreckt. Die vergangenen Monate zerren an ihrem ganzen Wesen und Jo hat das Gefühl, sie müsste untergehen und ertrinken, wenn sie jetzt ins Meer laufen würde. Die Vorstellung, einfach von den Wellen verschluckt zu werden, hat etwas ungemein Tröstliches. Dann müsste sie wenigstens nicht die Entscheidung treffen, die unbarmherzig vor ihr steht. Adam oder Hans, Hans oder Adam – oder doch einfach Jo und Luca?

      Kapitel 3

      Mit der Straßenbahn zum Flughafen zu fahren, obwohl ihr Hotel ganz in der Nähe eines Bahnhofes liegt, stellt sich als idiotischer Fehler heraus. Adam und Jo sind eine gefühlte Ewigkeit unterwegs und müssen bei ihrem Umstieg nahe des Camp Nou mit einem gläsernen Lift so tief in die Erde hinabfahren, dass Panik Jos Kehle zuschnürt. In den folgenden, nicht enden wollenden 32 Minuten tief im Verdauungstrakt der Stadt benötigt sie ihre ganze Energie dafür, einfach sitzenzubleiben, statt panisch schreiend durch den Waggon zu rennen. Eine junge Frau, die einige Stationen nach ihnen einsteigt, beginnt Sekunden später, heftig zu husten, erst fast verschämt, dann immer lauter, schließlich mit blutigem Auswurf in ihr Taschentuch. Jo schließt die Augen. Dies ist die Apokalypse. Ein Horrorvirus bedroht die Menschheit. Nur einige wenige haben es in dieses unterirdische System geschafft, doch eine der Kranken ist ihnen gefolgt und wird nun alle, die bis eben noch Hoffnung aufs Überleben hatten, anstecken.

      Als Adam ihre Hand zart drückt, schreit Jo auf. Die Menschen in der Bahn reagieren darauf ebenso wenig wie zuvor auf die hustende junge Frau, die sich energisch an eine Haltestange klammert.

      „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

      „Schon gut. Mir ist ein bisschen schwummerig.“

      „Du sahst beim Frühstück schon nicht so gut aus.“

      „Kaum eine Woche zusammen unterwegs, schon hast du dich an mir sattgesehen.“ Jo versucht ein Lächeln, es gelingt nur schief.

      „Was, nein, so ein Unsinn, gar nicht.“ Adams Kuss trifft nur ihre Stirn, wie ein Streifschuss. „Jo, du bist total heiß.“

      „Danke.“ Sie grinst. Ihr Kopf dröhnt.

      „Nein, ich meine, natürlich, aber. Deine Stirn. Du glühst.“

      Die Apokalypse. Jo schließt die Augen. So geht also alles zu Ende. Ihr ist zum Heulen zumute. Sie will zu Luca.

      „Merkst du denn nichts?“

      „Was?“

      „Du hast Fieber, Jo. Ganz eindeutig.“

      „Ich habe nie Fieber.“ Sie dreht sich grob aus seinem Versuch einer Umarmung. Alles fühlt sich falsch an.

      „Wir müssen dir am Flughafen Medikamente besorgen.“

      „Nein, müssen wir nicht. Es geht mir blendend.“

      Jo sieht sich nach der hustenden Frau


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