Vergiftete Hoffnung. Mara Pfeiffer

Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer


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      Auf den Sportseiten überfliegt Jo die Berichte zu den anstehenden WM-Qualifikationsspielen gegen Nordirland und Aserbaidschan. Sie kann es nicht konkret begründen, aber die Nationalmannschaft interessiert sie aktuell kein bisschen. Schade, dass deren Spiele der Bundesliga gerade eine Pause verordnen, sie wäre gern mit Luca ins Stadion gegangen am Wochenende. So müssen sie sich eine Woche gedulden, dann steht ein Heimspiel gegen den Hamburger SV an. Wenigstens mal wieder eine ausverkaufte Partie. Sie seufzt und erschrickt, als im nächsten Moment ihr Handy piepst. Finn hat ihr eine Nachricht auf die Mobilbox gesprochen.

      „Hey Jo.“ Pause „Darf ich dich überhaupt so nennen?“ Nervöses Lachen. „Es. Ich würde wirklich gerne mit dir sprechen.“ Sie kann ihn atmen hören, es klingt schwerfällig. „Schau, ich weiß, dass du auf mich nicht gut zu sprechen bist. Aber es geht nicht um mich. Jemand, der sie verdient hat, braucht deine Hilfe. Bitte melde dich doch mal bei mir. Du bist der einzige Mensch, der mir einfällt.“

      Wütend schnaubt sie durch die Nase. Vor einem Jahr war Jonas der einzige Mensch, der ihm eingefallen ist. Und was hat das ihrem besten Freund gebracht? Den Tod. Was bildet sich dieser kleine, überbewertete Kicker eigentlich ein, sie mit seinem Schwachsinn zu belästigen? Das Handy piepst erneut. Eine SMS.

      „Hast du die Nachricht abgehört?“

      „Fick dich, Finn. Lass mich in Ruhe“, tippt Jo wütend.

      „Okay, fair.“

      „Was weißt du denn über Fairness?“

       Finn Arscholch schreibt.

       Online.

       Online.

       Finn Arscholch schreibt.

       Online.

      „Gib mir fünf Minuten.“

      „Wieso sollte ich?“

       Finn Arscholc h schreibt.

       Online.

       Finn Arscholch schreibt.

      Jo muss lachen. Nicht, weil sie Finn statt des Nachnamens in ihrem virtuellen Telefonbuch ein „Arschloch“ verpasst hat, sondern, weil sie beim Abspeichern seiner Nummer offenbar so neben sich stand, dass sie das Wort falsch geschrieben hat. Dann ploppt ein Foto im Chat auf: ein schwarzer Jugendlicher mit neugierigen Augen, im roten Trikot der aktuellen Saison des 1. FSV Mainz 05.

      „Sagt er dir was?“

      „Nein. Sollte er?“

      „Das ist Ugonna Okorie.“

      „Okaaay.“

      „Er ist in Schwierigkeiten.“

      „Und warum ist das mein Problem?“

       Finn Arscholch schreibt.

       Online.

       Finn Arscholch schreibt.

      Am Küchentisch schlägt Luca laut und vernehmlich sein Messer auf den Rand seines Tellers. „Maaaamaaa. Es gibt Früüüühstück.“ Jo lässt das Handy ohne einen weiteren Blick aufs Bett sinken und verlässt das Schlafzimmer. Sie hat keine Lust, sich mit Finn und dem, was ihn beschäftigt, auseinanderzusetzen. Wie dumm von ihr, dass sie seine Nummer nicht schon vor Monaten gesperrt hat, dann könnte er sie jetzt einfach nicht erreichen. Sie beschließt, das nach dem Essen nachzuholen, um die Verbindung zwischen sich und dem Spieler zu kappen. Denn Finn kann sie mal kreuzweise. Und Ugonna, dings, unbekannterweise auch.

      Kapitel 5

      Aber Mama, das ist unfair.“

      Luca stampft so fest mit seinem Fuß auf, dass Obama erschrocken Reißaus nimmt. Jo versteht nicht, warum der Kater so schreckhaft auf das Geräusch reagiert. Schließlich poltert ihr Sohn seit Jahren beinahe täglich durch die Wohnung, aber außer Lärm ist da nichts, keine Gefahr also für den Kater. Wieso hat der das in all der Zeit nicht kapiert? Sie schaut ihm hinterher, wie er den Gang hinunterflitzt und dann in ihr Schlafzimmer abbiegt, und würde gerne mit ihm tauschen. Einfach zurück ins Bett.

      „Ich verstehe dein Problem nicht, Luca.“

      „Nie hast du Zeit für mich. Immer musst du arbeiten.“

      „Luca, wir haben jetzt zwei Tage zusammen hier abgehangen. Ich muss auch mal wieder ins Büro. Außer dir hat niemand Ferien. Und wieso willst du denn nicht zu Nonna?“

      „Ich will bei dir bleiben.“ Luca lässt sich auf den Hintern fallen.

      „Cookie, hör auf mit dem Quatsch. Du bist doch kein Baby, echt. Ich habe um elf eine Konferenz, und wenn ich dich nicht gleich bei Nonna abgebe, komme ich zu spät. Auf jetzt.“ Sie bückt sich nach ihrem Sohn, der schlägt mit den Füßen nach ihr und trifft hart ihre Brust. Jo zieht ihn am Fußgelenk in die Luft, Luca strampelt.

      „Luca Zinn, hör auf mit dem Quatsch.“

      Aber Luca hört nicht auf. Er strampelt und tritt, er heult und schreit. Alle Versuche, ihn überhaupt nur in einen aufrechten Stand zu bringen, scheitern. Jo fühlt sich total überfordert. Sie kann auf keinen Fall daheim bleiben heute. Andererseits ist sie gerade sehr empfänglich für die Szene ihres Sohnes: Ihr schlechtes Gewissen quält sie fürchterlich seit der Rückkehr aus Barcelona und sie ist ehrlich gesagt selbst noch gar nicht bereit für eine vorübergehende Trennung von Luca. Sie lässt sich mit ihm auf den Boden fallen und sitzt ein wenig ratlos neben dem wimmernden Kind.

      „Cookie?“

      Schniefen.

      „Cookie, schau mich mal an.“

      Keine Reaktion.

      „Was hältst du davon, wenn ich dich zu Nonna bringe, um in meine Konferenz zu gehen. Dann mache ich mittags schon Schluss und wir zwei fahren nach Ingelheim zu den Tierhelfern?“

      Luca hebt seinen Arm, darunter kommt ein verheultes Gesicht zum Vorschein. „Wo du Obama gekauft hast, Mama?“

      „Nicht gekauft. Ich habe ihn da adoptiert und eine Gebühr gezahlt, weil es das Tierheim ja Geld gekostet hat, sich in den ersten paar Monaten um ihn zu kümmern.“

      Luca zieht geräuschvoll die Nase hoch und setzt sich langsam auf. „Kriegen wir noch ein Katzenbaby, Mama?“

      „Ich kann es nicht versprechen, weil ich nicht weiß, ob es gerade überhaupt Babys gibt. Aber wenn du magst, können wir uns die Katzen dort mal anschauen und vielleicht …“

      Weiter kommt Jo nicht, weil Luca ihr mit Wucht in die Arme springt und sie nach hinten umreißt. Er liegt ihr schon seit Monaten wegen einer zweiten Katze in den Ohren.

      „Mama, du bist die Beste!“

      „Erstmal nur gucken, okay.“

      Luca bedeckt ihr Gesicht mit klebrigen Küssen.

      „Boah, du solltest doch Zähne putzen.“

      „Keine Zeit, wir müssen schnell zu Nonna!“ Er steigt flugs in seine Gummistiefel und Jo beugt sich über ihren Sohn und kitzelt ihn. „Du freches, kleines Biest.“ Sie lacht.

      Luca dreht sich zu ihr um und drückt sich an sie. „Ich hab dich lieb, Mama.“ Er seufzt. „Bitte lass mich nie wieder so lang allein.“

      Die Uhr zeigt drei Minuten vor elf, als Jo auf dem Lerchenberg ankommt. Nun hier im Haupthaus zu arbeiten, statt unten in der Stadt, wo die Lokalredaktion ihren Sitz hat, ist etwas, woran sie sich noch immer nicht gewöhnt hat. Im Vorbeifahren scannt sie den Mitarbeiter*innenparkplatz – sieht schlecht aus. Mit dem Lupo steuert sie den Gästeparkplatz an. Als sie in der Lobby durch eines der beiden metallenen Drehkreuze hastet, nimmt sie neben sich Chefredakteur Schneider wahr. Der knufft sie in die Schulter.

      „Na, Frau Zinn, starten Sie mit einer hübschen


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