Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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Abkömmlinge Thalas haben keine Sehnsucht nach Orten, an denen wir nicht willkommen sind.«

      Maraya sah zu Boden. Ob sie peinlich berührt war oder nur auf den steinigen Weg achten musste, war schwierig zu sagen.

      »Da haben wir etwas gemeinsam«, stellte Laurion fest.

      Nach einer Weile blieb der Wald hinter ihnen zurück, und sie näherten sich einem Pass zwischen zwei felsigen Gipfeln. Dass die beiden Greifenreiter wie Geier darüber kreisten, schien Laurion ein schlechtes Omen.

      »Ein wenig neugierig bin ich schon«, gestand Nemera. Ihre Wangen waren von der Anstrengung gerötet und glänzten vom Schweiß. »Wir nähern uns schließlich der sagenumwobenen Hauptstadt der Elfen. In den Märchen meiner Amme war es ein Ort der Schönheit und des immerwährenden Frühlings.«

      »Es wäre schöner, wenn ein gewisser Mörder nicht die Aussicht verschandeln würde«, murrte Laurion.

      »Allerdings«, knurrte Otreus. »Uns erwartet eine ganze Stadt kaltherziger Bastarde. Anwesende ausgenommen«, fügte er mit einem reuigen Blick auf Mahanael und Maraya hinzu.

      »Aber auch der Kaysar«, ergänzte die Regentin. Für Laurion sprach das einsetzende Schweigen Bände. Seit sie sich in Sarna getrennt hatten, verblasste Athanor gleichsam wieder zu der Sagengestalt, die der Kaysar in Dion gewesen war. Ihre kurze, wenn auch rettende Begegnung am Everos hatte nicht viel daran geändert.

      Vor ihnen öffnete sich der Blick aufs Tal und die darin ausgebreitete Stadt. Im ersten Moment wirkte Anvalon wie noch mehr endloser Wald, aber dann sah Laurion ein Kupferdach, das selbst ohne Sonnenlicht feurig glänzte. Kaum hatte er es bemerkt, entdeckte er viele weitere Gebäude zwischen und unter den Bäumen verteilt. Buntes Herbstlaub hob sich von den silbrigen Blättern besonders großer Bäume ab. Ein Bach verschwand in einem flachen, länglichen Haus, dessen Form den Windungen des Gewässers folgte, und tauchte jenseits davon wieder auf, um seinen Weg durch das Tal fortzusetzen. Das Dach schimmerte wie die goldenen Dächer Evereas, während das Weiß der Kuppel, die sich näher am Hang gen Himmel wölbte, an die schneebedeckten Gipfel der Donnerberge erinnerte. Athanor hatte zwar versucht, ihm zu erklären, was Schnee war, doch Laurion konnte sich nichts darunter vorstellen. Vielleicht handelte es sich doch um eine Art weißes Gestein, aus dem auch die Bauten der Elfen bestanden. Denn zwischen der Kuppel und den Bergen kamen weiße Türme in Sicht, deren Form Laurion an Nadeln denken ließ. Aus der Nähe ähnelten sie jedoch filigranen Schnitzereien. Ihre Außenwände wiesen so viele Öffnungen in komplizierten Mustern auf, dass kaum noch Gestein übrig blieb. Freitreppen und Plattformen in schwindelerregender Höhe zeugten von der Furchtlosigkeit der Erbauer und Bewohner. Vor Staunen verrenkte sich Laurion fast den Hals und bemerkte den Kaysar erst, als neben ihm Otreus auf die Knie ging.

      Rasch wandte er sich um. Die Anführerin und Ameathar waren von ihren Pferden gesprungen und sprachen mit Drachenauge und der Kommandantin, während Athanor an den Elfen vorbei auf die Dionier zukam, weshalb ein Teil von ihnen auf die Knie fiel. Laurion dagegen stand so erstarrt wie Nemera und blickte mit offenem Mund dem Riesen entgegen, der dem Kaysar und Akkamas folgte. Die beiden Männer reichten dem Koloss nicht einmal bis zur dunkel behaarten Brust. Mit seinen massigen breiten Schultern hätte er nur durch das größte Palasttor Ehalas gepasst. Trotz des Wetters trug er nur ein schmuddeliges Fell um die Hüften. Vielleicht wärmte ihn der dichte, struppige Bart, der bis auf die Brust hinunterwallte. Das Furchterregendste war jedoch sein grimmiges Gesicht, das ein Wust verfilzter schwarzer Haare umgab. Aus den Schatten unter den buschigen Brauen stachen gelbe Augen hervor.

      »Erhebt euch, verflucht noch mal!«, rief Athanor. »Wenn ihr nicht gerade vor Erschöpfung zusammenbrecht, will ich nie wieder einen von euch auf den Knien sehen. Habt ihr das endlich verstanden?«

      Gemurmelte Entschuldigungen begleiteten hektisches Aufrappeln, doch Laurion glaubte nicht, dass es das letzte Mal gewesen war. Hastig verneigte er sich, um seine Ehrerbietung zu zeigen, auch wenn ihm schwerfiel, dafür den Riesen aus den Augen zu lassen.

      »Ich freue mich, euch endlich sicher in Anvalon zu wissen«, fuhr der Kaysar fort. »Und ich habe gute Neuigkeiten! Auch Markas’ Schiff hat den Ozean überwunden. Er befindet sich bereits auf dem Weg hierher.«

      Pflichtschuldig jubelten die Dionier, doch Nemera lächelte nur kurz. »Wir haben leider eine schlechte Nachricht«, erwiderte sie. »Emmos, ein junger Fischer, der mit mir auf der Kemethoë fuhr, wurde gestern ermordet. Von diesem Elf!« Mit mühsam beherrschtem Zorn deutete sie auf Ameathar, der gerade von seinen Fesseln befreit worden war.

      Wie ein Mann wandten sich der Kaysar, Akkamas und der haarige Unhold nach dem Krieger um. »Kommandantin, Eure Leute hatten den Befehl, die meinen zu schützen!«, rief Athanor wütend. »Haltet Ihr so Euer Wort?«

      Auch die Elfenherrin sah verärgert aus. »Der Mann wird sich vor dem Rat für seine Taten verantworten müssen. Seid versichert, dass ich sein Handeln aufs Schärfste verurteile!«

      Davon wird Emmos nicht wieder lebendig, dachte Laurion, doch das würde selbst ein Todesurteil gegen den Elf nicht bewirken.

      »Ich warne Euch, Kommandantin, wenn sich dieser Kerl noch einmal einem Menschen auch nur nähert, töte ich ihn!«, drohte Athanor. »Eure Seelen sind mir nicht kostbarer als unsere Leben.«

      »Ihr habt meine Erlaubnis, genau das zu tun«, erklärte die Elfe und bedeutete den Grenzwächtern, ihr zu folgen. »Abführen! Ameathar, zur Wahrung des Friedens von Anvalon steht Ihr bis auf Weiteres unter Arrest. Ihr werdet Therianads Amtssitz nicht mehr verlassen, bis man Euch vor den Hohen Rat ruft.«

      Selbst der Kaysar sah den Elfen überrascht hinterher. »Hat sie mir gerade gestattet, diesen Mörder einen Kopf kürzer zu machen?«, fragte er Akkamas erstaunt.

      »Nur wenn er sich nicht an ihre Anordnung hält. Damit hat sie ihm selbst überlassen, ob er das Risiko eingehen will.«

      »Ich esse ihn gern für dich auf«, ertönte die dröhnende Stimme des Riesen. »Dann weiß niemand, wohin er verschwunden ist.«

      Mit großen Augen sah Rhea zu dem Ungeheuer auf, während Nemera erblasste. Laurion hoffte, dass es nur ein grober Scherz gewesen war.

      »Mir scheint, wir müssen dir dringend ein Wildschwein besorgen«, erwiderte Athanor nur. »Das ist heute schon das zweite Angebot dieser Art.«

      Wie zur Antwort knurrte der Magen des Riesen. Beinahe unmerklich wich Nemera zurück, und Rhea suchte rasch hinter Laurion Deckung. Es war, als ob der Kaysar sie alle erst jetzt wieder wahrnahm. »Dies ist der Troll Orkzahn, der mit mir gegen die Untoten Theroias kämpfte«, rief er so laut, dass es jeder hören konnte. »Ich sehe Angst in euren Gesichtern, aber ich versichere euch, dass er ein treuer Freund ist. Er wird auch euch mit seinem Leben verteidigen.«

      Stolz schlug sich der Troll mit einer Faust gegen die Brust, dass es dumpf darin hallte.

      * * *

      Leones schlief in der Krone einer großen Broteiche. Immer wieder schreckte er auf und hoffte, dass ihn die Untoten hier oben nicht fanden – falls es ihnen gelang, ihn einzuholen. Sturmlöwe lag offenbar bequemer. Mit baumelnden Beinen hatte er sich auf einem verzweigten Ast ausgestreckt, dessen Gabeln ihn davor bewahrten, abzurutschen. Gelegentlich peitschte er die Luft mit dem Schwanz wie eine gereizte Katze, aber die geschlossenen Augen verrieten, dass er schlief. Er hatte das Löwenhaupt mit dem Kinn auf dem Ast abgelegt und sah so friedlich aus, dass es Leones fast schmerzte. Das Ewige Licht war zerstört, Wiedergänger überrannten die Elfenlande, und seine Kameraden waren tot. Es gab keinen Frieden mehr in dieser Welt.

      Als die Sonne aufging, konnte Leones nicht mehr schlafen, doch bis Sturmlöwe aufwachte, saß er hier fest. Noch waren sie zu nah an Nehora, um sich auf den Boden zu wagen, und mit jedem Augenblick wuchs die Gefahr. Der unruhige Schlummer hatte nicht ausgereicht, um ihm seine Magie zurückzugeben. Er spürte sie, aber sie war schwach, wie in weiter Ferne. Wenn er die Augen schloss, sah er Flammen und Orks. Wieder und wieder rissen sie Die Faust vom Pferd, brach Keatos schlaff wie eine Puppe zusammen, stürzte Danael mit seinem blutenden Hengst. Es war Theremons Schuld. Hatte er nur so getan, als ob er den rechtzeitigen Rückzug plante?


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