Der schottische Bankier von Surabaya. Ian Hamilton

Der schottische Bankier von Surabaya - Ian  Hamilton


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für das Beste halten.«

      »Ja.«

      »Gut. Aber wenn Sie mit ihm sprechen, bleiben Sie bitte beharrlich. Ich treffe ihn, wann immer er will, und mir ist egal, wo.«

      7

      DIE FAHRT ZURÜCK IN DIE STADT ging zügig, und gegen neun Uhr saß Ava in dem italienischen Restaurant, das nur wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernt war, und machte sich über einen Teller Linguine mit Wildbroccoli und Portobello-Champignons her. Ihr schwarzes Moleskin-Notizbuch lag offen auf dem Tisch, und beim Essen erstellte sie eine Liste der Dinge, die sie am folgenden Tag erledigen wollte. Sie legte für jeden Auftrag ein neues Notizbuch an. Darin hielt sie Namen, Telefonnummern, Zeitangaben, Zusammenfassungen von Gesprächen, zu stellende und beantwortete Fragen und ihre Gedanken zum jeweiligen Stand des Falles fest. Wenn der Auftrag erledigt war, wanderte das Notizbuch in ein Tresorfach bei ihrer Bank. Derek und Mimi neckten Ava immer, weil sie so altmodisch war, aber sie fand, etwas mit einem Stift zu Papier zu bringen verankerte Erinnerungen und befeuerte ihre Phantasie. Inzwischen lagen drei Monate zwischen dem letzten und dem neuen Notizbuch. Und während sie schrieb, verspürte sie die ersten Regungen von Vorfreude. Vielleicht habe ich die Arbeit ja doch vermisst, dachte sie.

      Sie rief bei Onkel zu Hause an und hatte Lourdes am Telefon.

      »Ist er ausgegangen?«

      »Nein, er liegt noch im Bett.«

      Ava schaute auf die Uhr. Wann hatte Onkel je so lange geschlafen? »Er soll mich so bald wie möglich zurückrufen«, sagte sie.

      Sie verspeiste gerade die letzten von einem Schälchen bunter Oliven, als Onkels Hongkonger Nummer auf ihrem Handy aufleuchtete.

      »Wei«, sagte sie und ahmte damit seine übliche Antwort nach.

      »Du klingst glücklich«, bemerkte er.

      »Wir haben einen Auftrag. Wir haben siebzehn Klienten, die um insgesamt zweiunddreißig Millionen kanadische Dollar geprellt wurden.«

      »Gut, gut. Es ist schön, wieder zu arbeiten. Ich hatte mich allmählich schon gefragt, ob du womöglich vor mir in den Ruhestand gehen würdest.«

      »Niemals«, erwiderte sie. Sie wusste, dass ihm ihre Unsicherheit nicht entgangen war.

      »Wann legst du los?«

      »Sofort. Es gibt einige Dinge, die ich hier morgen erledigen will. Und ich habe ein vietnamesisches Autokennzeichen, dem du für mich nachgehen müsstest.«

      »Gib es mir durch.«

      Sie las ihm die Angaben vor und fragte dann: »Wie sieht’s mit unseren Kontakten in Ho-Chi-Minh-Stadt aus?«

      »Hervorragend.«

      »Demnach sollte das nicht allzu lange dauern?«

      »Ein Anruf, vielleicht zwei – mehr nicht.«

      »Und wenn ich dort hinmuss?«

      »Dann wirst du alle Unterstützung bekommen, die du brauchst. Wir haben dort einige alte Kollegen, die noch immer aktiv sind, und sie haben Freunde bei der Polizei und beim Militär.«

      »Könntest du sie dann zusätzlich zu dem Nummernschild bitten, uns alles wissen zu lassen, was sie über einen gewissen Lam Van Dinh in Erfahrung bringen können? Er wurde vor ungefähr einer Woche in Ho-Chi-Minh-Stadt gesehen, von daher muss es einen Vermerk über seine Einreise ins Land innerhalb der letzten sechs Monate geben. Er wird seine Aufenthaltsadresse in das Einreiseformular eingetragen haben müssen. Sie könnte natürlich falsch sein, aber man kann nie wissen.«

      »Ich kümmere mich darum.«

      »Danke.«

      Er schwieg einen Moment, dann sagte er langsam: »Ava, ich hatte mir wirklich Sorgen gemacht, dass du genug von unserem Leben haben könntest. Ich hätte es dir nicht übelgenommen, wenn du dich mit May Ling zusammengetan hättest.«

      Wieso weiß er von May Ling?, dachte Ava, obwohl die Tatsache, dass er es ansprach, sie mehr noch erstaunte als die Tatsache, dass er davon wusste. »Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte sie.

      »Das solltest du auch.«

      »Ich glaube, ich bin für diese Art Veränderung noch nicht bereit.«

      Wieder schwieg er, und sie spürte, dass er noch etwas hinzufügen wollte. Doch dann sagte er nur: »Ich rufe dich an, wenn ich die Informationen habe.«

      Es war ein kühler Abend, und Ava spürte, wie sie fröstelte, als sie zu ihrem Apartment zurückging. Sie bildete es sich nicht länger ein – der Sommer war vorüber.

      Sie rief Maria an, um ein bisschen mit ihr zu plaudern, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Sie hinterließ eine Nachricht, dann schaltete sie den Fernseher ein und fand eine chinesische Seifenoper, die im siebzehnten Jahrhundert in der Qing-Dynastie spielte. Es war ein heimliches Laster von ihr. Ihre Mutter guckte diese Soap seit mehr als zwanzig Jahren und irgendwie hatte sie auch Avas Interesse geweckt und sie gefesselt. Die höfischen Intrigen waren zeitlos. Es war diese Soap, die ihre Mutter während der Zeit am See am meisten vermisst hatte, und obwohl Ava es ungern zugegeben hätte, hatte auch sie sie ein wenig vermisst.

      Der Verlauf der Handlung war so vorhersehbar, dass Ava innerhalb von zehn Minuten auf dem Laufenden war, obwohl ihr zwei Monate fehlten. Wie sich herausstellte, war Marathonnacht, und Ava war mitten in der dritten Folge, als ihr Handy klingelte – gerade als der Provinzgouverneur seiner bestürzten, zornigen Frau zu erklären versuchte, warum man ihn mit einer jungen Frau gesehen hatte, die die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte. »Wo warst du?«, fragte sie in dem Glauben, es sei Maria.

      »Wei«, sagte Onkel.

      »Ah, Onkel. Ich hatte jemand anderen erwartet.«

      »Soll ich lieber später noch mal anrufen?«

      »Nein, natürlich nicht.«

      »Ich habe die Informationen zu dem Auto und zu Lam.«

      »So schnell? Es ist ja kaum drei Stunden her.«

      »Ich habe ja gesagt, dass wir gute Kontakte in Ho-Chi-Minh-Stadt haben.«

      »Offensichtlich.«

      »Der Wagen hat dort ziemliches Interesse geweckt.«

      »Wieso?«

      »Er ist auf Lam Duc Dinh zugelassen.«

      »Ein Verwandter?«

      »Ja, sein älterer Bruder … und wohl der führende Neurochirurg Vietnams.«

      »Interessant.«

      »Das finden unsere Freunde auch. Sie sind überaus neugierig, warum ich mich nach einem Wagen erkundige, der einem so angesehenen Mann gehört.«

      »Und du hast es ihnen gesagt?«

      »Ich habe ihnen erklärt, dass unser Interesse dem Bruder gilt.«

      »Wussten sie irgendwas über ihn?«

      »Er ist vor ungefähr fünf Monaten in Ho-Chi-Minh-Stadt gelandet, und dem Vernehmen nach wohnt er im Haus seines Bruders.«

      »Wissen sie sonst noch was über ihn?«

      »Nicht sehr viel. Er hat Vietnam vor zwanzig Jahren verlassen, um in Kanada die Universität zu besuchen. Bisher ist er in unregelmäßigen Abständen nach Vietnam zurückgekehrt, immer für nur eine Woche, wahrscheinlich um seine Familie zu besuchen.«

      »Also keine kriminellen Aktivitäten?«

      »Nichts Aktenkundiges.«

      »Ich denke, ich werde nach Ho-Chi-Minh-Stadt fliegen.«

      »Wirst du einen Abstecher nach Hongkong machen?«

      »Natürlich.«

      »Es würde mich freuen, dich zu sehen«,


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